Roboter, Internet und Karl Marx? Dass das keine krude Mischung ist, sondern der Marxismus einen sinnvollen Analyserahmen für Industrie 4.0 bieten kann, zeigt der Band »Marx und die Roboter«. Daniel Anton hat ihn für uns gelesen
Plattform-Kapitalismus, Internet der Dinge, Industrie 4.0. Der Begriffswahnsinn um eine vermeintlich fundamental andere Organisation der Arbeit und Wirtschaft im 21. Jahrhundert nimmt überhand. Warum es sich vielfach dabei um neue Label für den alten Aubeutermist handelt, wird von zahlreichen Autorinnen im Sammelband »Marx und die Roboter«, herausgegeben von Florian Butollo und Sabine Nuss, auf einleuchtende Art und Weise dargestellt.
Kapitalismus und automatisierte Produktion
Ein Rückbezug auf Karl Marx erscheint hier sinnvoller, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Zwar konnte Marx keine robotisierte Produktion und den sekundenschnellen Informationstransfer des Internets voraussehen, doch beschäftigte er sich in seinem posthum so genannten »Maschinenfragment« mit der Frage, wie es sich mit einem Kapitalismus mit weit fortgeschritten oder gar automatisierten Produktionsprozessen verhalten würde. Kurz gefasst: jeder Fortschritt im Kapitalismus trägt in sich den Kern einer besseren Gesellschaft.
Das Internet ist an sich erstmal eine extrem demokratische Plattform für den sekundenschnellen Wissensaustausch, Roboter in der Produktion könnten für eine effektive Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust sorgen. Das Problem: Im Kapitalismus ist nicht das Fortkommen der Menschheit und das schöne Leben für die Vielen das Ziel des technologischen Fortschritts, sondern der Profit der Wenigen.
Industrie 4.0: Menschenleeren Fabriken?
Auf dieser Grundlage diskutieren die Autorinnen und Autoren des Bandes Künstliche Intelligenz, die vernetzte Produktion und die Hoffnungen und Ängste, die damit einhergehen. Elena Louisa Lange orientiert sich etwa eng an Marx’ Werttheorie und erklärt, warum der Kapitalismus auf die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft angewiesen ist. Kim Moody wirft währenddessen einen realistischeren Blick auf die Visionen der Tech-Pioniere aus dem Silicon Valley, die schon von menschenleeren Fabriken träumen.
Der Tenor vieler Artikel: die jeweiligen Wunsch- oder Horrorvorstellungen des hoch-technologisierten Zeitalters sind entweder noch Wunschträume, oder sind im Kapitalismus nicht zu machen. Am plastischsten zeigt das Sabine Pfeiffers Teil zu Leichtbaurobotern, Maschinen, die ganz direkt mit menschlichen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten sollen und in Kooperation die Produktion besser, schneller und einfacher gestalten könnten und lernfähig sein sollen. Doch deren Entwicklung stagniert, denn der Kapitalismus hat weder Zeit noch Interesse an sinnvoller Roboter-Mensch-Interaktion, sondern will hohe Stückzahlen des gleichen Produkts in möglicher kurzer Zeit. Der Kapitalismus selbst steht den richtig coolen Robotern im Weg.
Potenziale der Digitalisierung
Ein technisches Potenzial, das die Menschheit voranbringen würde, braucht den Sozialismus. Das tolle ist: Die aktuellen Entwicklungen, vor allem im Bereich Digitalisierung und vernetzte Produktion, machen mehr als deutlich, was möglich wäre: eine demokratisch gesteuerte, bedürfnisorientierte Produktionsweise. Dieses Potenzial klopfen Simon Schaupp und Georg Jochum im Beitrag »Die Steuerungswende« plastisch ab.
»Marx und die Roboter« kann uneingeschränkt empfohlen werden. Man muss beileibe keine Tech-Expertin sein, um den Gedanken der Autoren folgen zu können. Vor allem die Verbindung zwischen marxistischen Grundlagen und konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die digitale Arbeits- und Produktionswelt sind extrem gut gelungen. Wer also die profitgetriebenen Spinnereien von Elon Musk und Co satt hat, wird hier bei Marx, Butollo und Nuss fündig.
Das Buch:
Florian Butollo / Sabine Nuss (Hrsg.)
Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit
Karl Dietz Verlag
Berlin 2019
352 Seiten
20,00 Euro
Schlagwörter: Bücher