Ein PKK-Kämpfer schlägt sich schwer verletzt durch die Berge – und erfährt die Solidarität seiner Mitmenschen. Murat Türks »Zeit der Brombeeren« gehört zu den wenigen kurdischen Guerillaromanen, die in deutscher Sprache vorliegen. Von Florian Wilde
Der kurdische Freiheitskampf hat nicht nur wichtige Beiträge zur politischen Theorie und Praxis, sondern auch einen reichen musikalischen Schatz und zahlreiche literarische Werke hervorgebracht, darunter auch viele Werke der Genre Guerilla- und Gefängnisliteratur. Wenig davon wurde bisher auf Deutsch übersetzt. Nun liegt mit »Zeit der Brombeeren« zum zweiten Mal überhaupt ein kurdischer Guerillaroman in deutscher Sprache vor, dessen einfühlsame Übersetzung Meral Zin Cicek besorgte.
In der autobiografisch gefärbten Erzählung schildert Murat Türk das Leben des Protagonisten Servan in den Reihen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Seine kleine Einheit zieht auf nächtlichem Marsch durch die Berge. Als er und seine Genossen ein Camp türkischer Soldaten entdecken, schleichen sie sich in die Zelte und entwenden die Gewehre. Dann aber nimmt die Gruppe eine falsche Abzweigung: »Ein kleines Detail hatte unseren ganzen Plan durcheinander gebracht. Hätte unser Wegweiser Mahir an der Gabelung nicht gezögert, wäre all dies vielleicht gar nicht geschehen. Bei Nachtmärschen ist es nicht ungewöhnlich, dass der Erste in der Reihe an manchen Stellen zögert. Aber diesmal hatte dieses Zögern länger als sonst gedauert. In dem Moment konnte ich es nicht wissen, aber die Gabelung dieses schmalen Pfads sollte auch den Verlauf meines weiteren Lebens verändern. Dabei wäre alles anders gekommen, hätten wir nur die untere Abzweigung genommen. Aber wir hatten uns für den nach oben führenden Weg entschieden. Das sollte uns zum Verhängnis werden.« Denn die Gruppe gerät in einen Hinterhalt. Nach stundenlangen Kämpfen muss sie sich zurückziehen – und den schwer verletzten Servan unter einem Brombeerbusch zurücklassen.
Große Solidarität aus der Bevölkerung
Von dort aus muss sich dieser alleine zu seinen Genossen durchschlagen. Einsam durchstreift er die Berge und macht dabei immer wieder Erfahrungen mit der großen Solidarität aus der Bevölkerung. Obwohl sie damit ihr Leben und ihr ganzes Dorf in Gefahr bringen, verstecken und versorgen einfache Menschen immer wieder den verletzten Kämpfer, geben ihm Medikamente, Kleidung und Schuhe. Doch nicht jedem ist zu trauen: Der Staat hat sich mit den »Dorfschützern« ein Netzwerk bewaffneter Informanten und Verräter aufgebaut. Dörfer, deren Bewohner den Guerilleros halfen, werden niedergebrannt. Und trotzdem findet Servan immer wieder Menschen, die seinen Kampf unterstützen und ihm helfen, bis er seine Gruppe schließlich wiederfindet.
Leider verlässt die Erzählung kaum die Ebene unmittelbaren Erlebens, eingeflochten in die detailliert-blumige Schilderung der Berglandschaft. Der Leser oder die Leserin erfährt wenig über Servans Hintergrund, seine Motive, in die Berge zu gehen, seine politische Ausbildung, seine Entwicklung. Auch der politisch-historische Kontext wird kaum thematisiert.
An den Klassiker des autobiografisch gefärbten Guerillaromans, Omar Cabezas »Die Erde dreht sich zärtlich, Companera« (vor dem Hintergrund des Guerillakrieges im Nicaragua der 1970er Jahre), der eine spannende Schilderung des Guerillaalltages in einen mit dem historischen, sozialen und politischen Geschehen verbundenen Entwicklungsroman einflicht, kann »Zeit der Brombeeren« daher nicht heranreichen. Aber das Buch legt ein plastisches Zeugnis der Selbstwahrnehmung eines kurdischen Kämpfers über das Leben in den Bergen ab.
Die Selbstwahrnehmung eines PKK-Kämpfers
Murat Türk ist so alt wie ich. Wir beide begannen 1992, uns politisch zu organisieren. Er in der Arbeiterpartei Kurdistans, ich in der Sozialistischen Arbeitergruppe (SAG) Kiels. Während ich mit einer Zeitung unter dem Arm vor Infotischen stand, ging er mit einem Gewehr über der Schulter in die Berge. Im Jahr 1995, Murat war 19, ich ging noch zur Schule, wurde er verhaftet. Die vergangenen 21 Jahre verbrachte er in türkischen Gefängnissen, darunter auch den berüchtigten »Typ F«-Isolations- und Folterknästen. Dort schrieb er »Zeit der Brombeeren« mit Stift und Zettel. Es ist das erste Buch einer Trilogie über seine Zeit bei der Guerilla.
Ob der zu lebenslanger Haft verurteilte Murat wohl jemals wieder in Freiheit Brombeeren pflücken kann? Ob es wohl jemals eine Autorenlesung mit ihm geben wird? Wohl nur, wenn es gelingt, die Türkei zu einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu bewegen, und dieser dann auch eine Amnestie der tausenden kurdischen politischen Gefangenen beinhaltet.
Bücher wie dieses tragen dazu bei, dass die Geschichte und das Schicksal dieser Gefangenen nicht in Vergessenheit geraten.
Das Buch: Murat Türk: Zeit der Brombeeren
Mezopotamien Verlag, Neuss 2016, 225 Seiten, 9,95 Euro
Foto: Kurdishstruggle
Schlagwörter: Buch, Bücher, Bügerkrieg, Freiheitskampf, Guerilla, Kultur, Kurden, Kurdistan, PKK, Türkei