Armin Langer lebt als Jude in Berlin-Neukölln und kämpft gegen antimuslimischen Rassismus. In seinem Gastbeitrag zeigt er, dass die Islamfeindinnen und -feinde von heute ähnliche »Argumente« wie die Antisemiten des 19. Jahrhunderts benutzen.
Immer wieder höre ich von allen Seiten, ob jüdisch oder nicht, dass ich als Jude nicht in der Nähe einer Moschee, schon gar nicht in einem Problemkiez leben könne. Zur »No-go-Area« wurde für mich der Berliner Stadtteil Neukölln erklärt, obwohl ich dort seit einem Jahr gerne und gut wohne. Muslimas und Muslime, Migrantinnen und Migranten schaden meiner körperlichen Unversehrtheit, darf ich immer wieder in Internetforen lesen, in Fernsehbeiträgen hören.
Doch nicht wir Jüdinnen und Juden müssen im Jahr 2014 Angst haben. Egal wie allgegenwärtig Antisemitismus in Deutschland ist, wir sind nicht mehr die Hauptzielgruppe von Diskriminierung und Hass: Nach der Schoah, einem prägenden Ereignis in der jüdischen Psyche, wurden wir endlich Teil des Mainstreams in Deutschland, in Europa. »Der Jude« ist nicht mehr schwach. Die neuen Juden sind die Muslime, die neuen Jüdinnen die Muslimas.
In den meisten Bundesländern ist es nicht erlaubt, Tote den islamischen Ritualen gemäß zu beerdigen. Der Muezzin darf die Gläubigen nicht zum Freitagsgebet rufen. Muslimische Gemeinden sind vom Privileg der Kirchensteuer ausgeschlossen. Es gibt keine muslimische Vertretung in den Rundfunkräten. Und jetzt haben wir noch nicht von alltäglichen Diskriminierungen gesprochen.
Ich genieße, kurzum, in Deutschland mehr Rechte als meine muslimischen Freundinnen und Freunde. Trotzdem werde ich, der Jude, noch immer als Opfer behandelt.
Uns kommen die Benachteiligungen, vor denen viele muslimische Deutsche stehen, bekannt vor. Einst mussten wir für Anerkennung kämpfen, einst waren viele, zeitweise alle gegen uns, einst war unser Leben in Europa gefährdet. Der Hass gegen uns wurde immer stärker, schließlich wurde unsere Vernichtung minutiös geplant.
Zum Glück haben alle Europäerinnen und Europäer aus der Geschichte gelernt, aber ich kann den Unmut nachvollziehen. Es waren schließlich Muslime, die vom »Nationalsozialistischen Untergrund« in Deutschland ermordet wurden. Wir stehen natürlich nicht vor einem »neuen« Holocaust, aber die NSU-Morde haben uns gezeigt, dass bei türkischen und muslimischen Toten so genau nicht hingeschaut wird. Denn – wenn ein Türke stirbt, dann hat’s doch einer aus der Sippe gemacht. Medien, Politik, Polizei und Geheimdienste gingen derweil davon aus, dass da »Dönermörder« ihresgleichen töteten. Klar, Mohammed ist ja per se kriminell, ist halt so bei »denen«. Wer bei Google die Kombination »Muslime sind« eingibt, dem liefert die Suchmaschine folgende Vorschläge für »verwandte Suchanfragen«: 1. gefährlich, 2. intolerant 3. Abschaum 4. Dreck. In Blogs lese ich, dass »Muslime überall mit gleicher Wildheit agieren« oder dass »Muslime schon immer auf einer Mission gewesen sind«. Ich habe dann das Gefühl, dass ich das alles kenne, nur mit »Juden« an Stelle von »Muslime«. Dieses Gefühl ist für mich verstörend. Und glauben Sie mir, dass niemand die Atmosphäre von damals besser nachvollziehen kann als wir Jüdinnen und Juden. Wir saugen diese Sensibilität mit der Muttermilch auf.
Jahrhundertelang waren wir fremd in Europa – wir haben es nur dann in die Schlagzeilen geschafft, als es um Ritualmorde, internationale jüdische Verschwörungen und »Judenbolschewismus« ging. Heute, wenn ich während des Frühstücks das Radio einschalte, geht es um jüdische Traditionen und Ikonen. Über Juden und jüdische Kultur wird oft so lobend und freundlich gesprochen, dass es schon nervt.
Wenn es aber um den Islam und seine Anhängerinnen und Anhänger geht, handeln die Beiträge fast immer von Terroranschlägen (da kommt der IS einigen wie gerufen), Gewalt (die Salafisten aus Bonn oder die arabische Prügeltruppen in den Berliner Sommerbädern) oder Integrationsdefiziten (Kopftuch). Wir bekommen das Bild einer gewalttätigen Religion geliefert. Warum sollte man die anerkennen?
Als es in Berlin, Bremen und anderen deutschen Städten zu antisemitischen Aussagen bei Demonstrationen gegen Israels Krieg kam, waren sie schnell zur Stelle, diejenigen die das Ganze für ihre antimuslimische Hetze genutzt haben. Aus 1000 Demonstrierenden auf der al-Quds-Demonstration sind »alle Muslimas und Muslime«, ist »der Islam« geworden, der uns bedroht, den Antisemitismus importiert. Dabei ist dasselbe passiert, wie jedes Jahr beim al-Quds-Marsch: Basierend auf dem Verhalten von 0,0001 Prozent der muslimischen Bevölkerung in diesem Land, werden alle zu gefährlichen Islamistinnen und Islamisten, die Synagogen anzünden wollen. So wie im Kommentar des stellvertretenden Chefredakteurs der »Bild am Sonntag« Nicolaus Fest mit dem Titel: »Islam als Integrationshindernis«. Dieser Kommentar ist nur das berühmteste Beispiel für die Instrumentalisierung der Jüdinnen und Juden, um Rassismus zu verbreiten.
Ich übertreibe? Keineswegs: Um die vermeintliche Gewalttätigkeit des Islams zu beweisen, zitieren Islamkritikerinnen und -kritiker wie Thilo Sarrazin, Matthias Matussek oder Alice Schwarzer gerne kriegerische Koranverse. Vor siebzig Jahren pflegte die antisemitische Wochenzeitung »Der Stürmer«, kriegerische Verse aus dem Tanach, der jüdischen Bibel, zu zitieren. Damit wollte die Redaktion beweisen, dass Jüdinnen und Juden das Blut der weißen Europäer vergießen wollen. Ihnen wurde vorgeworfen, gegenüber nichtjüdischen Menschen zu lügen, so stehe es im Talmud. Wenn Muslimas und Muslimen pauschal ein Leben in Parallelgesellschaften vorgeworfen wird, ist das nichts anderes als das, was uns vor ein paar Jahrzehnten noch ins Gesicht schlug.
Wir dürfen nicht vergessen, zu welchen Tragödien diese Ausgrenzung führen kann. Sie bietet Rassisten den Nährboden, um Schweineköpfe auf Moscheen und Synagogen zu werfen, um unsere Gotteshäuser anzuzünden. Zahlreiche Angriffe auf Muslimas und Muslime in Deutschland sind Ergebnis dieser Hassreden, wie beim Fall Marwa el-Sherbini vor fünf Jahren in Dresden oder das von Andres Breivik verübte Massaker in Norwegen.Julius und Ethel Rosenberger haben für die Sowjetunion spioniert, also arbeiten alle Jüdinnen und Juden für den Staatskommunismus. Bernard Madoff war Finanzspekulant an der Wall Street, also sind alle Jüdinnen und Juden am Finanzkapitalismus schuld. Und analog dazu sind alle Muslimas und Muslime Terroristen, weil Abu Bakr al-Baghdadi ein Kalifat mithilfe eines heiligen Krieg errichten will. Alle Muslime unterdrücken ihre Frauen weil ein bis drei Ehrenmorde pro Jahr in Deutschland verübt werden.
Islamfeindliche Aktivistinnen, Aktivisten und Publizierende sind mir deswegen zu unkreativ. Sie benutzten dieselbe Sprache und ähnliche »Argumente« wie die Antisemiten des 19. Jahrhunderts, die es heute freilich auch noch gibt. Es ist erstaunlich, dass so viele Vertreterinnen und Vertreter des jüdischen Establishments diese Parallelen nicht sehen. Im Gegenteil, sie deklarieren ganze Stadtteile wie Neukölln zur »No-go-Area« – für sich selbst. Dabei wäre es höchste Zeit für ein sozial engagiertes Judentum in Europa. Für Solidarität unter ehemaligen und aktuell diskriminierten Minderheiten. Es ist die Zeit für Jüdinnen und Juden gekommen, nicht mehr nur »nie wieder« zu sagen, sondern »nie wieder, egal wen es trifft«.
Foto: EagerEyes
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus, Holocaust, Inland, NSU