Die Troika stellt die griechische Regierung vor eine verhängnisvolle Wahl: Staatspleite oder Kürzungspolitik. Doch es gibt Möglichkeiten für die Linke, den Kollaps der Gesellschaft in Griechenland und die Kapitulation vor den europäischen Institutionen zu verhindern. Von Lucia Schnell
»Wollen unsere Partner in der Eurozone uns dabei unterstützen, dass die griechische Wirtschaft wieder wächst«, fragte der griechische Außenminister Nikos Kotzias Ende April Journalisten, »oder entscheiden sie sich, Griechenland zu bestrafen und ein Exempel zu statuieren?« Es wird zunehmend deutlich, wie die Antwort der Europäischen Union darauf lautet.
Seit ihrem Regierungsantritt wächst der Druck auf die griechische Linkspartei Syriza beständig. Die Bundesregierung und ihre europäischen Partner sind entschlossen, jeglichen Widerstand gegen ihre Sparpolitik zu brechen.
Obwohl Millionen Menschen in Europa die Forderungen von Syriza nach einem Schuldenschnitt, dem Ende der Kürzungspolitik und der Bevormundung durch die Troika unterstützen, ist die EU in keinem dieser Punkte auf Athen zugegangen.
Im Gegenteil: Schon im Abkommen vom 20. Februar gelang es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seinen Amtskollegen, die neue griechische Regierung in die Knie zu zwingen. Das verabschiedete »Rettungspaket« folgte den gleichen Prinzipien wie alle bisherigen: Im Gegenzug für eine Verlängerung der Kredite muss die griechische Regierung die Kontrolle an die Troika aus Internationalem Währungsfond (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU abtreten. Diese wollen Griechenland dazu zwingen, die Schulden zu bedienen statt die humanitäre Katastrophe im Land zu bekämpfen.
Mitte April erließ die Syriza-Regierung eine Verordnung, die der griechischen Zentralbank Zugriff auf die Rücklagen verschiedener staatlicher Institutionen gibt. Das Geld soll verwendet werden, um einen im Mai fälligen Kredit des IWF in Höhe von 750 Millionen Euro zuzüglich 400 Millionen Euro Zinsen zu begleichen. Davon betroffen sind Krankenhäuser, Universitäten sowie staatliche und öffentlich-rechtliche Betriebe in mehr als 1400 Kommunen.
Mit dem Abkommen wurde Athen auch dazu verpflichtet, laufende Privatisierungen fortzusetzen, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und dafür Sorge zu tragen, dass »die Lohnkosten im öffentlichen Dienst nicht steigen«. Die Regierung darf keine »einseitigen« Schritte wie eine Erhöhung des Mindestlohns oder die Einführung einer Reichensteuer ohne Absprache mit der Troika unternehmen. Alles das ist der Bundesregierung und ihren europäischen Partnern aber noch nicht genug. Sogar die unmittelbaren Maßnahmen, welche Syriza als erste Schritte versprochen hatte, um denjenigen zu helfen, die von der Krise am härtesten betroffen sind, wiesen sie zurück.
Anstrebungen auf Kompromiss zerschlagen
Die Syriza-Regierung behauptete, sie habe durch das Abkommen Zeit gewonnen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Erpressungen und Bedrohungen durch die Troika sind stärker geworden. IWF und EZB haben bereits angekündigt, die kommenden Monate zur »Öffnung« des staatlichen Sektors für weitere Privatisierungen zu nutzen. So soll nun der Hafen von Piräus mehrheitlich an chinesische Investoren verkauft werden, der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport soll 14 Regionalflughäfen übernehmen. Die EU will die Syriza-Regierung schwächen, indem sie diese in ihre Kürzungspolitik einbindet. Die griechische Regierung hingegen setzt darauf, dass die EU es nicht auf einen Staatsbankrott und ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro ankommen lassen und daher zu Zugeständnissen bereit sein wird. Doch sie überschätzt dabei das Interesse der EU an einer wirtschaftlichen Stabilisierung Griechenlands. Insbesondere für die deutschen Eliten ist die europaweite Kürzungspolitik eine Möglichkeit, ihr Wirtschaftsmodell der hohen Exporte bei niedriger Inflation aufrechtzuerhalten. Würden Schäuble & Co. nachgeben, wären Millionen Menschen in Europa in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt, ihrerseits ein Ende der Kürzungspolitik zu fordern.
Ministerpräsident Tsipras hat immer wieder betont, einen »ehrlichen Kompromiss« mit der EU, der EZB und dem Internationalen Währungsfonds anzustreben. Finanzminister Varoufakis sprach davon, dass die »Institutionen« letztendlich »ihre Fehler zugeben werden«. Der Ausgangspunkt der Syriza-Führung ist, durch eine wirtschaftspolitische Neuorientierung Europas Spielräume für eine sozial gerechte und wirtschaftlich entwicklungsorientierte Politik zu erlangen. Tsipras und Varoufakis setzten von Beginn an darauf, dass sie aufgrund der offensichtlich katastrophalen Auswirkungen der Sparpolitik und eines starken Mandats ihrer Wählerinnen und Wähler der Troika einen Kompromiss aufzwingen könnten, der Griechenland sowohl eine Tilgung der Schulden als auch ein Verbeleib in der Eurozone ermöglicht.
Doch die Erwartung, auf dem Verhandlungsweg die Basis für einen Politikwechsel zu schaffen, wurde binnen kurzer Zeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit zerschlagen.
Strategiewechsel in der Linken
Nachdem die EU also den ersten Versuch ausgebremst hat, einen Kurswechsel zu erreichen, hat sowohl innerhalb von Syriza als auch in der europäischen Linken eine Strategiedebatte begonnen.
Die Frage lautet: Wie kann die Politik der Troika beendet werden? Unter den Mitgliedern von Syriza ist die bisherige Strategie von Tsipras und Varoufakis umstritten.
Vierzig Prozent der 200 Mitglieder des Syriza-Zentralkomitees stimmten gegen das Abkommen und die »Reformliste« von Februar. Der linke Parteiflügel argumentiert stattdessen für einen Strategiewechsel. So schreibt beispielsweise der Abgeordnete Costas Lapavitsas: »Der wichtigste Schritt ist, zu erkennen, dass die Strategie eines radikalen Wandels innerhalb des institutionellen Rahmens der gemeinsamen Währung Euro an ihre Grenze gestoßen ist. Diese Strategie hat uns einen Wahlerfolg beschert, indem sie der griechischen Bevölkerung eine Befreiung von der Sparpolitik ohne einen erheblichen Bruch mit der Eurozone versprach. Leider haben uns die Ereignisse seitdem zweifellos gezeigt, dass dies unmöglich ist.«
Auch die Wirtschaftswissenschaftler Jannis Milios, Spiros Lapatsioras und Dimitris P. Sotiropoulos argumentieren für eine Neuausrichtung. Sie fordern ein »Memorandum für den Reichtum« mit paralleler Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit: »Die Parole ›Die Oligarchie soll zahlen‹ war nie aktueller als jetzt. (…) Damit die Regierungspolitik hegemonial bleibt, muss sie sich klar mit den Interessen der arbeitenden Mehrheit verbünden und die Strategie des Neoliberalismus in Frage stellen.«
Um die Interessen der griechischen Bevölkerung zu vertreten und die humanitäre Katastrophe abzuwenden, muss die Syriza-Regierung auch einen Bruch mit der EU und der Eurozone riskieren. Dieser wird von der rechten Opposition und den Medien in Griechenland als eine Apokalypse dargestellt. Die Syriza-Führung setzt dieser Panikmache wenig entgegen, wodurch das Thema »Grexit« in der breiteren Öffentlichkeit nicht als Option wahrgenommen wird. Statt sich auf die Möglichkeit eines Austritts aus dem Euro vorzubereiten, schürt die Regierungsspitze die Illusion, eine akzeptable Vereinbarung mit der Troika erzielen zu können. So kritisiert die Linke Plattform in Syriza, dass Tsipras von vornherein die Möglichkeit eines Kreditausfalls und Austritts aus der Eurozone ausgeschlossen hat. Dadurch sei ein wichtiges Druckmittel verloren gegangen. Doch eines ist klar: Selbst ein solcher »Grexit« würde nichts an der wirtschaftlichen und sozialen Notlage des Landes ändern. Griechenland bleibt eine schwache Ökonomie in einer durch gnadenlose Konkurrenz geprägten Weltwirtschaft. Eine durchgreifende Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung ist deshalb nur durch einen radikalen Eingriff in die bestehenden Eigentumsverhältnisse machbar – durch die Entmachtung der Banken und Konzerne und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums an die arbeitende Bevölkerung. Eine solche revolutionäre Veränderung ist letztendlich von einer Frage abhängig – nämlich jener, ob sich in Griechenland eine Bewegung konstituiert, die in der Lage ist, die Eliten grundsätzlich herauszufordern.
Neue Vorschläge und Solidarität
Der Schlüssel für eine solche Politik liegt in der Selbstorganisation der Beschäftigten. Die arbeitenden Menschen haben in den vergangenen fünf Jahren durch mehr als dreißig Generalstreiks, diverse Platzbesetzungen und Massenproteste vier Regierungen gestürzt. Syriza verdankt ihren rasanten Aufstieg diesen Massenbewegungen. Die Stärke der Linken in Griechenland hängt von dem Wiederaufleben und der Ausdehnung jener Massenbewegung ab, die sich in den Jahren 2009 bis 2012 Bahn brach.
Da der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, beginnen die Menschen bereits damit, die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung in sozialen Zentren selbst in die Hand zu nehmen. Elektriker haben verarmte Familien wieder an die Stromversorgung angeschlossen. Diese Maßnahmen stellen aber nicht mehr als eine Notversorgung dar. Viel mehr wäre nötig.
Hunderte haben für die Schließung der Flüchtlingsgefängnisse demonstriert, in denen 4000 Menschen unter unmenschlichen Bedingungen eingeschlossen sind. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der geschlossenen öffentlichen Rundfunkanstalt ERT erklärten, dass sie von der neuen Regierung die Wiedereröffnung des staatlichen Fernsehens erwarten, wobei die Selbstverwaltung der letzten zwanzig Monate als Geschäftsgrundlage eingeführt wird. Am 11. März streikten zum ersten Mal seit Dienstantritt der linken Regierung Krankenhausbeschäftigte dafür, dass mehr Geld in das Gesundheitssystem investiert wird.
Die Stärkung und Ausweitung solcher Kämpfe können die Grundlage für eine Gegenmacht sein. Die Gewerkschaft des öffentlichen Diensts hat sich gegen das neue Spardiktat und für einen Schuldenschnitt ausgesprochen. Ihr Vorschlag für das Überleben der Beschäftigten:
- Abschaffung der Memoranden und der entsprechenden Ausführungsgesetze
- Verstaatlichung der Banken und der strategischen Sektoren der Wirtschaft
- Alle Entlassenen wieder einstellen, Wiedereröffnung des Fernsehsenders ERT und anderer öffentlicher Unternehmen, die geschlossen wurden
- Lohnerhöhung
- Personaleinstellung, besonders in Schulen, Krankenhäusern und Behörden, um die humanitäre Krise zu lindern
Unter der demokratischen, öffentlichen Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigen könnte die Verfügungsgewalt der Eliten über Geldkapital und Investitionsentscheidungen zunehmend eingeschränkt und schließlich gebrochen werden. Ob die Syriza-Regierung eine solche konfrontative Strategie einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist aber jetzt schon, dass die kommenden Monate eine Zeit ständigen Kampfs sein werden. In dieser Situation kann die Linke in Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Solidarität mit den Menschen in Griechenland leisten.
Deutschland ist die wirtschaftliche Führungsmacht in Europa. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sind verantwortlich für den harten Kurs der EU gegenüber Griechenland. Deswegen ist es die Aufgabe der deutschen Linken, der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen, Druck gegen die Erpressungspolitik von Merkel und Schäuble aufzubauen – und sich für einen sofortigen Schuldenschnitt einzusetzen. Symbolische Protestaktionen wie die Blockupy-Proteste in Frankfurt im Frühjahr sollten nur ein erster Auftakt sein. Gleichzeitig können wir den gemeinsamen Kampf für ein anderes Europa auch durch die Unterstützung der Kämpfe für höhere Löhne und gegen prekäre Beschäftigung hierzulande führen. Denn unsere Erfolge im Kampf gegen Merkel helfen den Menschen in ganz Europa.
Foto: laetitiablabla
Schlagwörter: EU, Griechenland, Linke, Solidarität, Syriza, Troika, Widerstand