Der Kapitalismus steckt seit Längerem in der Krise. Doch in der multiplen Krise kommt alles zusammen: Wirtschaftskrise, Klimakrise, Corona und Krieg. Thomas Walter kommentiert
Die Weltwirtschaft kommt aus den Krisen nicht mehr heraus. Schon 2009, erstmalig seit dem Zweiten Weltkrieg, schrumpfte die Weltwirtschaft wegen der damaligen Finanzkrise. Wegen Corona schrumpfte die Weltwirtschaft abermals, im Jahr 2020 um 3 Prozent. In Deutschland hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) immer noch nicht sein Niveau von vor Corona erreicht. Die US-Wirtschaft schwächte sich im ersten Vierteljahr 2022 ab. Der russische Krieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 kommt jetzt neu hinzu. In Ländern wie Deutschland konnte der Staat bislang größere Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt mithilfe von schuldenfinanzierten Staatsausgaben abmildern. Wenn rechte Ökonomen auf die Staatsverschuldung schimpfen, meinen sie diese staatlichen Hilfen.
Die Coronakrise ist nicht vorbei. Dieselben Kriegstreiber, die am liebsten die Sanktionen gegen Russland gleich auf China ausgeweitet hätten, jammern jetzt, dass China mit seiner Anticoronapolitik die Weltwirtschaft behindert. Vor den Häfen stauen sich die Schiffe, die wegen der Pandemie ihre Waren nicht abladen können.
Die Autoproduktion in Deutschland hat sich von 500.000 Autos je Monat 2017 auf inzwischen 300.000 Anfang 2022 verringert. Auch die Bauwirtschaft hat Probleme, da Russland und die Ukraine wichtige Lieferanten von Baustahl sind. Außerdem ist die Herstellung vieler Baumaterialien energieintensiv. Steigende Energiepreise machten schon vor dem Krieg viele Waren teurer.
Steigende Unsicherheit
Prognosen sind derzeit noch unsicherer als sonst. Wie immer spiegeln sie Interessen wider. Industrien, die von russischen Importen abhängen, warnen vor Sanktionen und wollen dies mit dramatischen Prognosen untermauern. Kriegstreiber wollen gegenüber Putin Stärke zeigen und spielen die Belastungen herunter.
Jedenfalls erwarteten im April 2022 weder die Welthandelsorganisation (WTO) noch der Internationale Währungsfonds (IWF) für die Weltwirtschaft einen Rückgang. Russland hat an den Warenexporten der Welt und am Welt-BIP nur einen Anteil von jeweils 2 Prozent. Aber Russland und die Ukraine liefern wichtige Rohstoffe, insbesondere landwirtschaftliche Produkte. Der Weizenpreis lag jahrelang bis Ende 2020 bei 180 Euro je Tonne. Im Mai kostete eine Tonne deutlich über 400 Euro. In Ostafrika sind 20 Millionen Menschen von Hunger bedroht.
Für Deutschland erwarteten die sechs Institute der Gemeinschaftsdiagnose und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Stand April 2022, ebenfalls keinen Rückgang des BIP. Für die Zahl der Arbeitslosen erwarten sie für 2022 und 2023 jeweils 2,3 Millionen nach 2,6 Millionen im Jahr 2021. Bei einem starken Importstopp von Energie aus Russland würde die deutsche Wirtschaft 2023 aber schrumpfen. Es könnte dann bis zu 2,8 Millionen Arbeitslose geben. Inzwischen, Stand Mai, werden die Alarmrufe allerdings immer lauter.
Globalisierung rückläufig
Die multiple Krise setzt der Globalisierung zu. Es war einmal: »Es hat noch nie zwischen zwei Ländern Krieg gegeben, in denen es McDonald’s gibt.« Das hat die Nato schon mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien zerbombt. Inzwischen berechnet die WTO, was langfristig passieren könnte, wenn sich die Weltwirtschaft in zwei feindliche Blöcke aufspaltet, hier USA, EU, Japan, Australien und Neuseeland, dort China und Russland. Länder wie Indien lavieren sich dazwischen durch und natürlich gibt es auch innerhalb der Blöcke Konkurrenz.
Nach den WTO-Berechnungen läge langfristig das BIP in Russland um 10 Prozent niedriger als ohne diese geostrategische Spaltung. In Indien wäre das BIP um 9 Prozent, in China und in den Entwicklungsländern um 7 Prozent niedriger. Japan und die EU verlieren 4 Prozent, die USA 1 Prozent. Im Vergleich zwischen EU und USA zeigt sich die besondere Betroffenheit der EU durch diese geostrategische Spaltung. Insbesondere der deutsche Kapitalismus mit seiner bislang billigen Energie aus Russland und guten geschäftlichen Beziehungen nach China ist herausgefordert. Das deutsche Kapital hofft auf eine Wiederauflage eines Freihandelsabkommens mit den USA, was bislang am US-Widerstand scheiterte. Die CSU träumt von einer »Wirtschafts-Nato«. Doch die USA werden die russische und chinesische Konkurrenz nicht durch die Vordertür rauswerfen, damit die deutsche Konkurrenz durch die Hintertür wieder hereinkommt.
Der mörderische Konkurrenzkampf zwischen den kapitalistischen Staaten führt zu noch mehr Umweltschäden und zu höheren Militärausgaben. In Deutschland zum Beispiel sind die Treibhausgasemissionen 2021 um 4,5 Prozent gestiegen. Die Weizenernte in Indien und Pakistan ist durch die dortigen Hitzewellen bedroht. Doch Länder wie die USA oder Russland verschwenden 4 Prozent ihres BIP für Rüstung.
Klassenkampf
Aus Sicht der Herrschenden gibt es noch eine Gefahr: Klassenkampf. Die Menschen vor Ort protestieren und fordern, dass die Regierungen ihre knappen Rohstoffe nicht exportieren, sondern an die eigene Bevölkerung liefern. Schon im Januar war es wegen hoher Gaspreise zu Unruhen im Gaslieferant Kasachstan gekommen, die von russischen Truppen niedergeschlagen wurden. Jetzt hat Indonesien nach Protesten die Ausfuhr von Palmöl gedrosselt. Indien stoppt die Weizenausfuhren. Schon vor dem Krieg sanken Putins Umfragewerte, weil er die Altersversorgung verschlechtert hat. In China wehren sich die Menschen gegen die drakonischen Maßnahmen gegen Corona zulasten der Bevölkerung. In Sri Lanka leiden 22 Millionen Einwohner unter einem Mangel an Lebensmitteln, Treibstoffen und Medikamenten, unter Stromausfällen und einer immensen Inflation. Sie wehren sich mit einem Generalstreik. Der Kampf geht weiter: »Wir zahlen nicht für eure Krise!«
Schlagwörter: Coronakrise, Klimakrise, Krieg, Krise