Der Film »Junction 48« erzählt eine spannende Geschichte über das Leben jugendlicher Palästinenser in Israel. Phil Butland ist begeistert von der facettenreichen Darstellung
Kareem (Tamer Nafar) arbeitet tagsüber in einem Callcenter. Abends versucht er, seinen Traum zu verwirklichen und ein erfolgreicher Rapper zu werden. Er behauptet, seine Texte seien nicht politisch, sondern handelten nur von seinem Alltagsleben. Aber mit einem Alltag wie Kareems ist es unmöglich, nicht politisch zu sein.
Kareems Leben unterscheidet sich nicht wesentlich von jenem von Millionen Jugendlichen aus der Arbeiterklasse weltweit. Doch eins ist besonders: Kareem lebt in 48 Palästina, so nennen manche Palästinenser den Teil Israels, der innerhalb der Grenzen von 1948 liegt. Und die Repression, die er täglich erlebt, ist anders als anderswo.
Die Willkür der Unterdrückung
Den Alltagsrassismus, den Kareem und seine Freundinnen und Freunde erfahren, kennen anders Aussehende auch in anderen Ländern – vielleicht auch die regelmäßigen Polizeikontrollen (hier allerdings Kontrollen durch die Armee). Andere Formen der Unterdrückung gibt es jedoch nur dort.
Kareem wohnt in Lod, einer Stadt in der Nähe des Tel Aviver Flughafens. Die Familie seines Freunds Talal (Saeed Dassuki) wohnt seit Generationen dort. Aber weil sie im Jahr 1948 kurzzeitig vor der israelischen Invasion geflohen waren, besitzen sie keine Aufenthaltserlaubnis. Nun soll ihr Haus abgerissen werden, um ein Museum zu bauen, in dem das friedliche Zusammenleben von Israelis und Palästinenserinnen und Palästinensern gezeigt werden soll.
Der israelische Regisseur von »Junction 48«, Udi Aloni, erklärte: »Das Projekt eines ›Museums der Koexistenz‹ aus meinem Film gibt es in der Realität in Lod nicht. Aber in fast jeder jüdisch-palästinensischen Stadt in Israel gibt es solche Orte… Das vielleicht passendste Beispiel ist das Museum der Toleranz in Jerusalem, das auf dem alten Mamilla-Friedhof einer vertriebenen palästinensischen Gemeinde gebaut wurde.«
Ein differenziertes Bild der Palästinenser
Ein unausgesprochenes, aber ständig präsentes Thema im Film ist, wie die verschiedenen Generationen mit ihrer Kriegsmüdigkeit umgehen. Dieses Jahr werden wir des 50. Jahrestags der Besatzung des Westjordanlands gedenken. In 48 Palästina dauert die Besatzung bereits fast zwei Jahrzehnte länger und die Aussichten, zu einer gerechten Lösung für die palästinensische Bevölkerung zu finden, sind noch viel schlechter.
Kareems Eltern sind alte Kommunisten, deren Praxis anscheinend in langen Diskussionen und Kulturveranstaltungen besteht. Nach einem Autounfall ändert sich der Glaube von Kareems Mutter und sie wird Heilpraktikerin. Kareem und seine Kumpels sind erstmal nicht an politischem Aktivismus interessiert, sie verbringen ihre Zeit lieber mit Kiffen und im Bordell. Sie wollen keinen Widerstand leisten, sie wollen vor allem raus. Manar (Samar Qupty), Kareems Freundin, versucht, eine Brücke zwischen den Generationen zu bauen und ist politisch aktiv. Sie singt bei den traditionellen Volkskonzerten und rappt zusammen mit Kareem. Aber ihre konservative Familie meint, dass die Bühne kein Ort für Frauen ist.
»Junction 48« ist kein Film, der zeigt, wie heroische Palästinenserinnen und Palästinenser erfolgreich Widerstand gegen die Besatzung leisten. In ihrem Leben ist das Überleben wichtiger als große Siege. Und mit Ausnahme von Manar haben alle Charaktere ihre Fehler. Kareem ist charismatisch, aber faul, und sein Umgang mit Manar ist oft problematisch. Andere Palästinenser sind sexistisch oder gewalttätig und eher bereit, einander zu bekämpfen als die Soldaten, die sie tagtäglich unterdrücken.
Die Israelis, die wir sehen – hauptsächlich ein paar nationalistische Rapper mit Davidstern-Tätowierungen – sind keine Dämonen. Sie fühlen, dass ihre Kultur bedroht wird, und reagieren entsprechend (rassistisch). Sie amüsieren sich über Geschichten, in denen alte Palästinenser an Checkpoints belästigt werden, aber sie verkommen nicht zu Karikaturen. Sie akzeptieren Kareem als Rapper, während sie ihn als Palästinenser hassen.
Unbedingt ansehen!
Der Film erzählt mehrere Geschichten – selbst die Schlussszene ist nur der Anfang eines ganz neuen Kapitels. Eine legitime Kritik wäre, dass diese Geschichten zu kurz sind und wir mehr erfahren wollen. Aber jede kleine Geschichte wird mit Liebe und Verständnis erzählt und darf sich in unserer Vorstellungswelt weiterentwickeln.
»Junction 48« wäre eine spannende Erzählung über die Bedrängnisse des Lebens von modernen Jugendlichen, egal wo der Film spielen würde. Dass er auch die Schwierigkeiten von arbeitenden Palästinenserinnen und Palästinensern beleuchtet, macht ihn nur umso sehenswerter. Auf der Berlinale 2016 hat »Junction 48« den Publikumspreis gewonnen, und das völlig verdient. Höchst empfehlenswert!
Der Film:
Junction 48
Regie: Udi Aloni
USA, Deutschland, Israel 2016
X Verleih
im Kino ab 19. Januar 2017
Schlagwörter: Armee, Berlinale, film, Filmkritik, Hip Hop, Israel, Jerusalem, Kultur, Musik, Nahost, Nakba, Palästina, Polizei, Rezension, Unterdrückung, Vertreibung, Westjordanland