Der Rechtsruck in Österreich ist alarmierend. Sozialdemokratie und Grüne haben sich als völlig unfähig erwiesen, dem Erstarken einer Front aus Nationalkonservativen und Faschisten Einhalt zu gebieten. Was die Linke nun braucht, ist ein wirklicher Neuanfang. Von Volkhard Mosler
»Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir haben die Themenführerschaft.« So kommentierte der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache das Ergebnis der Nationalratswahl vom 15. Oktober. Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) hat unter ihrem neuen Vorsitzenden Kurz mit einem gegen Flüchtlinge und den Islam gerichteten Wahlkampf 7,5 Prozentpunkte dazu gewonnen und kam auf 31.5 Prozent. Die FPÖ erzielte das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte und kam auf 26 Prozent (+5,5). Der Zuwachs des konservativ-rechten und faschistischen Blocks betrug somit insgesamt ganze 13 Prozentpunkte. Strache meinte zu Recht, dass damit fast 60 Prozent der Wähler ihre Stimme für das FPÖ-Programm abgegeben hätten. Dem entspricht ein Anwachsen flüchtlings- und islamfeindlicher Einstellungen in großen Teilen der Bevölkerung. Ein Leserbriefschreiber im »Standard« brachte es auf den Punkt: »60 Prozent der Österreicher sind bereit auf soziale Sicherheit, vernünftige Arbeitsbedingungen und faire Pensionen zu verzichten, um die bösen Migranten hintanzuhalten.«
Die Lage ist alarmierend
Das linke Lager aus Grünen und SPÖ verlor insgesamt 8,6 Prozentpunkte, wobei die Verluste ausschließlich zu Lasten der Grünen gingen, die von über 12 auf unter 4 Prozent absackten und damit an der 4-Prozenthürde scheiterten. Die Sozialdemokraten konnten – angesichts eines miserablen Wahlkampfs überraschend – ihre Stimmen in etwa halten, sind aber noch hinter der FPÖ nur drittstärkste Partei geworden. Verluste auf dem Land konnte die SPÖ durch Zugewinne in Wien und anderen Großstädten ausgleichen. Der Versuch mit der Liste KPÖ-plus eine linke Alternative gegen den Rechtstrend aufzubauen, ist erst einmal gescheitert. KPÖ plus verlor gegenüber der letzten Wahl 0,3 Prozentpunkte und landete bei bescheidenen 0,7 Prozent. In Österreich ist der Rechtsruck somit etwa doppelt so stark wie in Deutschland. Hierzulande ist er besorgniserregend, in Österreich alarmierend. Aber was sind die Gründe hierfür?
Unter bürgerlichen und linken Kommentatoren ist es üblich geworden, Rechtsentwicklungen wie in Österreich und Deutschland aus einem Reflex auf Krisenängste und Armutsrisiken abzuleiten. Wenn zu viele Fremde in ein Land strömten, das selbst an Armut und Arbeitslosigkeit leide, entstehe Fremdenfeindlichkeit. Deshalb müssten einerseits Armut und Armutsrisiken bekämpft und abgestellt werden und andererseits die Zuwanderung gedrosselt oder ganz gestoppt.
FPÖ – Nutznießer des bürgerlichen Rassismus
In einem Kommentar zur Österreich-Wahl schreibt der Spiegel: »Österreich heile Welt. Der Lebensstandard ist so hoch wie kaum irgendwo anders in der Welt«, aber trotzdem wählten die Menschen »Protest«. Das ist sicher übertrieben, aber mit 12 Prozent ist das offizielle Armutsrisiko in Österreich tatsächlich niedriger als in den meisten anderen europäischen Staaten (EU-Durchschnitt: 17 Prozent). Die Arbeitslosenquote liegt mit 5,5 Prozent ebenso weit unter den Quoten in Griechenland (21 Prozent), Spanien (17 Prozent) oder Italien (11 Prozent). Aber in keinem der südeuropäischen Länder gab es in den letzten Jahren einen ähnlichen Aufschwung rassistischer Ideen und Bewegungen wie in Österreich. Eine rein ökonomische Erklärung kann also keine hinreichende Erklärung für die Ursachen des Rechtsrucks bieten. Deshalb ist auch das Argument falsch, die Parteien folgten mit ihrer Politik lediglich den »Ängsten und Sorgen« der Wählerbasis. Sowohl in Österreich wie auch in Deutschland haben eingebildete Probleme wie eine angeblich drohende Islamisierung des Landes, der Verlust der eigenen Kultur und nationalen Identität etc. den Wahlkampf beherrscht, die realen Probleme wie Gesundheit, Renten, Klima, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Armut haben nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Wie kann es aber geschehen, dass eingebildete Probleme den Wahlkampf beherrschen?
Die Antwort darauf stammt von Karl Marx: »Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken«. Islamfeindlichkeit ist weder eine Erfindung der AfD noch der FPÖ. In Deutschland (und in der westlichen Welt insgesamt) entstand die Islamfeindlichkeit als neue, moderne Form des Rassismus parallel zu den Ölkriegen des Westens im Irak, in Libyen, Somalia und Afghanistan. Und sie hat sich auch als nützlicher Ersatz für den Antikommunismus der Ära des Ost-West-Konfliktes vor 1990 erwiesen. Aus Sicht der herrschenden Klassen ist das nur allzu verständlich, weil sie in Krisenzeiten kein Interesse an Wahlkämpfen zu realen Problemen haben. In Deutschland wurde die Islamfeindlichkeit von dem sozialdemokratischen Ex-Politiker Sarrazin hof- und gesellschaftsfähig gemacht. Deshalb ist es auch nur die halbe Wahrheit, wenn »Der Spiegel« zur Österreich-Wahl jetzt schreibt: »Die FPÖ gab hier die Marschrichtung vor, die ÖVP folgte schamlos, verpackte die rechtspopulistischen Inhalte nur hübscher und triumphierte am Ende sogar. Selbst die SPÖ scheute nicht davor zurück, rechte Töne zu spucken.« Die rot-schwarze Regierung unter Kanzler Kern hat Mitten im Wahlkampf ein gesetzliches »Gesichtsverhüllungsverbot« durch das Parlament gebracht. Kurz hat eine Kampagne gegen islamische Kindergärten gestartet. In Wirklichkeit waren weder in Österreich noch in Deutschland die »Rechtspopulisten« und Faschisten die Erfinder von Asylantenhetze oder Islamfeindlichkeit. Sie fanden und finden den Rassismus vor, greifen ihn auf und spitzen ihn zu.
Und gerade weil Rassismus kein bloßer Reflex auf Krisen und neoliberale Verarmungsprogramme der Herrschenden ist, bedarf es einer massenhaften antirassistischen Aufklärungstätigkeit und antirassistischen Bewegung auf den Straßen und Plätzen sowie in den Betrieben, Schulen und Universitäten. Antikapitalismus und soziale Klassenkämpfe sind die Grundlage des Kampfes gegen rechts. Zugleich muss aber auch der Rassismus selbst in seiner ganzen Verlogenheit konsequent bekämpft werden.
Konservatives Überholmanöver gescheitert
Der Versuch von Sebastian Kurz, die rassistischen Hetzkampagnen von rechts außen zu übertönen und zu übertrumpfen, ist gescheitert. Kurz hat zwar aus dem übrigen bürgerlichen Lager (Neos, BZÖ, Liste Stronach etc.) und auch aus dem Nichtwähler-Lager Stimmen gewinnen können. Der Preis dafür war aber die politische Annäherung der Konservativen an die FPÖ. Und so triumphal wie von den Medien und von Kurz selbst gefeiert, war sein Wahlerfolg keineswegs. Merkels Union hat in Deutschland jedenfalls mit 33 Prozent anteilmäßig mehr Stimmen erhalten als die »Liste Kurz« in Österreich. Und auch jenseits von Prozentrechnungen kann sich Strache nun damit brüsten, er und seine FPÖ bestimmten den politischen Ton im Land. Selbstbewusster denn je sagt er nun: »Man kann uns aufhalten aber nicht stoppen.«
Die Grünen als Partei des neuen Mittelstandes und des städtischen Bildungsbürgertums sind ein Opfer der Rechtsentwicklung von Teilen ihrer eigenen Wählerschaft und ihres Versuchs, sich dem Rechtstrend einerseits anzupassen und ihm zugleich zu widerstehen. Zuerst amputierten sie sich den linken Arm als sie im Frühjahr ihre Jugendorganisation Junge Grüne aus der Partei ausschlossen, später wollten sie den Schritt nach rechts ihres Parteigründers Pilz hin zur offenen Islamfeindlichkeit nicht mitgehen und amputierten sich so auch noch den rechten Arm. Eine große Zahl ihrer Wähler hat sich dann am Wahltag für die SPÖ entschieden, wohl um einen Kanzler Kurz zu verhindern. Die SPÖ ist an einer politischen Katastrophe noch gerade so vorbeigeschrammt. Anderes als die deutsche SPD konnte sie ihr bisheriges Ergebnis halten. In den letzten beiden Wochen des Wahlkampfes ging Kern auf Konfrontation gegen die FPÖ (»uns trennen Welten«) und er brachte ein arbeitnehmerfreundliches Kündigungsschutzgesetz durch das Parlament. Allerdings in Zusammenarbeit und Absprache mit der FPÖ – was wiederum dieser nutzt, um sich als »ganz normale Partei« darzustellen, mit der man spricht und mit der sogar die SPÖ Bündnisse schließt.
Kaum ist die Wahl vorbei geht die SPÖ unter Kern wieder auf die FPÖ zu und zeigt Bereitschaft, mit dieser über eine gemeinsame Regierung zu verhandeln. Der Wiener Oberbürgermeister Häuptl und die Jugendorganisationen der SPÖ hatten schon in der Vergangenheit gegen eine Koalition mit der FPÖ protestiert. Noch ist die FPÖ nicht stärkste Partei geworden, die beiden anderen großen Parteien ÖVP und SPÖ werben nun um die Gunst der Faschisten. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, dass »ihre Position in den nun fälligen Koalitionsverhandlungen die der Spinne im Netz ist.« Strache hat inzwischen Anspruch auf das Innenministerium angemeldet, das heißt auf die Kontrolle über Polizei und Justiz.
Eine linke Alternative in Österreich
Österreich steuert auf eine politische Krise zu. Sowohl die SPÖ als auch die Grünen haben sich als unfähig erwiesen, dem Erstarken einer »Harzburger Front« aus National-Konservativen und Faschisten Einhalt zu gebieten. Das Entstehen der »Liste Pilz« aus dem rechten Flügel der Grünen ist ein Beleg dafür, dass das Gift des Rassismus auch in die städtisch-bildungsbürgerlichen Schichten der »Neuen Mittelklasse« eingedrungen ist.
Der Versuch, eine linke Alternative auf der Basis eines antikapitalistischen Programms unter dem Dach »KPÖ plus« aufzubauen, ist zunächst gescheitert. Dazu mag der Umstand der Polarisierung zwischen Kern und Kurz beigetragen haben. Der entscheidende Grund ist jedoch hausgemacht. Gregor Gysi, der auf einer Wahlveranstaltung der KPÖ plus in Wien auftrat, wies auf den Widerspruch hin, dass das »linkssozialdemokratische Wahlprogramm« (»das ist keine Kritik«, fügte er hinzu) im Widerspruch zum kommunistischen Namen der Wahlplattform stünde. Diese Kritik ist aus zwei Gründen richtig. Einmal dürften sich die wenigsten jungen und älteren Menschen in Österreich, die eine Kritik am Kapitalismus mit einer Kritik an der Rechtsentwicklung des Landes verbinden wollen und sich von den Grünen und SPÖ dabei nicht mehr vertreten sehen, als Sozialisten oder gar Kommunisten verstehen. Als die WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit) 2006 über den Namen einer zu vereinigenden Linken durch Zusammenschluss mit der damaligen PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) debattierte, trat der früherer IG Metall-Sekretär und Mitgründer der WASG, Klaus Ernst, ans Mikrofon und wandte sich heftig gegen eine »sozialistische« Namensgebung. Er erinnerte die Delegierten daran, dass im Namen des Sozialismus in der DDR großes Unrecht geschehen sei und dass er erst einmal wissen wolle, was denn dieser Sozialismus für ein Gesellschaftssystem sein solle. Recht hatte er.
Es braucht einen wirklichen Neuanfang
Der Kommunismus, einstmals von Karl Marx und Friedrich Engels mit ihren »Kommunistischen Manifest« begründet, ist durch den Stalinismus ein für alle Male in den Augen und im Gedächtnis der österreichischen (und deutschen) Arbeiterklasse diskreditiert. Da mag die Führung der KPÖ noch so oft beteuern, man habe sich gewandelt. Die Jungen Grünen haben mit ihrem Versuch, ein neues antikapitalistisches Bündnis unter dem Namen KPÖ plus aufzubauen, einen mutigen und richtigen Schritt getan. Die Lehre aus dem Scheitern ist nicht, alles hinzuschmeißen und den Kopf hängen zu lassen. Die Fehler und Schwächen der Wahlkampagne müssen allerdings sorgfältig diskutiert werden. Die Kräfte der österreichischen radikalen Linken müssen gesammelt und gebündelt werden, die KPÖ kann darin eine wichtige, aber nicht die führende Rolle spielen. Sie muss sich entscheiden, ob sie einen wirklichen Neuanfang machen will. Aus sich heraus ist die KPÖ nicht willens und nicht fähig, diesen Schritt zu wagen. Eine hundertjährige Vergangenheit mit allen ihren Schattenseiten, aber auch mit ihren großen Opfern im Kampf gegen Faschismus und Krieg, macht noch keine Zukunft. Sie ist vielmehr eine Altlast, die sich nun als Hindernis für einen Neubeginn erweist.
Die österreichische Arbeiterklasse hat Besseres verdient als eine bankrotte SPÖ, die damit liebäugelt, mit der Partei zu koalieren, die Österreich »islamfrei« machen will und ansonsten ein Programm des völkischen Nationalismus vertritt. Die Jugendorganisationen der SPÖ und ihr Wiener Oberbürgermeister Häuptl haben sich gegen Verhandlungen ihrer Partei mit der FPÖ gestellt. Aber sie sind wie immer in der Minderheit. Die Linke muss jetzt diesen Kampf von Häuptl und anderen unterstützen. In der SPÖ gibt es immer noch tausende Sozialistinnen und Sozialisten, die für eine linke Alternative gewonnen werden können. Sie werden aber –dass zeigen die bisherigen Erfahrungen – den Schritt der Lösung aus ihrer bankrotten Partei nicht wagen, solange es keinen politischen Pol gibt, dem sie sich anschließen können.
Foto: Michael Gubi
Schlagwörter: Antifaschismus, Faschismus, Faschisten, FPÖ, Grüne, Kurz, Linke, Österreich, ÖVP, Rassismus, SPÖ, Strache