Wenn ein:e Polizist:in getötet wird, ist die Aufmerksamkeit von Politik und Medien groß. Doch die Polizei ist bei Gewaltverbrechen überwiegend Täter und nur selten Opfer. Von Hans Krause
Der Mord an den beiden Polizist:innen im Januar in der Pfalz war ein abscheuliches und sinnloses Verbrechen. Am 3. Februar gingen die Ermittlungen davon aus, dass die beiden Täter illegal Wildtiere geschossen hatten und die Polizist:innen getötet haben, um dafür nicht bestraft zu werden. Selbst Kanzler Olaf Scholz, der zu wichtigen politischen Themen meist schweigt, schreibt, er denke »an die vielen Polizist*innen, die jeden Tag ihr Leben riskieren, um uns Bürger:*innen zu schützen«.
Doch ist tödliche Gewalt gegen Polizist:innen in Deutschland sehr selten. Außer dem jetzigen Mord wurden in den letzten fünf Jahren drei Polizeibeamte im Dienst getötet. 2020 erschoss ein Drogenhändler in Gelsenkirchen ein Mitglied einer bewaffneten SEK-Einheit, die mit einer Türramme in seine Wohnung einbrach. 2017 wurde in Brandenburg ein Mann wegen Mordes gesucht. Auf der Flucht mit dem Auto überfuhr und tötete der psychisch schwer Kranke zwei Polizisten am Straßenrand.
Riskieren Polizist:innen ihr Leben?
Fünf tote Polizist:innen in fünf Jahren ist eine vergleichsweise kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland jedes Jahr etwa 400 tödliche Arbeitsunfälle gibt. Die gefährlichsten Branchen sind Wasser-, Abfallentsorgung und das Baugewerbe.
Zwar ist es ein Unterschied, ob man durch einen Unfall oder Gewalt sein Leben verliert. Doch auch unter Mordopfern sind nur wenige Polizist:innen.
Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 250 Menschen ermordet. Darunter ist manchmal ein:e Polizist:in, meistens aber nicht.
Es ist ein uraltes Märchen, wonach die Welt da draußen böse und gefährlich sei und nur die Polizei uns davor schütze, jeden Tag auf offener Straße umgebracht zu werden. Erzählt wird diese Geschichte von Politik und Medien, damit wir alle, entgegen der Fakten, der Polizei blind vertrauen und ihre Aufrüstung unterstützen.
Entgegen der Propaganda aus Politik und Medien ist sie nämlich keinesfalls unterfinanziert. Vielmehr erhöhte beispielsweise die rheinland-pfälzische Landesregierung den Haushalt ihrer Polizei letztes Jahr um 14 Prozent von 350 auf 400 Millionen Euro.
Polizei: Kein Freund und Helfer
Nun würde es tatsächlich nichts nützen, bloß die Polizei über Nacht abzuschaffen und den Rest der kapitalistischen Gesellschaft bestehen zu lassen.
Trotzdem ist sie nicht unser Freund und Helfer, sondern zeigt sich auch in Deutschland immer wieder als eine Organisation voller Machtmissbrauch und Gewalt. Nur erscheinen diese Fälle selten in der Tagesschau-Sendung oder auf n-tv.de.
Beispielsweise werden mehrere Kölner Polizeibeamte verdächtigt, im April 2021 Gewalt gegen den Angehörigen eines Verdächtigen angewendet zu haben, der sich in den Einsatz eingemischt hatte. Der Mann wurde zunächst aus dem Krankenhaus entlassen, ist aber im Juni gestorben. Bei den Ermittlungen fand die Staatsanwaltschaft heraus, dass sich die beschuldigten Polizisten gezielt zu gemeinsamen Schichten verabredet hatten, um sich bei Gewalttaten gegenseitig decken zu können.
Polizeigewalt bis hin zum Mord
Im Oktober knieten Polizeibeamte in Pforzheim auf dem Kopf eines am Boden fixierten, weinenden Mannes und schlugen auf ihn ein, weil er betrunken Passant:innen und die Polizist:innen angepöbelt hatte. Nur weil jemand zufällig gefilmt hatte, wurde der Fall überhaupt untersucht.
Triggerwarnung: Video zeigt massive körperliche Gewalt
Ebenfalls im Oktober wurden Polizist:innen bei Hamburg zu einer Einrichtung für Geflüchtete gerufen. Als sie reingingen, kam ein psychisch schwer kranker Asylbewerber aus dem Sudan mit einem Messer auf sie zu. Doch statt sich zurückzuziehen, um die Situation ohne Gewalt zu lösen, schossen die Beamten mehrmals auf den Mann und töteten ihn.
Das sind nur wenige Beispiele der Polizeigewalt vom Sommer und Herbst 2021. Mit einer einfachen Internet-Suche findet man zahlreiche weitere aus jedem Zeitraum aus ganz Deutschland und der ganzen Welt. Allein im Jahr 2019 tötete die deutsche Polizei nach ihrer eigenen Statistik 14 Menschen. Und doch sind auch diese Fälle nur ein kleiner Ausschnitt der tatsächlichen Gewalttaten von Polizist:innen bis hin zum Mord.
Schon 2005 hat die Dessauer Polizei versucht, den Mord an Oury Jalloh als Selbstmord zu tarnen. Angeblich hatte der ans Bett gefesselte Jalloh seine Matratze selbst angezündet. Was sämtliche Gutachten für unmöglich halten. Doch bis heute wurde niemand dafür verurteilt.
Auf Anzeige folgt Gegenanzeige
Denn wer Opfer von Polizeigewalt wird, kann fast nie etwas gegen die Täter:innen ausrichten. Polizist:innen sind im Anwenden von Gewalt geschult und ausgebildet. Sie wissen, wie man zuschlägt, ohne große Spuren zu hinterlassen und bezeugen sich gegenseitig, in Notwehr gehandelt zu haben.
Sollte es dennoch zu einem ernsthaften Konflikt kommen, hat jede:r Polizist:in jederzeit eine geladene Pistole griffbereit. Nur selten, wie im Januar in der Pfalz, treffen Polizist:innen auf Menschen, die ebenfalls bewaffnet sind. In diesem Fall, weil sie zufällig gerade illegal gejagt hatten.
Wer es trotzdem wagt, Polizist:innen wegen »Körperverletzung im Amt« anzuzeigen, erhält mit fast hundertprozentiger Sicherheit eine Gegenanzeige wegen »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte«, was dann immer mehrere Polizist:innen bezeugen. Während sie selbst meist darauf achten, dass sie ihre Opfer allein erwischen.
Hinzu kommt, dass Staatsanwaltschaften, Gerichte und Polizei-Behörden meist seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammenarbeiten und sich gegenseitig schützen. Wer sich in Justiz oder Polizei über Fehlverhalten auch nur beschwert, wird nicht befördert, ausgegrenzt oder in einem tatsächlich gefährlichen Einsatz im Stich gelassen.
Polizist:innen müssen sich auf die Unterstützung ihrer Kolleg:innen verlassen können. Gewalt wird so systematisch normalisiert oder zumindest schweigend toleriert.
Aus all diesen Gründen sollte DIE LINKE nicht hinter der Polizei stehen, so wie es SPD, Grüne, FDP, AfD und CDU tun. Und deshalb ist es nicht ausreichend, wenn der LINKE-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch in sozialen Medien nur sein Beileid für die Angehörigen mitteilt und die Meldung der Polizei teilt.
LINKE braucht kritische Haltung zur Polizei
Um nach der Wahlniederlage 2021 besser von der Ampel-Regierung unterscheidbar zu sein, braucht DIE LINKE unter anderem eine eigenständige, kritische Haltung zur Polizei. Sie sollte die deutsche Polizei nicht als beste Freundin der Bürger:innen darstellen, sondern als das, was sie ist: Eine uniformierte Organisation aus 330.000 Personen, jede:r von ihnen mit einer halbautomatischen Pistole am Gürtel, geladen mit 15 Schuss tödlicher Munition. Sie sind vor Strafverfolgung nahezu immer geschützt und riskieren maximal die Entlassung aus dem Polizeidienst, was auch immer sie tun.
Immer wieder benutzt der Staat die Polizei auch, um auf friedliche Demonstrant:innen einzuprügeln oder besetzte Häuser zu räumen. Polizist:innen wählen Menschen nach ihrer Hautfarbe aus, kontrollieren und verhaften sie und verwehren Ausländer:innen die grundlegenden Bürgerrechte in Deutschland.
Und auch wenn deutsche Polizist:innen aus geografischen Gründen nur selten die Grenzen der EU bewachen, so sind es doch ihre Kolleg:innen aus Polen, Italien und anderen Ländern, die die rassistische Festung Europa aufrecht erhalten, durch Push-Backs und andere mörderische Methoden, wodurch zahlreiche Geflüchtete sterben. Erst am 2. Februar erfroren 12 Geflüchtete nachdem die griechische Polizei sie ohne Kleidung und Schuhe zurück in die Türkei gedrängt hatte.
DIE LINKE muss diese grausamen Wahrheiten über die Polizei laut und deutlich aussprechen und die Vision einer Gesellschaft ohne gewalttätigen Staatsapparat entwickeln. Auch dies ist wichtig, um mehr Menschen für eine Welt jenseits des Kapitalismus zu gewinnen.
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Schlagwörter: Inland, Polizei, Polizeigewalt