Meuternde Matrosen lösten 1918 die Novemberrevolution aus. So weit, so bekannt. Doch ihre Vorkämpfer erhoben sich schon im Sommer 1917. Dies ist ihre Geschichte. Von Christoph Regulski
Am 1. August 1917 verlassen 49 Matrosen das in Wilhelmshaven liegende Kriegsschiff »Prinzregent Luitpold«, nachdem der Wachoffizier Hoffmann tags zuvor statt einer Freiwache militärischen Dienst angesetzt hat. Sie kehren schon nach wenigen Stunden zurück. Der Kommandant Hornhardt verhängt dennoch Arreststrafen und lässt den aus seiner Sicht verantwortlichen Heizer Bernhard Spanderen verhaften. Vertrauensleute beraten sich, beschließen einen Protestausflug für den nächsten Tag und sichern sich schriftlich Solidarität zu.
Am Morgen des 2. August 1917 entfernen sich dann 600 Mann unerlaubt von der »Prinzregent Luitpold« und marschieren den Deich entlang in den Stadtteil Rüstersiel. Dort halten sie eine Versammlung ab. Der Heizer Albin Köbis von der »Prinzregent Luitpold« und der Matrose Max Reichpietsch von der »Friedrich der Große « fordern einen baldigen Frieden. Zurück an Bord ordnet der zufällig anwesende Admiral v. Mauve die Freilassung der tags zuvor Verhafteten an.
Nach diesem scheinbaren Sieg der Matrosen verlässt das Kriegsschiff den Hafen. Doch noch am 2. August setzt auf allen Schiffen eine umfassende Untersuchung ein. Schnell sind die ersten Matrosen verhaftet. Die zugesagten Solidaritätsaktionen sind unmöglich geworden. Den festgenommenen Matrosen ist bewusst, gegen die militärische Ordnung verstoßen zu haben. Dass es aber um Leben oder Tod gehen könnte, erwartet keiner der Verhafteten.
Dennoch werden Köbis und Reichpietsch am 26. August 1917 zusammen mit Willi Sachse, Willi Weber und Hans Beckers als »Haupträdelsführer« wegen »vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung« in einem Kriegsgerichtsverfahren von nur einem Tag zum Tode verurteilt. Die Urteile gegen Sachse, Weber und Beckers werden in Zuchthausstrafen umgewandelt, Köbis und Reichpietsch jedoch am 5. September 1917 erschossen. Die Matrosenbewegung ist damit zu Ende. Vorerst.
Mischung aus Untätigkeit und Drill
Selbst die damaligen Marinejuristen bewerteten die Aktion der Matrosen nicht einheitlich als »vollendeten Aufstand«. Politiker fürchteten die innenpolitische Wirkung harter Urteile. Die Anklage in Person des Marinehilfskriegsgerichtsrats Dr. Dobring war jedoch fest entschlossen, die Verantwortung der USPD für die Entwicklung in der Flotte nachzuweisen. Er unterstellte der USPD, einen annexions- und kontributionslosen Frieden mit Hilfe des gewaltsamen Vorgehens der Matrosen herbeiführen zu wollen.
Die Anklage erreichte ihr Ziel unter anderem durch verfälschte Protokolle, die Aussagen der Matrosen nicht richtig wiedergaben. Ein Zettel vom 2. August 1917 mit der Erinnerung zur Solidarität diente Dr. Dobring zudem als Beweis für ein gewaltsames Vorgehen in der Flotte. Der USPD-Abgeordnete Wilhelm Dittmann beurteilte die Todesurteile gegen Köbis und Reichpietsch später als »militärischen Willkürakt aus politischen Motiven«.
In Wirklichkeit war die Beziehung zwischen der USPD und den Matrosen widersprüchlich. Die Ursache der Matrosenbewegung lag in der erzwungenen Disziplin auf den Schiffen. Anders als an den Fronten zeigte sich der Irrsinn des Krieges hier weniger durch den Stellungskrieg mit ständiger Lebensgefahr für die einzelnen Soldaten als vielmehr durch eine Mischung aus Untätigkeit und Drill, der die einzelnen Matrosen täglich unterworfen waren.
Seeblockade statt Entscheidungsschlacht
Die Strategie der deutschen Hochseeflotte war offensiv ausgerichtet und setzte auf eine Entscheidungsschlacht in der Nordsee. Deutschland hatte durch den Flottenbau ab 1896 die britische Royal Navy direkt herausgefordert. Der Aufbau einer Hochseeflotte war ein finanzielles Risiko, gegen das es von Anfang an große Widerstände gegeben hatte: Von der SPD bis hin zu den Erzkonservativen, deren prominentester Sprecher der ehemalige Reichskanzler Otto v. Bismarck war.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 zeigte sich jedenfalls, dass die Royal Navy an einer Entscheidungsschlacht überhaupt nicht interessiert war. Sie nutzte ihre deutliche strategische Überlegenheit lieber, um eine Seeblockade Deutschlands im Ärmelkanal und im Norden Schottlands durchzusetzen. Somit war die deutsche Hochseeflotte isoliert und weitgehend zur Untätigkeit verurteilt, was zu starken Spannungen an Bord der Schiffe führte.
Zu Beginn des Jahres 1915 verließen zudem die wenigen altgedienten Seeoffiziere, die ein gutes Verhältnis zur Besatzung hatten, die Schiffe, um andere Funktionen zu übernehmen – vornehmlich in den gegen die Seeblockade gerichteten U-Booten. An ihre Stelle rückten sehr junge Offiziere, die sich eher durch Drill als durch Erfahrung auszeichneten. Angesichts dieser personellen Veränderungen fanden sich erstmals Matrosen zusammen und besprachen ihre Situation.
In dieser bereits angespannten Lage kam es am 31. Mai 1916 zur Skagerrak-Schlacht. Daran waren insgesamt 250 Schiffe mit rund 100.000 Mann Besatzung beteiligt. Zwar ging die kaiserliche Hochseeflotte als Siegerin aus dieser Seeschlacht hervor, aber allen Verantwortlichen war klar, dass weitere Gefechte in dieser Größenordnung angesichts der großen zahlenmäßigen englischen Überlegenheit in kurzer Zeit den Untergang der deutschen Flotte bedeuten mussten.
Wachsender Widerstand der Matrosen
Bereits im Herbst 1916 verweigerten erstmals Matrosen auf der »Helgoland« den Gehorsam. Ende des Jahres schloss sich ein öffentlicher Protest durch das Aushängen eines Transparentes auf der »Posen« an. Die Matrosen bemängelten ausdrücklich die schlechte Behandlung, da sie für die Vorgesetzten nur der »Pöbel« seien. Im Frühjahr 1917 nahm der militärische Drill noch weiter zu. Beleidigungen waren alltäglich und wurden so gut wie nie geahndet.
Der »Steckrübenwinter« 1916/17 sorgte zusätzlich für eine katastrophale Versorgungslage bei den Matrosen und bei der Zivilbevölkerung, während die Verpflegung der Offiziere weiterhin gut blieb. Diese Ungleichbehandlung verstärkte die Unzufriedenheit der Matrosen ganz erheblich. Die Marineleitung ignorierte das Problem hartnäckig. Anfang des Jahres 1917 forderten einzelne Matrosen, sich gemeinsam gegen ihre unwürdige Lage aufzulehnen.
Im Mai 1917 trafen erstmals die Matrosen Willi Sachse, Willi Weber und Max Reichpietsch von der »Friedrich der Große« zusammen mit Albin Köbis und Hans Beckers von der »Prinzregent Luitpold«. Die fünf Matrosen waren sich schnell einig in der Beurteilung ihrer Lage auf den Schiffen, hatten aber in der Folge oft deutliche Meinungsverschiedenheiten darüber, wie eine wirkungsvolle Organisation aufgebaut werden sollte.
Die Matrosen unterhielten sich über sozialistische Lektüre wie die ab 1916 von Leo Jogiches herausgegebenen »Spartakusbriefe«. Auch die russische Revolution hinterließ einen tiefen Eindruck bei den deutschen Matrosen, da sie in ihr das Vorbild einer Veränderung politischer Verhältnisse sahen. Mit der Gründung der USPD am 6. April 1917 in Gotha bestand in Deutschland zudem eine Partei, die sich für einen schnell zu schließenden Frieden ohne Annexionen und Kontributionen aussprach.
Auf der »Friedrich der Große« fanden sich die Matrosen zu ersten Vertrauensmännerwahlen zusammen. Max Reichpietsch übernahm bald eine führende Position. Auf dieser ersten organisatorischen Grundlage fassten die Matrosen den Entschluss, sich gegen die miserable Verpflegung zu wehren. Die Marineleitung musste handeln. Sie genehmigte Anfang Juli 1917 »Menagekommissionen«, die den Matrosen eine Mitsprache bei der Verpflegung einräumten.
Gegen den Willen der Schiffskommandanten setzten die Matrosen die Wahlen zur »Menagekommission« durch. Mit dem Einblick in die Bücher hatten sie nun eine gute Kontrollmöglichkeit über die Einkäufe. Das Essen wurde tatsächlich besser, wenngleich eine Verpflegung wie die der Offiziere nie erreicht wurde. Ebenso wichtig war jedoch die psychologische Wirkung. Die Matrosen konnten den Offizieren erstmals offiziell legitimiert gegenübertreten, was ihr Selbstbewusstsein förderte.
Widersprüchliches Verhältnis zur USPD
Ganz entscheidend zur Entwicklung der Matrosenbewegung des Sommers 1917 trug der Kontakt einzelner führender Matrosen zur USPD bei, die auf der unmittelbar bevorstehenden Stockholmer Konferenz der Zweiten Internationale im Juni vertreten sein sollte. Um den Krieg schnellstmöglich zu beenden, erwogen die Matrosen eine organisierte Gehorsamsverweigerung als Unterstützung für die zu erwartenden politischen Beschlüsse der sozialistischen Parteien.
Das erste und auch wichtigste Treffen zwischen Max Reichpietsch, Wilhelm Dittmann und Luise Zietz fand während Reichpietschs Urlaub nach dem 12. Juni 1917 statt. Max Reichpietsch schilderte die Situation auf den Schiffen und betonte die politische Orientierung vieler Matrosen an den Zielen der USPD sowie ihren Wunsch, Mitglied zu werden. Für die politische Bildung auf den Schiffen wünschten sich seine Kameraden Informationsmaterial.
Wilhelm Dittmann reagierte zurückhaltend. Er war erfreut über die Zustimmung innerhalb der Hochseeflotte zur Politik der USPD und erklärte sich gerne bereit, legale, von der Zensur genehmigte Broschüren zur Verfügung zu stellen, warnte aber eindringlich vor politischen Versammlungen. Für Wilhelm Dittmann und Luise Zietz war die Förderung der politischen Einstellung der Matrosen das zentrale Anliegen. Eine Gehorsamsverweigerung war aus Sicht der USPD ausgeschlossen.
So waren die zurückhaltenden Beurteilungen durch die USPD auch für die weiteren Besucher Albin Köbis, Paul Calmus und Willi Sachse eher ernüchternd als aufmunternd. Wenn der Kontakt mit der USPD für die weitere Entwicklung für die Matrosenbewegung dennoch von entscheidender Bedeutung war, so lag das in erster Linie an Max Reichpietsch. Er wähnte die USPD grundsätzlich hinter den Zielen der Matrosen und glaubte trotz ihrer Warnungen an ihre Unterstützung.
Gründung des Soldatenbundes
Nach den Treffen zwischen Matrosen und USPD-Abgeordneten standen im Juli 1917 zwei Entwicklungen innerhalb der Bewegung im Vordergrund. Zum einen wehrten sich die Matrosen vermehrt gegen schlechte Behandlung und verdorbenes Essen, zum anderen versuchten sie, ihre Interessen in einer Organisation zu bündeln.
Anfang Juli 1917 fanden sich die Matrosen Willi Sachse, Max Reichpietsch, Albin Köbis und der Heizer Fischer von der »Pillau« in Kiel zusammen. Aus dieser konstituierenden Versammlung ging der Soldatenbund hervor. Einigkeit bestand darin, sich vermehrt gegen die Missstände an Bord zu wehren. Kontrovers diskutierten die Matrosen eine eventuelle Anlehnung an die USPD. Hans Beckers schlug vor, Ende August oder Anfang September organisiert den Gehorsam zu verweigern.
Die Nachricht von der Gründung des Soldatenbundes verbreitete sich schnell unter den Matrosen. Hans Beckers und Albin Köbis hatten die Aufgabe, Kontakte mit anderen Schiffen zu vertiefen. Ein erster Schritt des Bundes bestand in der gezielten Unterschriftensammlung für die Stockholmer Konferenz. Allein im IV. Geschwader kamen 5000 Unterschriften für die Friedenspolitik der USPD zusammen, die dem Wert der Listen allerdings skeptisch gegenüberstand.
Um die geplante Gehorsamsverweigerung durchführen zu können, knüpften die Matrosen Kontakte zum I. Geschwader. Am 25. Juli trafen sich die Besatzungen der »Friedrich der Große« und der »Rheinland«. Auch dort organisierten sich die Mannschaften gegen Ende Juli 1917. Am 20. Juli war es auf der »Pillau« zu einem ersten Ausmarsch von Matrosen gekommen. Sie entfernten sich unerlaubt vom Schiff, kamen aber nach kurzer Zeit zurück. Die Bestrafung fiel sehr milde aus.
Unterdessen wirkte der Leipziger Redakteur Alfred Herre in einer wichtigen Versammlung des Soldatenbundes mäßigend auf die Matrosen ein, hob aber die Bedeutung der Unterschriftensammlung hervor. Den Matrosen war nach Herres Rede klar, dass die Anwendung von Gewalt ihren sicheren Tod bedeutete. Sie wollten den Weg der Gehorsamsverweigerung beschreiten, um ihr Ziel eines baldigen Friedensschlusses zu erreichen.
Als in Folge dieser Versammlung die Flottenbewegung immer stärker anwuchs, trafen sich ihre herausragenden Vertreter um den 23. Juli 1917 im Wilhelmshavener Lokal »Tivoli«, um sich schiffsübergreifend in der Flottenzentrale zu organisieren. Sie war eine erforderliche Organisation für die geplante Gehorsamsverweigerung und blieb ohne Satzung oder Statut. Sie wurde von den führenden Persönlichkeiten auf den Schiffen getragen, wobei Max Reichpietsch im Zentrum der Bewegung stand.
Doch lag ihr Schwerpunkt weiterhin auf den einzelnen Schiffen, die autonom blieben. Der spontane Ausmarsch am 1. August und die Reaktion am folgenden Tag offenbarten, dass der Soldatenbund und die Flottenzentrale noch ganz am Anfang standen.
Matrosen als Speerspitze der Revolution 1918
Über ein Jahr später breitete sich eine Meuterei über die ganze Flotte und die Häfen schließlich auf die gesamte Arbeiterbewegung aus. Viele Matrosen erinnerten sich in diesem Moment an die willkürliche Erschießung von Albin Köbis und Max Reichpietsch ein Jahr zuvor. Die Verbitterung von damals trug in erheblichem Maße zu ihrem revolutionären Handeln bei. Der von Kiel ausgehende Sturm fegte den Kaiser hinweg, beendete den Krieg und ersetzte die Regierung durch einen Rat der Volksbeauftragten aus SPD und USPD.
Zum Autor: Christoph Regulski, geb. 1968, ist Historiker und befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Kaiserreich, Erster Weltkrieg und Novemberrevolution. Zuletzt erschienen eine Untersuchung über die Lebensmittelsituation 1914-1918 in Frankfurt am Main und das Buch über die Matrosenbewegung des Sommers 1917: »Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen«.
Schlagwörter: 1917, 1918, Matrosen, Novemberrevolution, Revolution