Was ist eine ثورة Revolution? Anne Alexander ist ein vielschichtiges Panorama des Arabischen Frühlings gelungen. Von Rosemarie Nünning
Als der Arabische Frühling in Ägypten begann, gehörte ich zu den vielen Linken, die gebannt jede Nachricht und jedes Bild des Nachrichtensenders Al Jazeera verfolgten. Die Demonstrationen, die Besetzung des Tahrirplatzes in Kairo, das brutale Vorgehen der Polizei, die Streiks.
Begonnen hatte die »Arabellion« im Dezember 2010 in Tunis mit der Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers, dem die Polizei den Marktstand geschlossen hatte. Der Hass auf die diktatorischen Regime der arabischen Welt, die Wut über neoliberale Politik, über Armut und Not brachen sich Bahn. »Tage des Zorns« wurden ausgerufen, Regierungen wurden gestürzt. Massenbewegungen erfassten den arabischen Raum von Mauretanien im Nordwesten Afrikas bis in nach Jemen an der südöstlichen Spitze der Arabischen Halbinsel.
Die britische Historikerin und Sozialistin Anne Alexander bietet uns einen ausgezeichneten Überblick über die wichtigsten Länder in diesem revolutionären Prozess und den sehr unterschiedlichen Verlauf, den dieser je nach Land und Charakter der Bewegung nahm.
Räte sind der Kondensationskeim der Revolution
In Tunesien wurden Gewerkschaftsverbände zu einem wesentlichen Rückgrat der Bewegung. Nach wenigen Wochen flüchtete Staatspräsident Ben Ali und es wurde eine demokratische Übergangsregierung gebildet.
In Ägypten begann der Aufstand im Januar 2011. Als eine Streikbewegung vor allem in den Textilfabriken des Nildeltas hinzutrat, ließ die Armee den Diktator Husni Mubarak fallen. Ein Militärrat übernahm die Macht und versprach Reformen.
In Libyen gründeten sich Revolutionsräte. Der Aufstand ging jedoch schnell in einen bewaffneten Konflikt über. Zwar setzte sich der Staatschef ab, aber Nato-Staaten griffen auf der Seite der Aufständischen ein und diese verloren die Kontrolle über den revolutionären Prozess.
An den Erhebungen waren Frauen sichtbar und aktiv beteiligt. Auf den besetzten Plätzen, in den Einrichtungen der Selbstorganisation veränderte sich das Bewusstsein bezüglich der Geschlechterordnung. Die Beteiligten überwanden alte konfessionelle und »ethnische« Spaltungen und es wurde große Kreativität freigesetzt – es war ein, wenn auch kurzlebiges, »Fest der Unterdrückten und Ausgebeuteten«.
Die Konterrevolutionen waren militärisch geführt
Am Ende siegte vielfach die Konterrevolution. In Bahrain walzten saudische Panzer den Protest nieder. In Syrien verwüstete das Regime das Land, um sich an der Macht zu halten. In Ägypten errichtete das Militär mit dem neuen Staatspräsidenten Abdel Fatah al-Sisi unter dem Beifall auch Deutschlands ein noch brutaleres Regime als zuvor.
In wenigen der vom Arabischen Frühling erfassten Ländern sind die politischen Verhältnisse heute demokratischer als zuvor. Teile der Demokratiebewegungen hofften auf die Armee, auf ausländische Mächte oder trauten sich nicht, die Revolution bis zum Umsturz der gesamten Verhältnisse weiterzutreiben.
Das wirft wichtige Fragen auf: Was ist eine Revolution? Welche politischen und sozialen Kräfte wirken auf sie ein? Welche Formen der Organisation können die Revolution voranbringen?
Darüber spricht Anne Alexander abschließend mit sozialistischen Akteur:innen der Revolution in Ägypten, Syrien und Algerien. Trotz der Niederlagen sehen sie auch heute noch das Ferment künftiger Revolutionen. Darauf müssen Revolutionär:innen besser vorbereitet und mit sehr viel stärkeren Organisationen in den Bewegungen und Betrieben verankert sein als im Arabischen Frühling, um dazu beizutragen, dass das nächste Mal das Rückgrat des Staates endgültig gebrochen wird.
Das Buch:
Anne Alexander
ثورة Revolution – Krise und Aufstand im Nahen Osten und Nordafrika
Edition Aurora
Berlin 2022
120 Seiten
6,50 Euro
Schlagwörter: Arab Spring, Arabellion, Arabischer Frühling, Buchrezension, Revolution