Die Hamburger haben am 29. November mit 52 zu 48 Prozent gegen die Bewerbung um Olympische Spiele 2024 gestimmt. Florian Kasiske vom Bündnis „NOlympia Hamburg“ erklärt im marx21-Gespräch, warum das auch eine Abstimmung gegen marktliberale Stadtpolitik war.
marx21: Florian, wo sollen die Olympischen Spiele 2024 stattfinden?
Florian Kasiske: Unter den jetzigen Bedingungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nirgendwo. Am Besten wäre es, wenn sich keine Stadt mehr bewirbt, bis das IOC seine Regeln ändert.
Welche Bedingungen meinst du?
Das IOC besitzt das Urheberrecht an Olympischen Spielen und ist damit Monopolist für das wertvollste Sportereignis der Welt. Dadurch kann es den Ausrichter-Städten Knebelverträge aufzwingen.
Zum Beispiel …
… verlangt das IOC, in den sogenannten Gastgeberstadt-Verträgen, dass sämtliche Rechte beim IOC liegen und sämtliche Pflichten bei der Gastgeberstadt. Diese haftet gesamtschuldnerisch für alles, was mit der Austragung der Spiele zusammenhängt. Auch von Versammlungsfreiheit hält das IOC nicht viel: Demonstrationen in der Stadt müssen währen der Spiele zum Beispiel vom IOC genehmigt werden.
Aus diesen Gründen ergab ein juristisches Gutachten für die Münchner Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2022, dass die Verträge nach deutschem Recht sittenwidrig und damit illegal wären.
Magst du grundsätzlich keinen Spitzensport?
Doch, aber nicht zu den Bedingungen des IOC. Ich habe auch mit Spitzensportlern gesprochen, die froh sind, dass die deutschen Politiker jetzt einen Denkzettel bekommen haben. Damit sie verstehen, dass es so nicht weitergeht.
Florian Kasiske ist Sprecher von »NOlympia Hamburg«
Ist der Grundgedanke der Olympischen Spiele vom „friedlichen Wettstreit der Nationen“ nicht positiv?
Nein. Olympische Spiele sind Big Business mit Hauptsponsoren wie Coca Cola und McDonalds. Sollen wir die Show „friedlich“ nennen, nur weil beim Profit machen nicht geschossen wird?
Die Spiele bringen Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen
Wirklich? Die Sommerspiele 2012 in London waren eine perfekte Bühne für den britischen Premierminister David Cameron. Und die Winterspiele 2014 in Sotschi für den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Außerdem müssen alle Sportler bei Olympischen Spielen für einen Staat antreten und ihre Erfolge werden immer wieder zum Schüren von Nationalismus missbraucht. Etwas Völker verbindendes kann ich daran nicht erkennen.
Der sportpolitische Sprecher der LINKE-Bundestagsfraktion André Hahn bedauert die Entscheidung der Hamburger. Er meint, die Stadt hätte ein Konzept für nachhaltige und bescheidene Spiele gehabt.
Das hat mich wirklich überrascht. Vor allem weil die LINKE Hamburg vollständig gegen die Olympischen Spiele ist.
Wie verlief die Beteiligung der LINKEN an der Kampagne?
Sehr gut. Wir haben viele gemeinsame Veranstaltungen gemacht und einige LINKE-Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft haben viel mitgeholfen. Es war auch nützlich, eine Stimme für unsere Sache im Parlament zu haben.
Aber hat Hahn nicht recht?
Nein. Die Spiele wären vielleicht nachhaltiger gewesen, wenn sämtliche benötigten Sportstätten bereits in der Stadt vorhanden gewesen wären. Stattdessen wäre nach dem Konzept der Stadt neben dem Volksparkstadion mit 57.000 und dem Millerntor-Stadion mit 30.000 noch ein Olympiastadion mit 60.000 bis 80.000 Plätzen gebaut worden.
Was hätte dort nach den Spielen stattfinden sollen? Und was zum Teufel ist daran nachhaltig?
Gelobt wurde auch die zentrale Lage im Stadtteil „Kleiner Grasbrook“ …
… wo heute kleine und mittelgroße Hafenbetriebe sind. Die hätten umgesiedelt und entschädigt werden müssen. Außerdem hätte der Baugrund aufwändig nach Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg durchsucht werden müssen. Hamburg hatte kein bescheidenes, sondern das mit Abstand teuerste Konzept aller Bewerber.
Wären die Spiele nicht gut für den Hamburger Sport gewesen?
Ich denke nicht. In Hamburg gibt es etwa 1600 Sportplätze und -hallen. Für die Olympischen Spiele wären davon etwa 100 modernisiert worden, aber nicht nach den Bedürfnissen der Menschen, sondern für eine kommerzielle Show, an der in zwei Wochen über 10.000 Profi-Sportler teilnehmen, die danach alle wieder verschwinden.
Was sollte dann für den Sport getan werden?
Vernünftige Sportpolitik wird für Millionen Menschen gemacht, die Sport treiben, also für den Breiten- und nicht für den Profisport. Eine Untersuchung hat ergeben, dass heute in Großbritannien 700.000 Menschen weniger sportlich aktiv sind als vor den Olympischen Spielen in London 2012. Die Geschichte von Kindern, die Olympiasieger im Fernsehen sehen und ihnen dann auf dem Sportplatz nacheifern, ist ein marktliberales Lügenmärchen.
Wieso marktliberal?
Weil es eine Abwandlung der Behauptung ist: „Was Profit bringt, nützt allen.“ Die Olympischen Spiele sind die profitabelste Show der Welt. Das IOC hat allein für die USA die Übertragungsrechte der sechs Olympischen Sommer- und Winterspiele von 2022 bis 32 für umgerechnet 7,1 Milliarden Euro an Comcast verkauft. Darum geht es wirklich bei Olympia. Die positiven Auswirkungen für den Breitensport sind ein Mythos, der uns oft erzählt wird, sich aber durch nichts belegen lässt.
Was würde dem Breitensport wirklich nützen?
Wenn Politiker sich Gedanken über die gesellschaftlichen Faktoren machen, die Menschen davon abhalten, Sport zu treiben. Wie viel kostet mein Sport? Wie viele Plätze gibt es in den Vereinen für Breitensportler? Wie viel Freizeit habe ich, um Sport zu treiben? Breitensport ist Teil des sozialen Lebens und nicht davon abhängig, ob strahlende Helden im Fernsehen Goldmedaillen bekommen.
Hätten die Olympischen Spiele die Hamburger Infrastruktur verbessert?
Sicher wären einige U-Bahn-Höfe gebaut worden. Aber was nützen Bahnen zum Olympiastadion, wenn die Spiele nach zwei Wochen vorbei sind? Sicher hätte es eine Erweiterung der U-Bahn auf den neuen Stadtteil „Olympia-City“ auf dem Kleinen Grasbrook gegeben.
Aber auch hier gilt: Eine Verkehrspolitik für die Profitmaximierung des IOC ist größtenteils nutzlos für die Menschen in Hamburg. Wir brauchen Bahn- und Buslinien in den Wohngebieten der sozial schwächeren Bevölkerung und nicht bei neuen Luxuswohnungen in Hamburg-Mitte.
Was für Luxuswohnungen?
Ein Argument von Bürgermeister Olaf Scholz war, dass um das Olympia-Gelände und sogar im Mantel des neuen Stadions Wohnungen gebaut werden …
… was im teuren Hamburg enorm wichtig wäre.
Ja, aber die „Blaupause“ für den neuen Stadtteil sollte die HafenCity werden – ein neuer Stadtteil im Zentrum, in dem sich Normalverdiener keine Wohnungen leisten können. Wegen der Lage und den hohen Erschließungskosten des Kleinen Grasbrooks wären die Wohnungen sehr teuer geworden und die Mieten in umliegenden Stadtteilen wie der Veddel oder Wilhelmsburg wären mit Sicherheit weiter gestiegen. Neue Luxuswohnungen senken die Mieten nicht, sondern erhöhen sie.
Gibt es dazu Erfahrungen aus anderen Städten?
Ja. In London sind die im Rahmen der Olympischen Spiele gebauten Wohnungen heute so teuer, dass nur Reiche dort wohnen. In Barcelona sind nach Vergabe der Spiele 1992 die Mieten zwischen 1986 und 93 um 145 Prozent gestiegen.
Wenn so viel gegen Olympische Spiele spricht, warum waren dann CDU, SPD, Grüne, AfD und FDP dafür?
Die Bewerbung um die Olympischen Spiele war ein Teil der seit langem betriebenen marktliberalen Stadtpolitik in Hamburg. Sie stand in einer Reihe mit dem Bau der HafenCity und der überteuerten Elbphilharmonie.
Inwiefern?
Marktliberale Stadtpolitik bedeutet, in einen Wettbewerb um die Reichen und Reichsten zu treten. Bürgermeister in ganz Europa treten in einen Wettstreit um die wohlhabendsten Einwohner, um Menschen die vor lauter Geld eine Zweitwohnung kaufen, gar nicht arbeiten müssen oder überall wohnen können, solange ein Flughafen in der Nähe ist.
Was hat das mit Olympischen Spielen zu tun?
Um Reiche anzuziehen, braucht eine Stadt neben niedrigen Steuern ein cooles, hippes, kosmopolitisches und trendiges Image. Welche Metropole unter Millionären gerade „in“ ist, ist auch eine emotionale Frage und dafür sind Olympische Spiele die perfekte weltweite Werbung.
Was ist das Ziel dieser Politik?
Es ist der verzweifelte Versuch, Menschen die viele Steuern zahlen, in die Stadt zu bekommen, um die leeren öffentlichen Kassen zu füllen. Die gefürchtete „Gentrifizierung“, das Verdrängen sozial schwacher Bevölkerung, ist für marktliberale Politiker erstrebenswert. Auch wenn sie das nicht öffentlich sagen.
Arme Menschen bringen kein Geld in die Kasse und gefährden das Image der Stadt. Sie sind für den marktliberalen Politiker also bestenfalls nutzlos und schlimmstenfalls schädlich.
Welche Bedeutung hat die Hamburger Abstimmung langfristig?
Dass es so bald keine Olympischen Spiele mehr in Deutschland geben wird. Aber vor allem: Die Hamburger haben jetzt verhindert, dass die Stadtpolitik in den nächsten neun Jahren automatisch an Profit-Interessen ausgerichtet wird.
Natürlich wird die marktliberale Politik weitergehen. Aber wir haben der Idee für das „Recht auf Stadt“ neue Spielräume, Argumente und neue Hoffnung verschafft, um künftig weiter Druck gegen diese menschenverachtende Politik zu machen.
Florian, wir danken dir für das Gespräch.
Florian Kasiske ist Sprecher des Bündnisses „NOlympia Hamburg“ und arbeitet als Sozialarbeiter.
(Die Fragen stellte Hans Krause.)
Foto: txmx 2
Schlagwörter: Gentrifizierung, Hamburg, Inland, Linke, NOlympia, NoOlympia, Olympia, Scholz