Der AfD-Parteitag in Riesa markiert eine weitere Häutung der Partei nach rechtsaußen. Der Faschist Björn Höcke hat klargemacht, wer in der AfD nunmehr das Sagen hat. Gegenwehr ist angesagt! Von Irmgard Wurdack und Gabi Engelhardt
Die Berichterstattung über den Bundesparteitag der AfD in Riesa Mitte Juni 2022 war schon vor dessen Beginn geprägt von schadenfrohen Kommentaren. Anlass waren die anhaltenden, offen und hart ausgetragenen Flügelkämpfe in der Partei, ihre Stimmenverluste bei den letzten Wahlen sowie die rückläufige Mitgliederentwicklung.
Die geringe Beteiligung von 350 bis 500 Antifaschist:innen am Gegenprotest in Riesa war auch Ausdruck dieses unangebracht voreiligen Abgesangs auf die AfD. Doch wenngleich die AfD in der Krise steckt, gibt es keinen Anlass zur Entwarnung.
AfD: Anhaltend gefährlich
Zum einen mangelt es der AfD nach wie vor nicht an Geld. Nach eigenen Angaben hat sie allein 2020 6 Millionen Euro Gewinn gemacht. Kein Wunder also, dass die Partei Anfang Juli das ehemalige Kornhaus in Meißen ersteigern will, um dort ein Zentrum unter anderem zum Aufbau und zur Schulung von Kadern einzurichten.
Auch die Tatsache, dass die AfD auf ihrem Parteitag in Riesa beschlossen hat, ihren Kurs der Faschisierung fortzusetzen, wodurch sie Gefahr läuft, weitere Anhänger:innen zu verlieren, die nicht bereit sind, diesen Weg mitzugehen, stellt keinen Grund zur Entwarnung dar. Der »Führer im Wartestand«, der Nazi und Chef des nur formal aufgelösten, offen faschistischen »Flügels«, Björn Höcke, ist nach Riesa klar gestärkt. Er konnte auf dem Parteitag wichtige strategische Weichen stellen hin zu engeren Verbindungen zu außerparlamentarischen rechten und rechtsoffenen Straßenbewegungen und damit zu einer strategischen Ausrichtung der AfD auf eine Kernwähler:innenschaft rechtsaußen.
Dass die Partei dadurch unter Umständen zunächst Wähler:innen und Mitglieder in der bürgerlichen »Mitte« — insbesondere im Westen — verschrecken und verlieren könnte, beeindruckt Höcke und die Seinen wenig. Austritte von teils prominenten Funktionär:innen kassierte die AfD seit ihrer Gründung bisher bei jeder ihrer Häutungen.
Keine reine Ostpartei
Hinzu kommt: In Riesa hat die AfD keineswegs die westdeutschen Bundesländer und das Ziel einer gesamtdeutschen Partei aufgegeben und damit ihren politischen Niedergang eingeläutet. Schließlich liegt ein Grund für die Attraktivität der AfD auch in Ostdeutschland darin, dass sie nicht auf den Osten beschränkt, sondern auch im Westen verankert ist.
Der Politikwissenschaftler und AfD-Beobachter Alexander Häusler warnt ebenfalls eindringlich davor, die AfD totzureden und darauf zu vertrauen, dass sie von allein zur reinen Ostpartei oder sich gar selbst zerlegen würde: »Die AfD ist natürlich trotzdem im Westen noch da. Sie hat, wenn man das mit anderen Rechtsaußen-Parteien vergleicht, wie den Republikanern oder der NPD, noch erheblich mehr Einfluss. Sie hat das Rechtsaußen-Lager über die Maßen hinaus stark gemacht in Deutschland.«
Dass es zu weiteren, größeren Stimmenverlusten, Austritten oder gar Abspaltungen kommt, ist kein Selbstläufer — weder im Osten noch im Westen der Republik. Dies wird weiterhin davon abhängen, ob es große, gesellschaftlich breite Proteste gegen die öffentlichen Auftritte der AfD und ihre Bündnispartner gibt. Schließlich steckt die Partei bundesweit gerade wegen der unzähligen großen und kleineren Gegendemos, Kundgebungen, Mahnwachen und Proteste in der Krise. Hinzu kamen antirassistische Massenmobilisierungen von Seebrücke, Unteilbar, WirSindMehr, Migrantifa oder Black Lives Matter, die jenseits der Hetze der AfD eine andere Vision der Gesellschaft deutlich gemacht haben, ebenso wie die junge Klimagerechtigkeitsbewegung und die feministischen Kämpfe.
Umso wichtiger ist es, an diese Erfolge anzuknüpfen. Wenn die AfD in der Krise steckt, liegt es auch an uns, ob sie sich erholt, oder weiter hineingestoßen wird – in Ost und West. In Baden-Württemberg und Niedersachsen organisieren wir deshalb in breiten Bündnissen Proteste gegen die dort geplanten AfD-Landesparteitage am 2. Juli.
Ukrainekrieg und die Folgen
Zusätzlich zu ihrer rechten und rassistischen Hetze versucht die AfD von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, der Energiekrise, der Inflation und der gesellschaftlichen Polarisierung in der Debatte um den Klimawandel und die Gegenmaßnahmen zu profitieren.
»Eine Inflationsrate von zehn Prozent ist noch gar nichts, wir werden noch mehr sehen«, schwört Alice Weidel die AfD auf die kommenden sozialen Kämpfe ein. Die AfD sei die einzige Partei, die Probleme löse, zitiert der »Spiegel« die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, die nun auch neu gewählte Bundessprecherin ihrer Partei ist.
DIE LINKE, die auf ihrem Bundesparteitag in Erfurt beschlossen hat, den Kampf gegen Teuerung, Hochrüstung und Klimawandel an der Seite der Beschäftigten und der sozialen Bewegungen anzugehen, muss dies mit dem Kampf gegen rechts und die AfD verbinden.
Durchmarsch von Björn Höcke in Riesa?
Inhaltlich und personell gab es auf dem Parteitag in Riesa gleich mehrere richtungsweisende Debatten und Entscheidungen: So wurde die Pseudogewerkschaft »Zentrum Automobil« mit ihren engen personellen und politischen Verflechtungen mit Stiefelnazis, der Rechtsrock- und neurechten Szene vom »Compact«-Magazin bis zur »Identitären Bewegung« mit deutlicher Mehrheit von der Unvereinbarkeitsliste gestrichen. »Wer Extremist ist und von wem wir uns abgrenzen, das macht keine Regierungsbehörde.« Das bestimme die AfD schon selbst, so Höcke in seiner Fürrede.
Ein Antrag, das Auftrittsverbot für Andreas Kalbitz aufzuheben, wurde zwar schon am ersten Tag von der Tagesordnung gestrichen. Bemerkenswert ist dennoch, wie knapp die Entscheidung ausfiel: 46 Prozent der Delegierten hätten gerne abgestimmt.
Ein Antrag für die Option auf eine Einzelspitze – bis dahin sah die Satzung der AfD zwei bis drei Sprecher:innen vor – wurde schon zu Beginn des Parteitags von Höcke selbst eingebracht und mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen. Höcke beendete seine Fürrede mit Blick auf die nächste Vorstandswahl (regulär 2024) selbstsicher mit den Worten: »Dann wählen wir dieses Mal eine Zweierspitze und nächstes Mal eine Einerspitze.«
Personelle Weichenstellungen in Riesa
Als Doppelspitze gewählt wurden der sächsische »Flügel«-Unterstützer Tino Chrupalla sowie die Rassistin und Marktradikale Alice Weidel, die mit Höcke längst einen Burgfrieden geschlossen hat. Chrupalla stellte schon zuvor zusammen mit dem mittlerweile aus der Partei ausgetretenen Jörg Meuthen die Doppelspitze.
Der Aufstand von Joana Cotar, Joachim Wundrak, Rüdiger Lucassen und anderen aus dem ehemaligen Meuthen-Lager gegen Chrupallas erneute Kandidatur und das von ihm vorgeschlagene Team geriet zum bloßen Sturm im Wasserglas: Die neue Doppelspitze setzte sich deutlich von ihren Kontrahenten Norbert Kleinwächter und Nicolaus Fest aus dem nationalkonservativen Lager ab. Die beiden waren dafür angetreten, die Partei, wie zuvor schon von Meuthen gefordert, von offen faschistischen Kräften zu distanzieren und statt auf die Straßen und Plätze auf die Parlamente zu orientieren.
Als Beisitzerin nicht gewählt wurde die Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach (Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung) aus dem Lager von Beatrix von Storch, der zuvor noch am ehesten nachgesagt wurde, sie verfüge über mobilisierungsfähige Netzwerke innerhalb der AfD. Steinbach unterlag klar gegen den Rechtsaußen Peter Boehringer aus Bayern. Auf den anderen Plätzen bekam Chrupalla seine Lieblingskandidat:innen ebenfalls durch. Mit Christina Baum, Harald Weyel und Maximilian Krah sind zusätzlich drei enge Höcke-Vertraute im neuen Vorstand.
Wie stark der Einfluss der offenen Faschist:innen in der Partei ist, zeigte auch die Wahl des Bundesschiedsgerichts. Dort wurde unter anderem Gereon Bollmann gewählt, der ehemalige Präsident des Landesschiedsgerichts Schleswig-Holstein, das die »Flügel«-Frau Doris von Sayn-Wittgenstein nicht aus der AfD ausschließen wollte. Von den sächsischen Delegierten umjubelt wurde Roland Ulbrichs Wahl ins Bundesschiedsgericht, der seine Kandidatur damit begründet hatte, dass es mit ihm keine PAV[Parteiausschlussverfahren]-Orgien geben« werde.
Streit um AfD-Außenpolitik
Die Demonstration der Einheit der Partei bei den vergleichsweise harmonisch verlaufenen Vorstandswahlen währte nur kurz und wurde zunichte gemacht durch eine Resolution Höckes zur künftigen Außenpolitik, der EU und Russland.
Der Text sah eine »einvernehmliche Auflösung der EU und Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft« vor, was dem früheren »Dexit«-Beschluss der Partei nahekommt. Vielmehr, so Höcke bei der Einbringung, brauche es eine »Festung Europa«, die nur noch beim Grenzschutz zusammenarbeiten soll.
Außerdem schreiben die Verfasser:innen verharmlosend von einem »Ukraine-Konflikt« und plädieren für einen »Ausgleich mit Russland«.
Das Papier strotzt vor verschwörungsideologisch aufgeladenen, neurechten Sprachfiguren und Codes (»dog whistles«) von Neonazis und Verschwörungsgläubigen: »Globalisten« arbeiten angeblich gegen Nationalstaaten, »abgehobene Eliten« und skrupellose »Kader hoch bezahlter Bürokraten« seien »geopolitische Schlafwandler« und »zu Akteuren einer forcierten Globalisierung herabgesunken, während die Bevölkerungen dem Erziehungsprogramm der politischen Korrektheit unterzogen wurden«. Die Folgen seien »die Preisgabe menschlich-sozialer Gewissheiten, ein fehlender Wille zur Selbstbehauptung und der Verlust der Wehrhaftigkeit«.
Riesa: Machtdemonstration der Faschist:innen
Die Resolution geriet zur Machtdemonstration der offen faschistischen Höcke-Anhänger:innen und zur Kraftprobe mit der eben erst gewählten Doppelspitze. Erst nach stundenlanger, aufreibender Debatte konnten sich die Delegierten dazu durchringen, die Resolution nicht abzustimmen, sondern an den neuen Vorstand zur Überarbeitung zu überweisen.
Die neuen Bundessprecher:innen wirkten in der Debatte komplett hilflos mit ihren kläglichen Versuchen, die Resolution zur Überweisung an den neuen Vorstand abzubügeln. Weidel kritisierte rein formal, der Text sei sprachlich »unseriös« und enthalte »unspezifische, wulstige Sätze«. Andere warnten, dass man mit derlei Formulierungen und Forderungen weiter Wählerstimmen, vor allem im Westen, verlieren werde.
Leidenschaftliche Unterstützung dagegen bekam Höcke von seinen Fürsprecher:innen im neuen Bundesvorstand. Rechtsaußen MdL Tillschneider aus Sachsen-Anhalt betonte, der Antrag enthalte »genau die Begriffe und die Orientierungen, die wir als Botschaft nach außen schicken müssen. Der Gegensatz zwischen Globalisten und Nationalstaaten – das ist der Weltkampf, in dem wir stehen, und das wird hier klar und deutlich benannt.«
Der Parteitag wurde schließlich beendet, bevor weitere brisante Anträge beraten werden konnten. Darunter war auch ein Antrag von Höcke zur Einrichtung einer »Kommission zur Vorbereitung einer Parteistrukturreform« (mit ihm als Leiter), die unter anderem die Basis ebenso wie Verbindungen zu rechten und rechtsoffenen Straßenbewegungen und das Gewicht der radikalen Parteijugend hätte stärken sollen – Maßnahmen, die Höcke auch formal gestärkt hätten. Letztlich hat Höcke aber auch ohne die Abstimmung klar gemacht, dass er in der AfD nunmehr das Sagen hat, während Chrupalla und Weidel schon jetzt wie Platzhalter von Höckes Gnaden wirken.
Irmgard Wurdack ist Bundesgeschäftsführerin des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« und aktiv in der LINKEN in Berlin-Neukölln.
Gabi Engelhardt ist aktiv bei »Aufstehen gegen Rassismus« und der LINKEN in Chemnitz.
Foto: PantheraLeo1359531 / via Wikimedia.org
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Höcke