Über die Berufswahl von Jugendlichen entscheidet in Deutschland meist immer noch ihre Herkunft. Erstmals wird in einer Studie untersucht, wie Firmen Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellenvergabe gezielt benachteiligen. Von Corinna Maschke
Mit ihrer Studie »Diskriminierung in der beruflichen Bildung« schlägt die Autorengruppe eine Bresche in ein bislang von der Sozialforschung vernachlässigtes Feld. Anhand von Interviews in kleinen, mittleren und großen Unternehmen in Baden-Württemberg untersuchen Scherr, Janz und Müller die Auswahlprozesse bei der Lehrstellenvergabe. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen, warum und auf welche Weise Jugendliche mit Migrationshintergrund auf dem Ausbildungsmarkt benachteiligt werden und was dagegen getan werden kann.
Die Ergebnisse der Befragungen stellt die Autorengruppe am Anfang des Buchs in Form von 14 Thesen vor. Beispielsweise lautet eine dieser Thesen, dass gegenüber Bewerberinnen und Bewerbern, die als muslimisch wahrgenommen werden, eine spezifische Ausprägung von Diskriminierungsbereitschaft herrscht. Somit bieten die Thesen einen guten Überblick über die Gründe, warum Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Personalabteilungen Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund diskriminieren.
Muslime diskriminiert
Wichtig ist der Autorengruppe, die Benachteiligung im Bereich beruflicher Bildung in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang einzuordnen. Dazu setzt sie sich detailliert mit dem Begriff »Migrationshintergrund« auseinander und untersucht, wann er wie und in welchem Zusammenhang benutzt wird. Dabei wird zum Beispiel das späte Bekenntnis der Regierung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, als bestimmend für den gesellschaftlichen Diskurs um »die Migranten« benannt. So wird deutlich, wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft es seit Generationen nicht schafft, von der Kategorie »Migrationshintergrund« abzusehen, und damit Rassismus immer weiter reproduziert.
Damit stellen die Autorin und die Autoren klar, dass die Benachteiligung, die angehende Auszubildende erfahren, nicht als isoliertes Problem betrachtet werden kann. Nicht nur die Betriebe müssen ein Bewusstsein für Diskriminierung entwickeln, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen werde das Problem immer noch zu wenig thematisiert.
Merkmal Kopftuch
Im empirischen Teil der Studie werden fünf Fallbeispiele aus der Befragung in Unternehmen vorgestellt. Die Beispiele geben einen guten Überblick darüber, wie bei der Ausbildungsplatzvergabe abhängig von Ort, Branche oder Personalzusammensetzung im Betrieb entschieden wird. Leider erfährt man nicht, wie viele Unternehmen an der Befragung teilgenommen haben.
Kopftuchtragende Muslimas und Jugendliche mit Hauptschulabschluss werden als besonders stark von Diskriminierung betroffene Gruppen herausgestellt.
Vorschläge für Maßnahmen, wie die Diskriminierung im Bereich der beruflichen Bildung verringert werden kann, bilden den etwas kurz ausgefallenen Schluss des Buchs. Hier fordert die Autorengruppe vor allem eine stärkere Verantwortung des Staats ein.
Institutioneller Rassismus
Trotz dieses Mankos ist die Studie von Scherr, Janz und Müller ein wichtiger Anstoß für die Ausweitung der Erforschung von Diskriminierung im Bildungssystem auf die Berufsbildung. Das Autorenteam hat die Gratwanderung gemeistert, institutionellen Rassismus, der auf Gesetzen und gesellschaftlichen Normen beruht, zu benennen, und gleichzeitig die Betriebe, Personalerinnen und Personaler sowie andere Akteure der Mehrheitsgesellschaft nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Damit gibt das Buch einen wichtigen Einblick in die Vielschichtigkeit der Diskriminierungen in der beruflichen Bildung.
Zu empfehlen ist die Studie vor allem Betriebsräten und Personalverantwortlichen, aber natürlich auch Studierenden der Sozialwissenschaften und allen, die sich gegen Diskriminierung einsetzen.
Das Buch:
Albert Scherr/Caroline Janz/Stefan Müller:
Diskriminierung in der beruflichen Bildung. Wie migrantische Jugendliche bei der Lehrstellenvergabe benachteiligt werden
Springer VS
Berlin 2015
200 Seiten
24,99 Euro
Foto: a_kep
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Gewerkschaft, Kopftuch, Kopftuchdebatte, Kopftuchverbot, Muslima, Muslime, Rassismus