Oskar Lafontaine ist aus der Linkspartei ausgetreten. Und nun? Ein Kommentar von Thies Gleiss
Zehn Tage vor den Landtagswahlen im Saarland hat Oskar Lafontaine seinen Austritt aus der LINKEN erklärt. Neben den nicht gerade profund belegten Behauptungen, die LINKE sei keine Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens mehr, sind es vor allem persönliche Befindlichkeiten, die ihn zum Austritt veranlassten: Ein Ausschlussantrag gegen ihn wegen seines Aufrufes, nicht die LINKE zu wählen, Verbitterung über den Parteivorstand in Berlin, der nicht so in den Selbstzerlegungsprozess des Landesverbandes Saarland der LINKEN eingreifen wollte, wie Oskar es gewünscht hat. Zu diesen Befindlichkeiten passt dann auch das Timing kurz vor der Wahl. Wenn schon dreckig, dann richtig.
Lafontaine und die Befindlichkeiten
Noch vor zehn Jahren auf dem Parteitag in Göttingen hatte Oskar in einer fulminanten Rede Gregor Gysi, der damals von Spaltung schwadronierte, vorgehalten, dass eine Partei nicht wegen Befindlichkeiten verlassen oder gar gespalten werden darf. Nun verlässt er die LINKE und einen Landesverband, der möglicherweise am Wahltag die finale Quittung dafür erhält, was Oskar Lafontaine selbst lange Zeit maßgeblich mit ausgelöst und zu verantworten hatte. Eine linke Partei nur als Wahlverein und Claqueursgemeinschaft für die Parteielite aufzubauen, wird zwangsläufig scheitern. Seine eigenen Truppen haben sich von ihm abgewandt und er jetzt von ihnen.
Ein Motor der LINKEN
Oskar war wichtiger Motor bei der Gründung der LINKEN. Nicht so sehr wegen seiner programmatischen Ideen und Vorgaben, sondern vor allem wegen seiner Haltung. Das Programm der WASG und der damaligen PDS war von der Massenbewegung gegen die Agenda-2010-Politik der Schröder-Regierung und der Kritik an der zunehmenden Militarisierung im Zuge des Balkankrieges geprägt. Oskar trat dafür mit seiner rhetorischen Brillanz und seiner langjährigen Erfahrung in der »großen Politik« ein.
Austritt aus der SPD
Entscheidend war aber, dass er 2005 aus der SPD austrat und sich für einen Neuaufbau einer linken Partei aussprach. Das war das wichtige Signal, dass eine neue linke Partei in Deutschland nur durch einen Bruch mit der SPD entstehen wird. Nur dieser Bruch konnte die Hoffnung »auf eine neue soziale Idee« bei vielen enttäuschten und von der realen Politik geschädigten Menschen auslösen. Eine neue Partei entsteht nicht durch geräuschloses Dazulernen der alten Parteien, sondern mit lautem Getöse oder gar nicht.
Vereinigungsprozess zur neuen Linken
Das zweite Verdienst von Oskar besteht darin, dass er darauf pochte, diese neue linke Partei ausgerechnet mit der PDS, dem Schmuddelkind der deutschen Geschichte, den Resten der DDR-Staatspartei SED, der ihr Staat abhandengekommen war, zusammen aufzubauen. Dadurch wurde die neue linke Partei die erste wirklich gesamtdeutsche Partei und Hoffnungsträgerin auch im Osten, wo die PDS aufgrund verheerender Anpassung und opportunistischer Regierungsbeteiligung gerade ihren langen Sterbeprozess startete.
Wo Lafontaine schon immer falsch lag
Oskar hatte immer auch reaktionäre und schräge Positionen. Seine Haltung zur Migrationsfrage ist rechts anschlussfähig (Lies hier den marx21-Artikel: Oskar Lafontaine, Migration und der »Arbeiterprotektionismus«). Seine Kritik an der Windenergie falsch und gegenüber der Klimagerechtigkeitsbewegung verstörend. Seine – gerade wieder in seiner Abschiedsrede im saarländischen Landtag vorgetragene – Position für eine deutsch-französische Verteidigungsgemeinschaft ist nur schräg. Hier ist es das Verdienst der LINKEN als Partei, dass sie Oskar diese Flausen zumindest zeitweilig austrieb.
Der bisherige (Wahl)Höhepunkt
Der 2007 gegründeten LINKEN wurde durch einen zähen, von alten SPD- und SED-Bürokratietraditionen geprägten Gründungsprozess schon viel von diesem Anfangszauber genommen. Aber die tiefe Krise des Weltkapitalismus 2007 bis 2009 verschaffte der LINKEN bei ihrem ersten eigenständigen Wahlantritt ein formidables Ergebnis von fast zwölf Prozent. Von diesem Anfangserfolg erholte sich die neue linke Partei leider nicht. Mit Macht drängten sich die alten reformistischen Politikkonzepte, die sowohl die SPD als auch die PDS bis 2004 zugrunde richteten, wieder in den Vordergrund. Die ganze Welt sprach von einer Zukunft jenseits des Neoliberalismus und Kapitalismus – nur die LINKE weigerte sich angesichts der Krise, die Systemfrage zu stellen. Auch Oskar tat dies nicht, der maßgeblich daran beteiligt war, die Partei und Fraktion der LINKEN zu normalisieren und zu einer der üblichen am Berliner Politikgeschäft beteiligten Parteien zu machen.
Nur halb genutzte Chancen
Die Geschichte gab immer wieder neue Chancen für die LINKE frei: Nach der Finanzkrise kam 2011 die Katastrophe in Fukushima, die das Energiekonzept der herrschenden Klasse durcheinanderwürfelte. Es folgten der arabische Frühling und die folgenden furchtbaren Weltneuordnungskriege in Libyen, Syrien, Afghanistan, Irak usw. Danach die »Flüchtlingskrise« von 2015 und in den letzten Jahren die »Corona-Krise«. Und die ganze Zeit die sich beschleunigende Klimakrise, die alle anderen Fragen umschloss und neu stellte. Und jetzt die Mutter aller Krisen schlechthin: Ein drohender neuer Weltkrieg, ausgehend vom Überfall Russlands auf die Ukraine.
Funktionärskörper statt Systemfrage
Doch immer wieder zeigte sich: Die LINKE kann nicht Krise. Sie will die Systemfrage nicht stellen, obwohl die gesellschaftlichen Verhältnisse und auch eine durchaus aktive und drängende junge Generation es immer wieder verlangten. Stattdessen verselbständigte sich in der LINKEN immer mehr ein berufspolitischer Funktionärskörper, der sich entlang dreier allesamt irreal sozialdemokratischer Politikmodelle einen Konkurrenzkampf und Fegefeuer der Eitelkeiten leistete: Erstens eine fast zynische Truppe, die unbedingt gemeinsame Regierungsgeschäfte mit der SPD und den GRÜNEN beginnen will, völlig egal, wer in den beiden Parteien das Sagen hat oder was die programmatischen Inhalte sind. Zweitens eine verträumte Gruppe, die das gleiche anstrebt, aber das nur durch eine moralisch veränderte SPD und GRÜNE erreichen will. Sie säuft sich die kleinsten Regungen der Hartz-IV-Parteien deswegen unermüdlich schön. Und drittens die Wagenknecht und Lafontaine-Anhänger:innen, die eine SPD 2.0 aufbauen wollen, die, allerdings an den jetzigen Parteieliten von SPD und GRÜNEN vorbei, durch eine neue »Sammlungsbewegung« hinter populistisch-prominenten Leitfiguren entstehen soll.
Eine neue linke LINKE wird gebraucht
Nichts am Hut haben alle drei Konzepte mit einer aktivistischen Mitgliederpartei, die sich real in Klassenkämpfen verankert und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig verändern will (Lies hier das marx21-Thesenpapier: DIE LINKE: Raus aus der Regierungsfalle!). Im Mittelpunkt stehen bei allen drei Konzepten vor allem Wahlkämpfe und mediales Politikprofigetue. Für reale Politik und Mobilisierung oppositioneller Bewegungen, die eine angemessene Antwort auf die Krisen des Kapitalismus geben und die Systemfrage stellen können, reicht keines dieser drei Konzepte – dafür umso mehr für Eifersüchteleien, Pöstchengeschacher und Intrigen.
Lafontaine und seine Verdienste
Oskar ist jetzt auch Opfer solcher Prozesse geworden, aber er hat diese mit ermöglicht und sich schon gar nicht gegen sie gestellt. Das alles ist bitter, und übertönt die Verdienste von Oskar Lafontaine bei dem Neuformierungsprozess der politischen Linken, aber völlig verdrängen können sie sie nicht.
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