Statt Maskenpflicht: Warum die Linke eine staatliche Maskenproduktion fordern sollte. Ein Kommentar von Yaak Pabst
Das Coronavirus in Deutschland ist längst nicht besiegt. Selbst das regierungsnahe Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung seit Wochen als »hoch« und für Risikogruppen als »sehr hoch« ein. An dieser Einschätzung hat sich nichts verändert. Trotzdem hält die Bundesregierung an ihrer risikoreichen »Exit-Strategie« fest (Lies hier den marx21-Artikel: »Exit-Strategie der Bundesregierung: Heiße Luft und falsche Prioritäten«).
Merkel’s Maskenpflicht
Im Rahmen dieser Strategie haben die Bundesregierung und die Länderchefs jetzt eine bundesweite Maskenpflicht eingeführt. In allen Bundesländern gilt ab dieser Woche eine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken im öffentlichen Nahverkehr und beim Einkauf. Verstöße gegen die Maskenpflicht können teilweise teuer werden. Das geht beispielsweise aus dem aktualisierten Bußgeldkatalog für Bayern hervor. Doch die Maskenpflicht ist, in der Art und Weise wie sie die Bundesregierung umsetzen läßt, völlig ungeeignet, um die Pandemie einzudämmen. Der Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery kritisiert in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: »Natürlich gehe ich einkaufen und natürlich trage ich dabei eine Maske, aber eine Maske, die den Namen auch wirklich verdient, eine sogenannte FFP2-Maske, also eine Maske, die mich und andere schützt, und nicht irgendeinen Lappen vorm Gesicht, der mir gesetzlich oktroyiert wird und der sogar gefährlich ist, weil er durch Konzentration von Viren, andere, die sich in dem Stoff ansammeln, und durch unsachgemäßes Ablegen und Aufsetzen dieser Maske sogar eher zu einer Infektion führt.«
Die Maskenpflicht und »Community-Masken«
Montgomery spricht hier einen wichtigen Punkt an. Denn die sogenannten »Community-Masken« bieten keinen ausreichenden medizinischen Schutz. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schreibt: »Entsprechende einfache Mund-Nasen-Masken genügen in der Regel nicht den für Medizinischen Mund-Nasen-Schutz (2.) oder persönliche Schutzausrüstung wie Filtrierende Halbmasken (3.) einschlägigen Normanforderungen bzw. haben nicht die dafür gesetzlich vorgesehenen Nachweisverfahren durchlaufen. Sie dürfen nicht als Medizinprodukte oder Gegenstände persönlicher Schutzausrüstung in Verkehr gebracht und nicht mit entsprechenden Leistungen oder Schutzwirkungen ausgelobt werden. Träger der beschriebenen »Community-Masken« können sich nicht darauf verlassen, dass diese sie oder andere vor einer Übertragung von SARS-CoV-2 schützen, da für diese Masken keine entsprechende Schutzwirkung nachgewiesen wurde.«
Die Bundesregierung empfiehlt diese trotzdem: »Als Schutz können selbstgenähte Alltagsmasken dienen. Auch die Bedeckung von Nase und Mund durch Tücher oder Schals ist erlaubt.«
Das Versagen der Bundesregierung
Der Hintergrund für diese Empfehlung ist, dass die Bundesregierung seit Monaten nicht in der Lage ist, kostenlose FFP2-Masken, die einen wirklichen Schutz bieten könnten, an alle Menschen zu verteilen. Das sieht auch Montgomery so und kritisiert die Maskenpflicht der Bundesregierung scharf: »Wenn schon Gesetz, dann bitte richtig, aber nicht so, dass Versagen der Regierung kaschieren, dass sie bis heute nicht in der Lage sind, uns mit ausreichend Masken zu versorgen (…) Hätten wir alle funktionierende Masken, dann fände ich es sogar vernünftig uns zu verpflichten, sie immer zu tragen, wenn wir uns draußen bewegen. Aber eine gesetzliche Pflicht für nicht funktionierende Masken, halte ich für ein Armutszeugnis eines Staates.«
Allerdings ist es auch ein Armutszeugnis für DIE LINKE, dass ein liberaler Weltärztepräsident nach drei Monaten laut ausspricht, was die linke Opposition von Beginn an hätte fordern müssen: kostenlose FFP2 Masken für alle! Auch Schutzkleidung, hunderttausende Tonnen Desinfektionsmittel, Millionen von Test-Kits und Reagenzien, um massenhafte COVID-19 Tests zu ermöglichen, fehlen (Lies hier das marx21-Interview mit dem Evolutionsbiologe Rob Wallace über die Gefahren des Coronavirus, die Verantwortung der Agrarindustrie und nachhaltige Lösungen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten).
Der Kampf um Masken auf den Weltmärkten
Um diese Schutzausrüstungen und das benötigte Material zu organisieren, setzt die Bundesregierung jedoch auf den Markt. Das ist fahrlässig. Denn auf den Weltmärkten sind die Kapazitäten knapp und der Kampf um die Schutzausrüstungen tobt. Der Spiegel zitiert einen dafür zuständigen Beamten, der sagt: »Wir müssen dran bleiben, denn weltweit geht der Kampf um die Masken erst richtig los«. Dabei ist das Problem seit Monaten bekannt. Die Tagesschau berichtete am 09.04.2020: »Pharma-Großhändler in Deutschland meldeten schon im Februar massive Lieferengpässe bei allen Arten von Atemschutzmasken, medizintechnische Unternehmen klagten Mitte März laut BVMed über Probleme mit ihren Zuliefererbetrieben – Wochen vor dem akuten Ausbruch der Corona-Krise in Deutschland.«
Doch der zuständige Gesundheitsminister Spahn weigert sich, daraus ernsthafte Konsequenzen zu ziehen. Stattdessen wird der Bevölkerung monatelang erzählt, dass ein Mundschutz nicht notwendig sei. Am 30. Januar 2020 erklärt Spahn: »Ein Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist.« Die »Bild«-Zeitung übersetzt: »Bedeutet: Eine Maske bietet keinen zusätzlichen Schutz.«
Fake-News statt Aufklärung?
Das Robert-Koch-Insitut (RKI), das dem Gesundheitsministerium unterstellt ist, unterstützte diese Linie zu Beginn. Noch einen Monat später, am 24. Februar 2020, erklärte die Bundesregierung: »Demnach gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis darüber, dass das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit vor Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus schützt.« In seinem Beitrag »Eiertanz statt Maskenball« schreibt Sascha Lobo zu recht: »Aus heutiger Sicht kann man diese Äußerungen als Fake News empfinden. Das Virus ist über mit dem Atem ausgestoßene Tröpfchen übertragbar, und Masken bieten zusätzlichen Schutz.«
Montgomery gibt einen dezenten Hinweis, warum die Regierenden so fahrlässig handelten: »Man muss in diesem Geschäft manchmal, wenn man eine staatliche Behörde ist, auch ein solches Zugeständnis machen. Das müssen Sie aber das RKI fragen, nicht mich, wie diese ihre Meinung ändern. Die WHO hat ja ebenfalls am Anfang vehement gegen Masken plädiert und ist inzwischen dort auch etwas stiller geworden, aber nicht, weil es etwa neue Erkenntnisse gäbe, sondern nur, weil man nicht eingestehen möchte, dass man es nicht geschafft hat, rechtzeitig ausreichend Masken für alle zur Verfügung zu stellen.«
Die Maskenpflicht und der Staat
Dass sich die Bundesregierung in einem hochentwickelten Industrieland seit drei Monaten weigert, eine eigene Produktion von Masken und Schutzausrüstungen und -material, staatlich aufzubauen, ist nur ein weiteres Beispiel ihres Versagens, die Pandemie nachhaltig einzudämmen. In Deutschland müssten Milliarden von FFP-Masken hergestellt werden. Nicht nur für die Bevölkerung und die Risikogruppen hier im Land, sondern auch, um einen Beitrag im weltweiten Kampf gegen das Virus zu leisten. Um Ländern zu helfen, die nicht die technischen und industriellen Kapazitäten besitzen, so schnell eine eigene Masken- und Schutzproduktion aufzubauen. Statt jedoch der Welt und anderen Ländern zu helfen, werden durch die Großbestellungen der Bundesregierung anderen Ländern die dringend erforderliche Ausrüstung weggenommen. Dabei steht die Pandemie in den Entwicklungsländern erst am Anfang.
Die Maskenpflicht, das Coronavirus und die Grippe
Es geht hierbei nicht nur um die nächsten Wochen. Im Herbst wird die Influenza-Saison losgehen. Eine vorausschauende Gesundheitspolitik würde bedeuten, das Coronavirus nicht im Gegensatz zur Grippe zu betrachten. Es geht um Corona und Grippe. Die Entstehung von Mehrfachinfektionen ist keine unrealistische Annahme. Gesundheitsminister Spahn ist dieses Szenario zumindest so weit vertraut, als dass er für den Herbst mehr Impfdosen ordern will (Allerdings mit 4,5 Millionen viel zu wenige!). Seine Begründung: »Gleichzeitig viele Grippe- und Corona-Kranke zu versorgen, könnte unser Gesundheitssystem überfordern«. Auf den naheliegenden Schluss, ausreichend Masken zur Verfügung zu haben, kommt er jedoch nicht. Wenn die Regierung wirklich verhindern will, dass im Herbst und Winter die Corona- und Influenza-Infektionen gleichzeitig in die Höhe gehen, wären FFP2-Masken ein wichtiger Baustein zur Prävention.
Merkels absurder Maskenball
Der absurde »Maskenball« im Kanzleramt hat aber auch noch eine andere gefährliche Dimension: Weil ausreichend Schutzmasken fehlen, werden auf Empfehlung des Gesundheitsministeriums in Krankenhäusern, Praxen und Pflegeheimen Schutzmasken zurzeit mehrfach benutzt, nachdem sie auf 70 Grad erhitzt wurden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt nun fest: Diese Methode ist ungeeignet, weil das Coronavirus durch das vom Bund empfohlene Aufbereitungsverfahren von Atemschutzmasken nicht vollständig abgetötet wird. Das berichtet das ZDF-Magazin »Frontal 21« unter Berufung auf ein Papier des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Darin heißt es, dass das bisherige von der Bundesregierung befürwortete Aufbereitungsverfahren »nicht ausreicht, um eine vollständige Inaktivierung infektiöser Viruspartikel auf den inkubierten Masken zu erzielen.«
Doch die Praxis wird bislang nicht geändert. Die Bundesregierung unterhöhlt damit den gesundheitlichen Schutz der Beschäftigten im Gesundheitswesen und riskiert weitere Infizierungen unter dem Personal und damit auch mehr Tote. Das RKI schreibt: »Unter Personal in medizinischen Einrichtungen traten 13 Todesfälle im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung auf. Der Anteil der Fälle unter Personal in medizinischen Einrichtungen an allen übermittelten Fällen lag in der Kalenderwoche 17 bei mindestens 6,0% und war zuvor in den letzten Wochen angestiegen (KW 12: 3,7%,KW13: 5,0%, KW 14: 5,8%, KW 15:7,0%, KW 16: 7,5%). Da Angaben zur Tätigkeit bei 41 % der Fälle noch fehlen, liegt der Anteil der Fälle mit einer Tätigkeit in medizinischen Einrichtungen möglicherweise auch höher.«
Die Grenzen der Marktwirtschaft
An der Maskenfrage werden die Grenzen der Marktwirtschaft deutlich. Es zeigt sich, dass die Märkte nicht in der Lage sind, medizinische Güter in ausreichender Stückzahl herzustellen und zu verteilen, so dass sie dort landen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Natürlich ist auch die Staatsproduktion unter kapitalistischen Bedingungen nicht ohne Tücken. Aber was der Staat bei Automobilkonzernen, Brauereien, Sparkassen oder der Bahn begonnen hat, kann er auch jetzt für die Produktion von medizinischem Material organisieren. Es ist höchste Zeit!
Menschen vor Profite
Die LINKE muss jetzt, gemeinsam mit Gewerkschaften, Ärzteverbänden, Verbraucherschützern und anderen, die Forderungen nach einer staatlichen Maskenproduktion erheben und dafür gesellschaftlichen Druck machen. Dabei geht es um die sogenannten »Filtrierende Halbmasken« (FFP). Diese sind Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Sie müssen als erstes für alle Beschäftigten und weitere Risikogruppen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Denn auch Fabriken, Büros und Versandzentren können schnell zu sogenannten Corona Infektionscluster werden.
Foto: michael_swan
Schlagwörter: Corona, Coronakrise, Coronavirus, Inland