Der Nazi-Skandal in der Bundeswehr um den Offizier Franco A. ist kein Einzelfall, sondern Folge der strukturellen Durchsetzung des deutschen Militärs mit rechter Ideologie. Von Matthias Danyeli
Mit Franco A. und seinen zwei mutmaßlichen Mitstreitern sind drei Neonazis aufgeflogen, die als Offiziere in der Bundeswehr tätig waren. Sowohl ihre Nazi-Gesinnung, als auch der Plan von Franco A., einen Terroranschlag als vermeintlicher Geflüchteter zu vollziehen, ist nun an die Öffentlichkeit gelangt.
Ein rechtes Terrornetzwerk innerhalb der Bundeswehr markiert ohne Zweifel eine neue Qualität faschistischer Umtriebe innerhalb der Truppe. Doch rechtsextreme Vorfälle sind im deutschen Militär bei Weitem kein Einzelfall. In den letzten Jahrzehnten waren tausende Neonazis in der Bundeswehr aktiv. Nach einer Statistik des Bundesverteidigungsministeriums gab es von 1998 bis 2013 bei den Streitkräften 2087 Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund. Darin seien 2085 Personen verwickelt gewesen — vom einfachen Soldat bis zum Offizier. Die meldepflichtigen Verdachtsfälle sind heute, mit zwischenzeitlichen Hochphasen um die Jahrtausendwende, trotz Verringerung der Truppenstärke seit 1992 von 445.000 auf 177.000 Soldaten auf demselben Niveau wie damals. Das Zeigen des Hitlergrußes, »Sieg-Heil«-Rufe — unter anderem sogar als Begrüßung von Vorgesetzten — bis hin zum Singen von Nazi-Liedern sind keine Seltenheit in deutschen Kasernen.
Ehre, Treue zum Vaterland und Stärke
Die gemeldeten Verdachtsfälle sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Die Internetseite Bento zitiert Dominik Brück, der von 2004 bis 2013 bei der Bundeswehr arbeitete. Für seine Masterarbeit mit dem Thema »Innere Führung bei der Bundeswehr« interviewte er Offiziere. Sein Fazit: Eine Mehrheit habe »eine äußerst konservative Einstellung« und könne sich »mit nationalistischem Gedankengut identifizieren«, insbesondere auch in ihrer Geschichtsauffassung. »Der Blitzkrieg gegen Polen im Zweiten Weltkrieg wurde von vielen meiner Kollegen als große soldatische Leistung gewürdigt. (…) Die Befragten sehen sich als Teil einer Elite, als Helden, die in den Kampf ziehen und im Notfall ihr Leben opfern würden. (…) Immer wieder sprach man von Ehre, Treue zum Vaterland und Stärke – ganz in der Wehrmachtstradition«, so Dominik Brück.
Auch ein anderer Insider bestätigt dies. Christian Weißgerber war als junger Mann ein aktiver Neonazi. Bei der Bundeswehr konnte er seine Ansichten lange ungehindert verbreiten. Über die aktuellen Vorfälle sagt er der ARD-Tagesschau: »Die Bundeswehr konnte schon lange wissen, dass viele ihrer Soldaten entweder Sympathien für nationale und rassistische Politiken hegen oder das sogar offen vertreten haben«.
Flucht nach vorne
Und in der Tat: Unter nahezu allen Verteidigungsministern der letzten Regierungen gab es mindestens einen handfesten Nazi-Skandal in der Truppe. Die Reaktionen der Verantwortlichen unterscheiden sich kaum: Sobald der »Skandal« nicht mehr als »Einzelfall« kleingeredet werden kann, versuchen sie die Flucht nach vorne und versprechen »umfassende Aufklärung« und »ernsthafte Konsequenzen«: Tatverdächtige werden unehrenhaft entlassen, Offiziere strafversetzt und Maßnahmenkataloge beschlossen, um »Fremdenhass« und »rechtsradikalen Umtrieben« Einhalt zu gebieten.
Als 1997 der Spiegel enthüllt, dass der einst wegen Rädelsführerschaft in einer »terroristischen Vereinigung« zu 13 Jahren Haft verurteilte und als Rechtsterrorist und Neonazi bekannte Manfred Roeder einen Vortrag an der Führungsakademie der Bundeswehr halten durfte – zwecks »Offizierweiterbildung« und auf Einladung des Chefs des Akademiestabes – erklärte der zuständige Verteidigungsminister Völker Rühe: »Nirgendwo wird härter gegen Rechtsextremisten vorgegangen als in der Bundeswehr.« Die Neonazi-Netzwerke hat das freilich nicht gestoppt.
Rechtsradikalismus und Militarismus
Auch jetzt inszeniert sich die aktuelle Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als große »Reformatorin«, die den braunen Sumpf endgültig trocken legen will. Doch das Wirken rechtsradikaler Netzwerke in der Bundeswehr ist eng mit der Politik des Militarismus und der Aufrüstung verbunden, die von der Verteidigungsministerin selbst mit aller Macht vorangetrieben wird.
So hat Ministerin von der Leyen im letzten Jahr die so genannte »Agenda Rüstung« vorgelegt. Diese sieht rund 1600 Einzelmaßnahmen für die Beschaffung oder Modernisierung von Waffen und anderen militärischen Gütern im Umfang von mindestens 130 Milliarden Euro vor. Zwischen 1999 und 2014 ist der Militärhaushalt um rund ein Drittel gewachsen.
Seit die Große Koalition an der Macht ist, wurde dieser Prozess beschleunigt. Im letzten Jahr beschloss die Bundesregierung den größten Militärhaushalt seit dem Zweiten Weltkrieg. Ziel ist die Bundeswehr zu einer weltweit einsatzfähigen Armee zu entwickeln. Innerhalb der Truppe brachte diese Ausrichtung jedoch auch die Wiederbelebung der »alten« Wehrmachttradition mit sich und schafft somit einen fruchtbaren Boden für neonazistische Strukturen.
»Wir brauchen den archaischen Kämpfer«
In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 wurde die Weichenstellung der Neuausrichtung der Bundeswehr so begründet: Deutschland sei eine »kontinentale Mittelmacht« mit »weltweiten Interessen«. Sie reichten von der »Aufrechterhaltung des freien Welthandels« bis zum »ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen«. Welche Konsequenzen dies für die Binnenstruktur und Ausbildung der Soldaten haben sollte, erklärte ein Jahr zuvor der Generalmajor Johann Adolf Graf von Kielmannsegg in der vom Verteidigungsministerium herausgegebenen Zeitschrift »Truppenpraxis«: »Auf die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr hin ist also alles auszurichten, Ausbildung, Ausrüstung und Struktur. Ethos, Erziehung, Sinnvermittlung und Motivation müssen sie mit einschließen«.
In dieselbe Richtung zielte Generalleutnant Hans-Otto Budde als er, vor seinem Amtsantritt als Inspekteur des Heeres, sich in der Zeitung die Welt im Jahr 2004 für einen neuen – oder besser den alten – Soldatentypus aussprach: »Der Staatsbürger in Uniform hat ausgedient […] Wir brauchen den archaischen Kämpfer, und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.«
Bundeswehr oder »Neue Wehrmacht«?
Spätestens seit den 1990er-Jahren, herrscht weitgehender Konsens darüber, dass die Wehrmacht nicht als traditionsstiftend für die Bundeswehr angesehen werden darf. Der ehemalige CDU-Minister Volker Rühe hielt dies 1995 fest: »Die Wehrmacht war als Organisation des ›Dritten Reichs‹ in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen.«
Ein Blick auf die Geschichte der Bundeswehr zeigt jedoch sehr eindrücklich, welche Kontinuitäten zwischen Wehrmacht und Bundeswehr bestehen. So hieß die Bundeswehr bei ihrer Gründung im Jahr 1955 noch »Neue Wehrmacht«. Den offiziellen Namen »Bundeswehr« bekam sie erst 1956. Doch in der neuen Bundeswehr gaben nach wie vor die alten Nazis den Ton an. Die bis 1957 ernannten 44 Generäle und Admirale kamen allesamt aus Hitlers alter Wehrmacht, überwiegend aus dem Generalstab des Heeres.
Im Jahr 1959 befanden sich im Offizierskorps unter 14.900 Berufssoldaten 12.360 ehemalige Wehrmachtsoffiziere, 300 stammten aus dem Führerkorps der SS. In ihrem Artikel »Von Hitlers Wehrmacht in die Bundeswehr« schreibt die Welt: »Der militärische Aufstieg eines Wehrmachtsoffiziers im Nachkriegsdeutschland war kein Einzelfall. Praktisch die gesamte Bundeswehrelite hatte ihre Wurzeln in der Wehrmacht.«
Der Historiker Wolfram Wette schrieb in einer Studie mit dem Titel »Militarismus in Deutschland: Geschichte einer kriegerischen Kultur«, dass »diese personelle Kontinuität für das Innenleben der Bundeswehr eine schwere Belastung darstellte« und »es lange Zeit im Offizierskorps der Bundeswehr der Bonner Republik die zwar nicht durchgängige, aber doch vorherrschende Tendenz gab, sich an den Traditionen vor 1945 zu orientieren«.
Geheimarmee aus SS- und Wehrmachtsleuten
Schon im Vorfeld der Gründung der Bundeswehr hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer die Gründung einer Geheimarmee aus ehemaligen SS- und Wehrmachtsleuten zumindest geduldet, indem er sie lediglich »begleiten und beobachten« ließ, nicht jedoch schärfer gegen sie vorging. Der Hauptorganisator der Schattenarmee Albert Schnez wurde später Bundeswehr-Heeresinspektor und auch viele andere Mitglieder der Truppe gingen nach deren Gründung in die Bundeswehr, so etwa der spätere Nato- Oberbefehlshaber Hans Speidel.
Der »Vater der Bundeswehr« Ulrich de Maiziere war selbst im Generalstab von Hitler, auch wenn ihm viele im Nachhinein eine oppositionelle Geisteshaltung zuschreiben wollten. Das ohnehin schon sehr dürftige Papier zur neuen Ausrichtungsideologie der Bundeswehr unter dem Begriff der »Inneren Führung« wurde von vielen Offizieren bis in die 1960er Jahre heftig kritisiert, weil es die Effektivität der Streitkräfte schmälere.
Diese sogenannten Traditionalisten bildeten innerhalb des Militärs sogar über viele Jahre hinweg die Mehrheit. Erst unter Helmut Schmidt wurde eine klare Absage an die Tradition der Wehrmacht verkündet. Dennoch änderte sich außer der Entlassung einiger Generäle strukturell und personell so gut wie nichts.
Der MAD ist Teil des Problems
Als Antwort auf die Bildung von Nazi-Terrorzellen in der Bundeswehr wird nun wie schon zuvor bei den zahlreichen Nazi-Skandalen auf die Kontrolle durch die Geheimdienste verwiesen, insbesondere den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Ein Blick auf dessen eigene Geschichte zeigt jedoch, dass der MAD – wie auch die anderen Geheimdienste in der BRD – mindestens ebenso starke Nazi-Kontinuität aufweisen, wie die Bundeswehr. Und auch der MAD hat eine Vergangenheit voll von Nazi-Skandalen.
So wurde 2012 enthüllt, dass der MAD den späteren NSU-Mörder Uwe Mundlos seit 1994 wegen rechtsextremer Vorfälle in der Bundeswehr beobachtete. Im Jahr 1995 versuchte der MAD sogar Mundlos anzuwerben, dieser meinte jedoch, er »könne sich nicht vorstellen, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren.« Zwischen 1997 und 2003 sammelte der MAD mit dem Verfassungsschutz im Rahmen der »Operation Rennsteig« Informationen über die thüringische Neonazi-Szene, aus der später der NSU hervorging. Im Jahr 1998 folgte der Eklat um die Vorträge des Neonazis Manfred Roeder an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr »zur Übersiedlung der Russlanddeutschen in den Raum Königsberg«. Der damalige MAD-Chef Rudolf von Hoegen meinte zu dem Vorfall lediglich, er habe Jahresbroschüren u.a. auch an die Führungsakademie verteilt. »Aber ich kann keinen zwingen, sie zu lesen.«
Dass ausgerechnet der MAD den Kampf gegen rechts in der Bundeswehr führen soll, ist bezeichnend für den Umgang des Staates mit Naziumtrieben in den eigenen Reihen. Spätestens die NSU-Morde haben deutlich gezeigt: Die Geheimdienste sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Kämpferkult und Antipluralismus
Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die sich zum Ziel gesetzt hat die Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee umzubauen, kommt die öffentliche Debatte um Franco A. höchst ungelegen. So ist es auch kein Wunder, dass sie mit einem Maßnahmenpaket vorprescht, das die künftige Bildung von Terrornetzwerken durch Nazis verhindern soll. Doch wie schon bei ihren Vorgängern ist davon auszugehen, dass die Untersuchungen lediglich Bauernopfer zutage fördern werden, nicht jedoch eine ernsthafte Grundlage für den Kampf gegen Nazis in der Bundeswehr darstellen.
Der Autor Detlef Bald kommt in seinem Buch »Die Bundeswehr: eine kritische Geschichte von 1955-2005« zu folgendem Schluss: »Angesichts einer Militärpolitik, die den Kämpferkult mit seinen antiquierten und antipluralistischen Elementen propagierte sowie eine stabilisierende Homogenität herzustellen versuchte, entstanden innerhalb der Armee Tendenzen eines rechten militärischen Milieus.« Die Naziumtriebe in der Bundeswehr sind also kein Einzelfall, sondern direkte Folge der Traditionslinien und Strukturen der Armee.
Die Bundeswehr ist strukturell rechts
Wer die rechten Strukturen bekämpfen will, darf sich nicht damit begnügen, Kasernen umzubenennen oder Soldatenspinde zu durchsuchen. Die Bundeswehr ist strukturell rechts und ebensowenig reformierbar wie die deutschen Geheimdienste. Daher ist die einzige konsequente Forderung, die Bundeswehr abzurüsten und letztlich ganz abzuschaffen.
Die militärischen und rüstungsproduzierenden Strukturen müssen zu zivilen Berufsfeldern umgebaut werden.
Nicht nur aus antimilitaristischen Gründen ist es richtig, wenn DIE LINKE in ihrem Parteiprogramm schreibt: »DIE LINKE setzt sich für eine schrittweise Abrüstung der Bundeswehr ein, die kriegsführungsfähigsten Teile sollen zuerst abgerüstet werden. Die Abrüstung ist zu begleiten durch Konversionsprogramme für die Beschäftigten in der Rüstungsproduktion, für die Soldatinnen und Soldaten und für die Liegenschaften der Bundeswehr. DIE LINKE verfolgt langfristig das Ziel eines Deutschlands, eines Europas ohne Armeen, einer Welt ohne Kriege.«
Foto: Dr. Azzacov
Schlagwörter: Antimilitarismus, Bundeswehr, Franco, Geheimdienste, Hitler, Inland, Militär, Militarismus, Nationalsozialismus, Nazi, Nazis, NSU, rechter Terror, Rechtsterrorismus, Soldaten, Ursula von der Leyen, Verfassungsschutz, von der Leyen, Wehrmacht