Mitte April hat das polnische Parlament erneut über ein Abtreibungsverbot abgestimmt. Trotz erschwerter Bedingungen leistete die feministische Bewegung Widerstand. Von Alicja Flisak
Schwangerschaftsabbruch ist in Polen nur in drei Fällen legal: Wenn Gefahr für Leben und Gesundheit der schwangeren Person droht, bei einer schweren Missbildung des Fötus’ oder nach einer Vergewaltigung. Zum dritten Mal innerhalb der letzten vier Jahre wird derzeit eine Einschränkung des Rechts auf Abbruch diskutiert. Gegner der sexuellen Selbstbestimmung haben bereits 2016 eine Niederlage erlitten. Unter dem Druck der sozialen Massenbewegung – dem sogenannten »Schwarzen Protest« und dem Frauenstreik – landete ihre Initiative zum totalen Abtreibungsverbot im Müll.
Abtreibungsverbot
Ende 2017 wurde dem polnischen Unterhaus, dem Sejm, eine Gesetzesinitiative vorgelegt: Schwangere sollen gezwungen sein, schwerbehinderte Kinder auszutragen. Diesem Gesetz nach sollte ein Schwangerschaftsabbruch nicht gestattet werden, wenn pränatale Untersuchungen oder andere medizinische Indikationen auf eine hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und irreversiblen Beeinträchtigung des Fötus oder einer unheilbaren Krankheit hinweisen, die sein Leben bedroht. Dieser Vorschlag gleicht einem totalen Abtreibungsverbot, da über 95 Prozent der legalen Abbrüche in Polen gerade aus diesem Grund erfolgen.
Der Gesetzesentwurf war ein Versuch der fundamentalistischen Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern unter der Führung von Kaja Godek, Schwangerschaftsabbrüche noch stärker zu kriminalisieren. Godek will zusammen mit katholischen Kreisen Abtreibungen vollständig verbieten.
Bereits damals stoß der Gesetzesentwurf auf viel Kritik und Widerstand auf der Straße. Die Gesetzesinitiative wurde zunächst an einen parlamentarischen Ausschuss weitergeleitet. Nach einigen geringfügigen Änderungen stand die Gesetzesinitiative Mitte April 2020 erneut zur Abstimmung. In der erster Lesung stimmten 254 Abgeordnete für das Gesetz von Kaja Godek, 187 waren dagegen und 10 enthielten sich. Der Sejm beschloss, das Gesetz zur Bearbeitung an einen Ausschuss weiterzuleiten. In einer zweiten Lesung soll dann erneut abgestimmt werden.
Angriff zur Unzeit
Die Debatte kommt zur Unzeit. Angesichts der herrschenden Pandemie, dem öffentlichen Versammlungsverbot und drastischen Bewegungseinschränkungen sind die Bedingungen für Widerstand erschwert. Viele Menschen verlieren derzeit ihr Einkommen. Gerade jetzt ist sicherer Zugang zu legalem, kostengünstigen oder kostenlosen Schwangerschaftsabbruch für viele lebensnotwendig.
Doch die Entscheidung, das de facto Abtreibungsverbot im April erneut zur Abstimmung vorzulegen, war, entgegen der vorherrschenden Meinung, weder unerwartet noch beabsichtigt. Der Gesetzentwurf ist ein Überbleibsel aus der letzten Legislaturperiode. Nach polnischem Recht müssen die aus der letzten Legislaturperiode übrig gebliebenen Gesetzesentwürfe innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Parlamentssitzung erneut abgestimmt werden. Der Gesetzesentwurf zum Abtreibungsverbot musste dementsprechend bis zum 12. Mai abgestimmt werden.
Offiziell registrieren die Behörden jährlich etwa über 1000 Abtreibungen. Laut Schätzungen von Menschenrechtlerinnen und -rechtlern liegt die tatsächliche Zahl bei mindestens 150000 Fällen. Der Streit um Abtreibung ist ein Teil einer größeren Auseinandersetzung.
Verbot sexueller Erziehung
Denn obwohl der Widerstand gegen das Verbot als erfolgreich einzuschätzen ist, ist die Bewegung nicht in der Lage, alle Angriffe auf sexuelle Selbstbestimmung abzuwehren. Schrittweise kommt es zur Untergrabung des Gleichstellungsdiskurses und zum Abbau von reproduktiven Rechten. Neben dem Abtreibungsverbot lag eine weitere umstrittene Gesetzesinitiative zur Abstimmung vor. Eingebracht von der Initiative »Stop Pedofilii« sieht eine Ergänzung des Strafrechts vor, de facto handelt es sich dabei um ein Verbot der sexuellen Erziehung an Schulen.
Das Aushöhlen der Rechte macht sich auch dadurch bemerkbar, dass immer mehr Ärtztinnen ein Schwangerschaftsabbrüche oder das Verschreiben der (Notfall-)Verhütung verweigern. Apothekerinnen verkaufen aus Gewissensgründen keine Verhütungsmittel, Notfallverhütung ist wieder rezeptpflichtig und ganze Regionen in Polen erklären sich zu LGBT-Freizonen.
Die führenden Politiker im Land – der Premierminister und der Präsident – haben bereits ihre Unterstützung für das Gesetz angekündigt. Die Absichten von Jarosław Kaczyński – dem Parteivorsitzenden und wichtigsten Strategen der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) – sind noch unklar. Das Verbot ist nämlich eine ziemliche heikle Sache: Die soziale Mobilisierung um das Thema ist groß und das Bewusstsein der Bevölkerung entwickelte sich die letzten Jahre rasch zu Gunsten der Pro-Choice-Forderungen.
Breite Unterstützung für Legalisierung
Fast siebzig Prozent unterstüzen die Forderung nach Legalisierung der Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und nur zehn Prozent sind für ein Verbot. Fast achtzig Prozent der Befragten in der Altersgruppe der 40-59-Jährigen unterstützen eine Legalisierung. Auch unter Personen mit Berufs- oder Grundschulbildung ist die Unterstützung mit über siebzig Prozent hoch. Dies liegt an der Tatsache, dass diese Menschen am häufigsten unter den Folgen restriktiver Gesetze leiden: Sie verfügen nicht über die Ressourcen für eine Abtreibung im Untergrund oder im Ausland. Die obige Schlussfolgerung bestätigt das nächste Ergebnis in Bezug auf das Einkommen: Mit 82 Prozent wird das Recht auf Abtreibung am häufigsten von Niedrigverdienern unterstützt. Für ein Verbot stimmen am häufigsten jüngere Menschen in der Altersgruppe von 18-39 Jahren. Angesichts der Umfrageergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass die Verabschiedung eines Verbots zu riskant für die Regierung wäre und somit das Gesetz voraussichtlich über längere Zeit im Ausschuss ruhen wird.
Anti-Choice-Lobby
Eine Ablehnung durch das Parlament würde einerseits eine ideologische Auseinandersetzung innerhalb der PiS, sowie der Partei mit der Kirche und der Anti-Choice Lobby bedeuten, andererseits könnte ein Verbot dem Image der Partei durch die Durchsetzung eines unpopulären Gesetzes richtig schaden.Trotz der vielversprechenden Umfrageergebnisse ist es leider so, dass die Anti-Choice-Lobby auf der institutionellen Ebene sehr stark involviert und äußerst effektiv ist. Es ist kein Geheimnis, dass PiS christlich-fundamentalistische Positionen hinsichtlich des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vertritt.
Ein weiterer wichtiger Akteur ist die katholische Kirche, die schon seit Jahren für ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs agitiert. Das in Polen immer noch geltende Gesetz, der so genannte »Abtreibungskompromiss« von 1993, war ein Versuch, der Kirche entgegenzukommen und deren Forderung nach Einschränkung des Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch in die Rechtssprechung aufzunehmen. Zwischen 1956 und 1993 waren Schwangerschaftsabbrüche in Polen legal.
Das mediale Gesicht der Anti-Choice-Bewegung in Polen ist Kaja Godek und ihre Stiftung. Bei den letzten EU-Parlamentswahlen wurde sie von der »Konfederacja« aufgestellt, einem rechtsextremen Bündnis. Diesem gehören unter anderem auch Janusz Korwinn-Mikke und Robert Winnicki an. Letzterer ist der Mitveranstalter einer nationalistischen Demonstration am polnischen Tag der Unabhängigkeit.
Think Tanks gegen reproduktive Gerechtigkeit
Doch der wahre Strippenzieher ist die Stiftung Ordo luris. Mitglieder dieses juristischen Think Tanks sind Expertinnen und Experten des Familienministeriums, des Justizministeriums sowie des Ministeriums für Bildung und der Staatsanwaltschaft. Sie zeichneten das Manifest des christlich-fundamentalistisches Netzwerks Agenda Europe, »Restoring the natural Order« (Herstellung der natürlichen Ordnung), mit, zu welchem sich zahlreiche Organisationen in Europa und in der Welt bekannten. Die Mitzeichner des Manifests treten ein für das Verbot von Abtreibung, das Verbot von In-vitro-Fertilisation, Empfängnisverhütung, gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption gleichgeschlechtlicher Paare sowie die Aufhebung des Scheidungsrechts. Agenda Europe kämpft gegen die Idee eines säkularen Staates und will das Recht den christlich-fundamentalistischen Prinzipien unterordnen. Dort gibt es keinen Platz für nicht-heteronormative Menschen oder reproduktive Gerechtigkeit für alle.
Der Think Tank hat beispielsweise die Gesetzesvorlage von 2016 erstellt, die zusätzlich zu einem vollständigen Verbot der Abtreibung dazu führte, dass Frauen wegen Abtreibung inhaftiert werden konnten. Glücklicherweise wurde es dank der »Schwarzen Proteste« erfolgreich abgelehnt. Der Think Tank steckt auch hinter dem Dokument, das auf kommunaler Ebene verbreitet wurde und verursacht, dass sich quasi ein Drittel Polens zur LGBT-freien Zone erklärte.
Die kleine Organisation Ordo Iuris hat ziemlich viel erreicht, wenn man bedenkt, dass sie bis vor Kurzem als eine Randfraktion von Ultra-Konservativen und als unwichtiger Akteur in der politischen und sozialen Szene behandelt wurde. Zwar ist es schwierig, alle regressiven Veränderungen der Ordo luris zuzuschreiben, jedoch ist es ersichtlich, dass das Finanzierungsprogramm für In-Vitro-Fertilisationen der Regierung zurückgezogen wurde, sich der Zugang zu legaler Abtreibung verschlechtert hat und die Träume von einer Liberalisierung dieses Gesetzes zurzeit als sehr unrealistisch erscheinen. Mittels eines verformten Menschenrechtsdiskurses und rechtlichen Sprache kämpft Ordo luris für den Erwerb von Rechte für Entitäten, die förmlich keine Rechtssubjekte sind, wie ein »ungeborenes Leben« oder eine »Familie«.
Öffentliches Leben lahmgelegt
Das Gesetz wurde zu einem Zeitpunkt abgestimmt, als das öffentliche Leben in Polen durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie de facto lahmgelegt war. Neben der üblichen Schließung der Schulen und Kitas, Einkaufshäuser oder Restaurants, wurde auch der Zutritt zu in Parks, Wäldern oder Stränden verboten. Kinder unter 18 Jahren dürfen das Haus ohne Aufsicht einer erwachsenen Person nicht verlassen. Nicht gestattet war auch das Verlassen des eigenen Hauses ohne einen relevanten Grund.
Eine Zeitlang war das Fahrradfahren oder der Sport draußen verboten. Weitgehend lag das Urteil darüber, ob die ausgeübte Tätigkeit dem »Lebenserhalt« dient, in der Händen der Ordnungsbehörden, der Polizei und des Militärs, die die Einhaltung der Regeln überwachen. Wer gegen die Kontaktbeschränkungen verstößt, muss mit Sanktionen ab 1000 Euro und einem despotischen Handeln der Behörden rechnen. »Wir setzen auf Repressionen, nicht auf Bildung oder Kommunikation«, so kommentierte der Polizeichef, Generalinspektor Jaroslaw Szymczyk die Interventionen der Polizei. Für die Verstöße gegen Vorschriften zur Prävention von Infektionskrankheiten wurden Strafen verhängt, deren Gesamtbetrag eine Million Zloty innerhalb einer Woche überschritten hat.
Die Regierung behauptet, dass die harten Maßnahmen notwendig waren, da die Gesellschaft zu mobil, undiszipliniert und anfällig für Ungehorsam sei. Zu Beginn der Beschränkungen gab es 193 Neuinfektionen und zwei Todesfälle durch COVID-19. Als sie gelockert wurden, war die Situation aus epidemiologischer Sicht mit 461 Infektionen und 18 Todesfälle definitiv schlimmer. Die angespannte und außergewöhnliche Lage lässt wenig Raum für eine kritische Reflexion. Während COVID-19 von der herrschenden Klasse und den Staatsapparaten genutzt wurde, um neues Leid in einer bereits ungerechten Gesellschaft zu schaffen, stellt sich die Frage nach Zukunft der Proteste in Polen.
Proteste trotz Pandemie
Die sozialen Bewegungen stehen vor der Herausforderung, trotz der Corona-Krise ihre Forderungen effektiv voranzutreiben. Gerade jetzt ist es notwendig, neue und mutige Strategien des Widerstandes zu entwickeln um auf das Geschehen reagieren zu können. Mal wieder ist es die feministische Bewegung, die eine wegweisende Funktion in Polen einnimmt. Sie nimmt sich das Recht, den städtischen und öffentlichen Raum trotz der Versammlungsverbote zu nutzen und zu entscheiden, wie dieser Raum unter Pandemiebedingungen aussehen und funktionieren soll.
So fanden in vielen Städten Aktionen statt, die das Versammlungsverbot zu umgehen versuchten. Es fanden Auto- und Fahrradproteste sowie Auto-Straßenblockaden in Warschau, Breslau, Posen oder Kattowitz statt. Frauen, die vor den nur beschränkt zugänglichen Supermärkten in Warteschlangen anstanden, hielten Transparente in den Händen. Sie alle waren schwarz gekleidet. Viele trugen Schutzmasken mit Slogans, schmückten die Stadt mit Botschaften, andere hängten Plakate aus den Balkonen oder den Fenstern. Auch online fanden diverse Aktionen statt: E-Mails an Abgeordnete, Fotoaktionen und weitere Initiativen in den sozialen Medien.
Am Protest nahmen verschiedene feministische Organisationen teil. Diejenigen, die der liberalen Strömung des Feminismus näher stehen und die, die sich mit der sozialistischen Frauenbewegung identifizieren. Die Organisatorinnen einigten sich auf einige allgemeine Forderungen, wie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, rezeptfreier Zugang zu Notfallverhütung, Abschaffung der Gewissensklausel, oder fundierten Sexualerziehung in der Schulen.
Auf den Plakaten waren weitere Forderungen zu lesen: Legale und kostenlose Abtreibung, mehr Geld für den Gesundheitssektor oder solche, die das Recht auf gute Arbeit und gutes Leben mit Forderungen nach reproduktiven Rechten in Verbindung brachten. »Reproduktive Rechte = Arbeiter*innenrechte« oder »Abtreibungsverbot = Ausbeutung von Frauen« stand auf den Bannern, die die Aktivistinnen vor dem Parlamentsgebäude trugen. Die, die am 15. und 16. April gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes protestierten, werden teuer für ihre Handlungen zahlen müssen. Auch wenn sie unter Vorsichtsmaßnahmen protestierten, Gesichtsmasken trugen und zwei Meter Abstand voneinander hielten, verhängte die Polizei Strafen gegen einige Demonstrierende in Höhe von 1000 bis 7000 Euro.
Vorläufiger Teilerfolg
Trotz der äußerst ungünstigen Lage für Demonstrationen, ist es der feministischen Bewegung mal wieder gelungen, das Schlimmste zu vermeiden. Der barbarische und fundamentalistische Angriff auf das Entscheidungsrecht der Frauen über ihre eigenen Körper wurde vorläufig gestoppt. Die Bewegung hat außerdem neue Strategien unter ungewöhnlichen Bedingungen testen können und es geschafft, breite und internationale Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Was mit der Gesetzesinitiative weiter passiert ist noch ungewiss. Eines ist aber schon mal klar: Nach vier Jahren bleibt die Pro-Choice-Bewegung weiterhin vital und ist bereit, auch trotz schwieriger Bedingungen Widerstand zu leisten.
Schlagwörter: Abtreibung, Polen, Pro Choice, schwarzer Protest