Die EU stellt die neue griechische Regierung vor eine verhängnisvolle Wahl: Staatspleite oder Kürzungspolitik. Will die Linke den Kollaps der griechischen Gesellschaft und die Kapitulation vor der Troika verhindern, muss sie neue Wege gehen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine europäischen Amtskollegen sind entschlossen, jeglichen Widerstand gegen ihre Sparpolitik zu brechen. Bei den Verhandlungen über neue Kredite haben sie die neue griechische Regierung vorerst in die Knie gezwungen. Obwohl Millionen Menschen in Europa die Forderungen der linken Regierungspartei Syriza nach einem Schuldenschnitt, dem Ende der Kürzungspolitik und der Bevormundung durch die Troika unterstützen, ist die EU in keinem dieser Punkte auf Athen zugegangen.
Im Gegenteil: Das neuste »Rettungspaket« ist genau so angelegt wie alle bisherigen. Im Gegenzug für die Verlängerung von Krediten muss die griechische Regierung die Kontrolle an die Troika-Institutionen Internationaler Währungsfonds (IWF), Europäische Zentralbank (EZB) und EU abtreten. Diese wollen Griechenland dazu zwingen, Schulden zu bedienen anstatt die humanitäre Katastrophe im Land zu bekämpfen. Mit dem Abkommen wird Athen dazu verpflichtet, laufende Privatisierungen fortzusetzen, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und dafür Sorge zu tragen, dass »die Lohnkosten im öffentlichen Dienst nicht steigen«. Sie darf keine »einseitigen« Schritte wie eine Erhöhung des Mindestlohns oder die Einführung einer Reichensteuer ohne Absprache mit der Troika unternehmen. IWF und EZB haben bereits angekündigt, die kommenden Monate zur »Öffnung« des staatlichen Sektors für weitere Privatisierungen zu nutzen.
Die EU bemüht sich, die Syriza-Regierung zu schwächen, indem sie diese in die ihre Kürzungspolitik einbindet. Für die deutschen Eliten ist die europaweite Kürzungspolitik eine Möglichkeit, ihr Wirtschaftsmodell der hohen Exporte bei niedriger Inflation aufrechtzuerhalten. Würden Schäuble & Co. nachgeben, wären Millionen Menschen in Europa in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt, ihrerseits ein Ende der Kürzungspolitik zu fordern.
Wie kann die Politik der Troika beendet werden?
Nachdem die EU also den ersten Versuch ausgebremst hat, einen Kurswechsel zu erreichen, hat sowohl innerhalb von Syriza als auch in der europäischen Linken eine Strategiedebatte begonnen.
Die Frage lautet: Wie kann die Politik der Troika beendet werden? Unter den Mitgliedern von Syriza ist die bisherige Strategie von Ministerpräsident Alexis Tsipras und Finanzminister Jannis Varoufakis umstritten. 40 Prozent der 200 Mitglieder des Syriza-Zentralkomitees stimmten gegen das jetzige Abkommen und die »Reformliste«.
Der linke Parteiflügel argumentiert stattdessen für einen Strategiewechsel. So schreibt beispielsweise der Abgeordnete Costas Lapavitsas: »Der wichtigste Schritt ist zu erkennen, dass die Strategie eines radikalen Wandels innerhalb des institutionellen Rahmens der gemeinsamen Währung Euro an ihre Grenze gestoßen ist. Diese Strategie hat uns einen Wahlerfolg beschert, indem sie der griechischen Bevölkerung eine Befreiung von der Sparpolitik ohne einen erheblichen Bruch mit der Eurozone versprach. Leider haben uns die Ereignisse seitdem zweifellos gezeigt, dass dies unmöglich ist.« Auch die Wirtschaftswissenschaftler Jannis Milios, Spiros Lapatsioras und Dimitris P. Sotiropoulos argumentieren für eine Neuausrichtung. Sie fordern ein »Memorandum für den Reichtum« mit paralleler Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit: »Die Parole ›Die Oligarchie soll zahlen‹ war nie aktueller als jetzt. (…) Damit die Regierungspolitik hegemonial bleibt, muss sie sich klar mit den Interessen der arbeitenden Mehrheit verbünden und die Strategie des Neoliberalismus in Frage stellen.«
Um die sozialen Interessen der griechischen Bevölkerung zu vertreten und die humanitäre Katastrophe abzuwenden, muss die Syriza-Regierung auch einen Bruch mit der EU und der Eurozone riskieren. Doch eines ist klar: Selbst ein solcher »Grexit« würde nichts an der wirtschaftlichen und sozialen Notlage des Landes ändern. Griechenland bleibt eine schwache Ökonomie in einer durch gnadenlose Konkurrenz geprägten Weltwirtschaft. Eine durchgreifende Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung ist deshalb nur durch einen radikalen Eingriff in die bestehenden Eigentumsverhältnisse machbar – durch die Entmachtung der Banken und Konzerne und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums an die arbeitende Bevölkerung. Eine solche revolutionäre Veränderung ist letztendlich eine Machtfrage – nämlich ob sich in Griechenland eine Bewegung konstituiert, die in der Lage ist, die Eliten grundsätzlich herauszufordern.
Alternativen in Griechenland
Der Schlüssel für eine solche Politik liegt in der Selbstorganisation der Beschäftigten in Griechenland. Die arbeitenden Menschen haben in den vergangenen fünf Jahren durch mehr als dreißig Generalstreiks, diverse Platzbesetzungen und Massenproteste vier Regierungen gestürzt. Syriza verdankt ihren rasanten Aufstieg diesen Massenbewegungen. Die Stärke der Linken in Griechenland hängt von dem Wiederaufleben und der Ausdehnung jener Massenbewegung ab, die sich in den Jahren 2009 bis 2012 Bahn brach.
Da der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, beginnen die Menschen bereits damit, die Gesundheitsversorgung und Lebensmittelversorgung in sozialen Zentren selbst in die Hand zu nehmen. Elektriker haben arme Familien wieder an die Stromversorgung angeschlossen. Diese versuche sind aber nur eine Notversorgung, viel mehr wäre notig.
Hunderte haben für die Schließung der Flüchtlingsgefängnisse demonstriert, in denen 4000 Menschen unter unmenschlichen Bedingungen eingeschlossen sind.
Die Mitarbeiter des geschlossenen öffentlichen Fernsehsenders ERT erklärten, dass sie von der neuen Regierung die Neueröffnung eines staatlichen Fernsehens erwarten, indem die Selbstverwaltung der letzten zwanzig Monate als Geschäftsgrundlage eingeführt wird. Am 11. März streikten zum ersten Mal seit Dienstantritt der linken Regierung Angestellte aus Krankenhäusern für mehr Geld für das Gesundheitssystem.
Die Stärkung und Ausweitung solcher Kämpfe können die Grundlage für eine alternative Gegenmacht sein. Die Gewerkschaft des öffentlichen Diensts hat sich Ende Februar gegen das neue Spardiktat und für einen Schuldenschnitt ausgesprochen. Ihr Vorschlag für das Überleben der Beschäftigten:
- Abschaffung der Memoranden und der entsprechenden Ausführungsgesetze
- Verstaatlichung der Banken und der strategischen Sektoren der Wirtschaft
- Alle Entlassenen wieder einstellen, Wiedereröffnung des Fernsehsenders ERT und anderer öffentlicher Unternehmen, die geschlossen wurden
- Lohnerhöhung
- Personaleinstellung, besonders in Schulen, Krankenhäusern und Behörden, um die humanitäre Krise lindern zu können
Unter der demokratischen, öffentlichen Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigen könnte die Verfügungsgewalt des Kapitals über Geldkapital und Investitionsentscheidungen zunehmend eingeschränkt und schließlich gebrochen werden. Ob die Syriza-Regierung eine solche konfrontative Strategie einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist aber jetzt schon, dass die kommenden Monate eine Zeit ständigen Kampfes sein werden. In dieser Situation kann die Linke in Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Solidarität mit den Menschen in Griechenland leisten.
Nein zum Kürzungsdiktat: Für einen sofortigen Schuldenschnitt
Deutschland ist die wirtschaftliche Führungsmacht in Europa. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sind verantwortlich für den harten Kurs der EU gegenüber Griechenland. Deswegen ist es die Aufgabe der deutschen Linken, der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen, Druck gegen die Erpressungspolitik von Merkel und Schäuble aufzubauen – und sich für einen sofortigen Schuldenschnitt einzusetzen. Symbolische Protestaktionen wie Blockupy sollten nur ein erster Auftakt sein. Gleichzeitig können wir den gemeinsamen Kampf für ein anderes Europa hierzulande auch durch die Unterstützung der Kämpfe für höhere Löhne und gegen prekäre Beschäftigung führen. Unsere Erfolge im Kampf gegen Merkel helfen den Menschen in ganz Europa.
In den nächsten Monaten steht in Deutschland ein Großkonflikt an: Die Gewerkschaft ver.di will die schlechten Entlohnungsbedingungen in den Sozial- und Erziehungsdiensten in einer eigenen Tarifbewegung thematisieren. Hier ist konkrete Solidarität gefragt. Denn ob in Athen oder Berlin: Solche kämpferischen Ansätze gilt es zu verallgemeinern – das bloße Jammern über die Passivität der gewerkschaftlichen Führung ändert die Verhältnisse nicht, aktives Eingreifen als Teil der kommenden Kämpfe gegen Merkels Politik hingegen bietet zumindest die Chance auf Erfolg.
Wie weiter nach den Blockupy-Protesten?
■ Informieren und diskutieren
Diskussionsveranstaltungen sind eine gute Möglichkeit, sich auszutauschen und gemeinsam weitere Aktionsideen zu planen.
marx21 vermittelt gerne Referentinnen und Referenten (Einfach Mail an info@marx21.de). Noch weniger Aufwand ist ein gemeinsamer Kinoabend. Die Filme »Macht ohne Kontrolle – Die Troika« oder »Wer rettet wen?« eigenen sich sehr gut, um mehr Menschen über die Situation in Griechenland zu informieren.
■ Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst
Der zweite Verhandlungstermin findet am 23. März statt. ver.di ruft rund um diesen Termin bundesweit zu Warnstreiks auf. Dann werden überall tausende Beschäftigte auf der Straße sein. Die dritte Verhandlungsrunde ist am 9. April. Dieser Konflikt ist vermutlich nicht am Verhandlungstisch zu lösen, sondern mit bundesweiten Streiks ist zu rechnen. Sie benötigen unsere Solidarität und Unterstützung.
■ 1. Mai: Hoch die Internationale Solidarität
In diesem Jahr jährt jährt sich die Geburtsstunde des 1. Mai als internationalem Tag der Arbeiterbewegung zum 125. Mal: Eine gute Möglichkeit, um bei den Kundgebungen und Demonstrationen gegen Merkels Kürzungsdiktat in Europa zu protestieren.
■ 14. bis 17. Mai: Kongress »MARX IS‘ MUSS«
Hunderte Menschen werden zusammenkommen, um gemeinsam antikapitalistische Theorie und Praxis zu debattieren, sich zu vernetzen und weiterzubilden.
Neben Stathis Kouvelakis [Syriza], Clara Maranon [Podemos, Spanien], Bernd Riexinger [Vorsitzender DIE LINKE] spricht auch Jean-Luc Melènchon [Vorsitzender Parti de Gauche, Frankreich]. Mehr Informationen unter www.marxismus.de.
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