Die Konservativen sparen den National Health Service (NHS) kaputt. Dagegen regt sich kurz vor dem 70. Jahrestag seiner Gründung Widerstand. Von Hannes Maerker
Tausende zogen Anfang Februar zum Sitz der britischen Premierministerin Theresa May in der Londoner Downing Street, darunter viele Beschäftige aus dem Gesundheitssektor. Auf ihren Schildern stand: »Hände weg von unserem NHS« oder »Das NHS steht nicht zum Verkauf«. Seither reißt die Protestwelle gegen die Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems in Großbritannien nicht ab.
Kostenlose medizinische Versorgung für alle
Die Demonstrantinnen und Demonstranten fordern mehr Geld für den National Health Service (NHS) und weniger Einfluss der Privatwirtschaft im Gesundheitssektor. Die vergangenen Regierungen haben die finanziellen Mittel immer weiter gekürzt, mit dem Ergebnis, dass bis heute mehr als 40.000 Stellen in der Krankenpflege unbesetzt sind. Mehr noch: Zurzeit kündigen mehr Pflegekräfte als neue hinzukommen.
Das britische Gesundheitssystem unterscheidet sich deutlich von dem anderer Länder. Während zum Beispiel in Deutschland die Krankenhäuser und Ärzte durch die Krankenkassen bezahlt werden, wird der nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte NHS durch Steuergelder finanziert. Er soll dafür sorgen, dass alle eine kostenlose medizinische Versorgung erhalten.
Finanzierungsprobleme und Personalmangel
Doch das System leidet seit Jahren unter massiven Finanzierungsproblemen und Personalmangel. Die konservativen Regierungen von David Cameron und Theresa May haben seit 2010 Gelder gekürzt. Trotzdem besaß May noch im Januar die Dreistigkeit, in der wöchentlichen Fragestunde vor dem Parlament zu behaupten, dass der NHS »besser auf den Winter vorbereitet ist als je zuvor«.
Diese Heuchelei haben die Beschäftigten nun satt. Die Organisationen »People’s Assembly« und »Health Campaigns Together« sowie mehrere Gewerkschaften, welche die Proteste in London auf die Beine gestellt haben, kündigten an, den Druck auf die Regierung weiter zu erhöhen. 68 Klinikleitungen haben einen Appell an May gerichtet, der deutlicher nicht sein könnte. »Auf den Fluren der Krankenhäuser sterben die Patienten«, schreiben sie in ihrem offenen Brief.
»Sie könnte heute noch leben«
Die Konservativen machen einen angeblichen »Gesundheitstourismus« dafür verantwortlich. Menschen kämen nach Großbritannien, um von der kostenlosen medizinischen Versorgung zu profitieren. In den Klinken hängen mittlerweile viele Plakate des Gesundheitsministeriums, auf denen steht: »Zu Besuch in Großbritannien? Wussten sie schon, dass sie eventuell für ihre Behandlung zahlen müssen?«
Dianne Ngoza, Aktivistin aus Manchester, erzählt von mehreren geflüchteten Freunden, die sich nicht ins Krankenhaus getraut haben. Sie hatten Angst vor einer Abschiebung, da sie ihre Rechnungen nicht hätten zahlen können. Besonders berührt hat sie der Fall einer Hochschwangeren, die nicht ins Krankenhaus gehen wollte und dann zuhause gestorben ist. »Sie könnte heute noch leben« sagt Ngoza.
Großdemonstration zum Jubiläum des NHS
In vielen Krankenhäusern haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Urlaub verschoben, so dass wenigstens der Hauch einer Chance besteht, mit dem vorhandenen Personal die Zahl der Patientinnen und Patienten bewältigen zu können. Vermehrt warten Rettungswagen vor Kliniken, weil in den Notaufnahmen kein Platz ist. Schwerkranke müssen auf den Stühlen der Wartezimmer ausharren, um mit etwas Glück ein Bett auf dem Flur zu ergattern.
Auch deshalb versuchen die Aktivistinnen und Aktivisten, eine Privatisierung mit allen Mitteln zu verhindern. Tamsyn Bacchus fasste treffend zusammen: »Wenn dein Kind hohes Fieber hat, du ins Krankenhaus musst oder einen Arzt brauchst, dann solltest du Hilfe bekommen, ohne dich um die Kosten sorgen zu müssen«. Am 30. Juni wird der National Health Service siebzig Jahre alt. »People’s Assembly« ruft schon jetzt zu einer Großdemonstration auf, um den NHS zu retten.
Foto: Alan Denney
Schlagwörter: Gesundheitssystem, Großbritannien, Krankenhaus, London, May, NHS, Personalmangel, Pflegenotstand, Protest