In »Carbonia. Wir waren alle Kommunisten« erzählt der kürzlich verstorbene Chronist der autonomen Arbeiterrevolten Italiens, Nanni Balestrini, die Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand des Schicksals eines militanten Arbeiters. Florian Wilde hat das Buch für uns rezensiert
Die Arbeiter können nur gewinnen, wenn sie sich selbst organisieren und ihre Kämpfe mit aller Entschlossenheit und Härte führen –dies ist die zentrale Botschaft des letzten Buches von Nanni Balestrini, dem kürzlich verstorbenen literarischen Chronisten der autonomen Arbeiterrevolten Italiens. Es basiert auf Interviews, die er in den 1970er Jahren mit sardischen Bergarbeitern geführt hatte, und nun zu einer atemlosen Erzählung verdichtet, in der der namenlose Protagonist ohne Punkt und Komma die Geschichte seines bewegten Lebens schildert.
Nach erstem Engagement in der Resistenza inhaftiert und in ein norddeutsches Konzentrationslager verschleppt, erlebt er die bestialische Grausamkeit der Nazis am eigenen Leib und kann seiner Vernichtung durch Arbeit bei der Entschärfung von Bomben in Kiel nur knapp entgehen. Dort lernt er auf der HDW-Werft einen kommunistischen Arbeiter kennen, der 1918 beim Matrosenaufstand dabei war und ihm die Geschichte dieses Aufstandes schildert. Gemeinsam mit russischen Kriegsgefangenen versuchen sie unter gefährlichsten Bedingungen, antifaschistische Widerstandsstrukturen aufzubauen.
Carbonia: Aus dem KZ auf die Barrikaden
In den 50ern findet er Arbeit in den Minen der Bergarbeiterstadt Carbonia auf Sardinien und nimmt an den militanten Kämpfen der kommunistischen Bergleute teil, die sich massenhaft und mit dem Einsatz von Knüppeln, Barrikaden und Bomben immer wieder gegen die Konzerne und die Polizei durchsetzen können: »ich habe aus dem Kampf in Carbonia viel gelernt zum Beispiel habe ich gelernt dass wir nur auf unsere eigene Stärke zählen konnten denn wer hat uns in Wahrheit geholfen bei unserem Kampf in Carbonia niemand absolut niemand die Leute welche den Kampf gewonnen haben waren die Bergwerker die Frauen die Kinder alle Leute aus Carbonia und wie sie gewonnen haben sie haben gegen die Polizei gewonnen gegen die Carabinieri gegen die Polizeibusse gegen die gepanzerten Wagen in Verwendung aller Methoden des Kampfes und in Verwendung von allen Waffen die sie hatten vom Messer bis zum Gelatin es gab einige Verhaftungen einige Leute endeten im Gefängnis oder im Spital einige starben aber wir haben immer bekommen was wir wollten weil wir uns genommen haben, was wir wollten. (…) das haben wir vor 20 Jahren in Carbonia gemacht wo nur noch das Streichholz gefehlt hat um die Lunte anzuzünden wo wir alle Kommunisten waren eine kompakte Arbeiterklasse weil alle hier in der Mine lebten.« (S.61)
das erste was diese Schweine vergessen können ist die Ruhe mit der sie uns all das Geld rauben
Nicht minder militant werden die proletarischen Kämpfe für ein Recht auf Wohnen und gegen Zwangsräumungen in den 70er Jahren geschildert: »und dann sagen sie es gibt eine Krise und sie erhöhen die Mieten aber die Löhne bleiben niedrig und so passiert es dann dass sie die Hälfte der Löhne für die Miete zurückholen und das ist der Grund warum wir so wütend sind und den Hass haben den wir haben und deshalb rebellieren wir gegen diesen Stand der Dinge und das erste was diese Schweine vergessen können ist die Ruhe mit der sie uns all das Geld rauben und sie können auch vergessen dass sie uns einfach mit ihrer Polizei aus dem Wohnungen hinausschmeissen wann immer sie wollen«. (S.16)
Hass auf die Ausbeuter und ihren Staat
Das schmale Büchlein führt keine Strategiediskussionen, das Verhältnis des Erzählers zu reformistischen Massenorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften bleibt ambivalent. Eindeutig und eindringlich sind hingegen sein Hass auf die Ausbeuter und ihren Staat – und die Überzeugung, dass die Arbeiter sich selbst organisieren müssen und sich nur selbst in mit aller Härte geführten Klassenkämpfen befreien können: »weil da gibt es keine zwei Möglichkeiten was zu tun ist das ist die einzige Methode und so ist es immer gewesen das habe ich aus allen meinen Erfahrungen in allen diesen Kämpfen gelernt die ich in meinem Leben über all die Jahre ausgefochten habe weil sie werden wohl kaum alles zurückgeben was sie von uns Tat für Tag für so lange Zeit gestohlen haben und sie werden kaum bereit sein uns alles zurückzugeben einfach so weil wir so ein nettes Lächeln haben und es gibt keine Möglichkeit hier einen pragmatischen Weg zu erfinden es ist eine Sache Wir oder Sie und es geht darum wer gewinnt oder wer verliert es ist wie in allen Kriegen die Seite die gewinnt ist die Seite die am härtesten kämpft die bis zum Ende geht die alles einsetzt was sie hat wir haben viele Kämpfe verloren und wir werden andere noch verlieren aber wir haben auch schon einige gewonnen und wir werden immer weiter kämpfen kontinuierlich und immer weil es sind wir die gewinnen müssen am Ende.« (S.79f)
Offen bleibt dabei die Frage, ob und wie solche militanten Arbeiterkämpfe und -biographien auch unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts möglich sind –oder ob die hochgradig prekarisierte Arbeiterklasse nicht ganz neue und andere Figuren und Formen der Kämpfe hervorbringen muss. Aber auch dafür kann das in diesem Büchlein transportierte Wissen um das Klassenbewusstsein und die Militanz eines Teils der noch sehr kompakten Industriearbeiterschaft des 20. Jahrhunderts Ermutigung und Inspiration sein.
Das Buch:
Nanni Balestrini
Carbonia. Wir waren alle Kommunisten
Verlag bahoe books
2. überarbeitete Auflage
Wien 2017.
88 Seiten
8,80 Euro
Schlagwörter: Autonome, Buch, Bücher, Italien, Kultur, Rezension