Die Piloten der Lufthansa setzen ihren Streik fort. Aber selbst von Gewerkschaftern hagelt es Kritik, es ginge lediglich um die Standesinteressen privilegierter Beschäftigter. Doch das ist grundfalsch, meint Heinz Willemsen
Egal ob die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO), die Lokführergewerkschaft GDL oder die Ärztegewerkschaft Marburger Bund: Gewerkschaften außerhalb des DGB machen in den letzten Jahren Schlagzeilen mit effektiven und häufig erfolgreichen Streiks. In den Medien werden sie dafür heftig kritisiert. Die Bildzeitung rief 2015 zum Telefonterror beim GDL-Vorsitzenden Wesselsky auf. Das Bundesarbeitsgericht verdonnerte im Juli 2016 die Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) zu einem Schadensersatz für einen Streik 2012, der die kleine Gewerkschaft in den Ruin treiben kann. Selbst viele prominente DGB-Gewerkschafter scheinen den urgewerkschaftlichen Grundsatz vergessen zu haben, dass man Streikenden nicht in den Rücken fällt. Sie kritisieren vermeintlich ständische Partikularinteressen und stimmen ein in den Chor über privilegierte Beschäftigtengruppen.
Standesorganisationen streiken nicht
Das ist grundfalsch. Ihre Streiks verdienen die Solidarität von Gewerkschaftern und Linken. Denn Standesorganisationen, das hat der ehemalige IG-Druck-Vorsitzende Detlef Hensche eingewandt, streiken nicht. Wer im Fall der Lokführer von privilegierten Beschäftigten redet, kann nicht die Lohnabhängigen der Deutschen Bahn meinen. Bei Schichtarbeit verdienen sie nicht nur deutlich weniger als ihre Kollegen in anderen EU-Staaten. Mit einem Netto-Gehalt unter 2.500 Euro liegen sie auch eher im unteren Feld der Löhne. Der Hauptvorwurf gegen den Streik der GDL 2014 lautete, sie betreibe Rosinenpickerei für eine mit besonderer Produktionsmacht ausgestattete Gruppe. Aber es war gerade der Bahnvorstand, der sich heftig gegen die Forderung der GDL wehrte, nicht nur Lokführer zu vertreten, sondern auch die schwächere Gruppe der Zugbegleiter.
Es geht nicht um Privilegien
Aber auch wer wie die Fluglotsen erheblich mehr verdient, streikt nicht, um sich Privilegien auf Kosten anderer Lohnabhängiger zu sichern. Piloten, Fluglotsen und Flugbegleiter sehen sich heute den gleichen Problemen gegenüber wie Millionen andere Lohnabhängige auch. Ausgründungen in Billigflieger-Gesellschaften haben teilweise drastische Lohnsenkungen für diese Berufsgruppen zur Folge. Und die neuen Gesellschaften eröffnen eine Abwärtsspirale, die sich auch auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Muttergesellschaften auswirkt. Wer sich wie Piloten und Fluglotsen gegen krankmachende Arbeitsbedingungen und Überstunden wehrt, leistet zugleich einen Beitrag zur Flugsicherheit für Millionen ganz normale Passagiere.
Einheit der Klasse
Die Spaltung der Arbeiterklasse durch Privatisierung und Ausgründung ist Folge der neoliberalen Deregulierung. Sie ist auch dem Unvermögen der DGB-Gewerkschaften geschuldet, darauf adäquat zu reagieren. Politisch häufig eher konservativ, haben Cockpit, UFO und GDL dagegen ganz instinktiv gewerkschaftlich darauf reagiert. Privatisierungen sind sie mit gewerkschaftlicher Organisierung begegnet, statt mit der Hoffnung auf eine erneuerte Sozialpartnerschaft oder hilflosen Appellen an die Politik. So ist heute die GDL und nicht die DGB-Gewerkschaft EVG die größte Gewerkschaft bei den Privatbahnen. Und es war die GDL, die mit ihrer erfolgreichen Organisationsarbeit bei den Privatbahnen verhindert hat, dass von dort mit Dumpinglöhnen Druck auf die Beschäftigten der Deutschen Bahn ausgeübt wird. Solidarität mit diesen Arbeitskämpfen sollten sich deshalb auch die großen DGB-Gewerkschaften auf die Fahnen schreiben. Das wäre ein Schritt zur Einheit der Klasse.
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Foto: spatz_2011
Schlagwörter: Bahnstreik, Cockpit, DGB, GDL, Lokführer, Spartengewerkschaften, Streik