Die Morde von Hanau müssen ein Weckruf sein, sich Rassismus bedingungslos entgegenzustellen und migrantische Kämpfe zu stärken, meint Jules El-Khatib
Jules El-Khatib ist stellvertretender Landessprecher der Linken NRW und Redaktionsmitglied der Freiheitsliebe
Hanau ist eine Zäsur. Nicht, weil es vorher keinen Rassismus in Deutschland gab. Auch nicht, weil es vorher keine rassistische Gewalt gab. Und noch nicht einmal, weil es vorher keine rassistischen Morde gab. Hanau ist deshalb eine Zäsur, weil deutlich wurde, dass der rassistische Terror alle Migrantinnen und Migranten, Muslime, Juden und Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Land treffen kann – immer und überall. Die Antwort darauf kann nicht Rückzug lauten, sondern nur die Unterstützung migrantischer Kämpfe durch Linke.
Rassistische Razzien
Hanau, das ist der rassistische Mord an neun Menschen in Shishabars. Die Shishabar wurde gewählt, weil sie durch die Medien und die etablierte Politik zu einem Ort gemacht wurde, der für Kriminalität und Desintegration zu stehen scheint. Politiker, wie der nordrheinwestfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) und der Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel (SPD) haben diese Stimmung geschürt. Während SPD und CDU angaben, nur gegen Kriminelle vorgehen zu wollen, wurde die AfD deutlicher und setzte Shishabars allgemein mit Islamisierung, Terror und Kriminalität gleich.
Die Razzien in den Cafés – Woche für Woche, von schwerbewaffneten Polizeibeamten – brachten egal wo, wenig zutage: Mal wurde etwas unverzollter Tabak gefunden, mal wurden Hygieneverstöße festgestellt. Schützenhilfe gab es von den Medien: Kritische Nachfragen, warum man sich auf Kleinstdelikte stürzt, während von deutschen Superreichen und ihren Konzernen Milliarden hinterzogen werden, kamen nicht auf. Auch nach den rassistischen Morden wurde die Praxis nicht beendet, sondern soll weiter fortgeführt werden, wie sowohl Reul als auch Hikel in Stellungnahmen erklärten.
Migrantischer Widerstand nach Hanau
Die ersten, die auf diese Stellungnahmen reagierten, waren die Aktivistinnen und Aktivisten vom Bündnis »Kein Generalverdacht«, welches sich gegen die Gleichsetzung von Shishabars mit Kriminalität und arabischstämmigen Migranten mit Verbrechern stellt.
Doch auch bundesweit wurde bei den Protesten nach Hanau deutlich gemacht, dass es endlich ein Ende der Stigmatisierung braucht. In verschiedensten Reden und Stellungnahmen wurde darauf hingewiesen, dass die Blindheit des Staats auf dem rechten Auge bei gleichzeitigem Fokus auf migrantische Strukturen diese Tat befördert hat.
Bedingungslose Solidarität
Spätestens nach Hanau muss es Aufgabe der deutschen Linken sein, sich mit aller Kraft gegen Rassismus, rechte Stimmungsmache und Gewalt zu stellen. Dafür ist es nicht relevant, ob diejenigen, gegen die gehetzt wird, in das linke Weltbild passen. Migrantinnen und Migranten sowie ihre Orte der Sicherheit müssen verteidigt werden, ohne dass diese einen Gesinnungstest ablegen.
Das bedeutet konkret, Shishabars oder Moscheen gegen Anfeindungen zu verteidigen, auch wenn die darinsitzenden Menschen keine Linken sind, vielleicht sogar ein konservatives Weltbild haben. Rassismus darf nicht toleriert werden, nur weil man mit den Opfern nichts anfangen kann.
Migrantische Organisierung und die Linke
Das kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Entscheidend ist es, Migrantinnen und Migranten einen Ort zu bieten, an dem sie sich organisieren können. Die gesellschaftliche Linke und auch die Partei DIE LINKE muss auf sie zugehen. Die Werbung für antirassistische Proteste muss in migrantisch-geprägten Stadtteilen stattfinden, nicht vor Autonomen Zentren und linken Szenekneipen. Statt linkem Szenesprech muss die Ansprache angepasst werden an die Sprache einer Jugend, die täglich Rassismus erlebt.
Entscheidend ist aber, dass die Proteste und Aktionen des Widerstands gegen Rassismus, rechten Terror und Rechtsruck ein migrantisches Gesicht bekommen, dass unter den Redenden auch Betroffene sind und dass ihre Interessen und Organisationen berücksichtigt werden.
Foto: Demokratische Föderation der Gesellschaften Kurdistans e.V.
Schlagwörter: Antirassismus, Inland, Rassismus