Hajo Funke skizziert postkoloniale Konflikte in einem Land, dessen Gesellschaft ihren eigenen Rassismus stets gegenüber einer Shoah-gezeichneten Geschichte relativieren kann. Von Simo Dorn
Die Antisemitismusvorwürfe von Felix Klein gegen Achille Mbembe werden hier detailliert aufgeschlüsselt, als falsch entlarvt und Klein als der Demagoge skizziert, der er ist. Zusammenfassend kommt Funke zu dem Schluss, dass »es ein Ausdruck der Anmaßung eines deutschen Diplomaten (Klein) ist, der nicht einmal die entsprechenden Texte gelesen hatte, als er im April 2020 zu diesem Urteil (über Mbembe) kam.« (Lies hier den marx21-Artikel »Deutsche Zustände – Hetzkampagne gegen Nemi El-Hassan«.)
Abgesehen von der Kritik der Antisemitismusvorwürfe beleuchtet Funke das koloniale Erbe Europas und Amerikas und dessen historischen Verlauf. So seien für Mbembe (und somit in Teilen auch für Funke) Kolonialismus, Faschismus und Nationalsozialismus drei extreme und pathologische Formen der Projektion der äußeren Welt auf das Individuum in Form eines »Rassen«-Begriffs. Seien doch Konzentrationslager und Ausrottungsprozesse seit jeher Bestandteil der kolonialen Kriege auf Kuba, den Philippinen und in Teilen Afrikas gewesen gegen die Zivilbevölkerung. Die Notwendigkeit dieser Verbrechen für die Entwicklung des europäischen Wohlstands und weiter der europäischen Demokratie seien in der Ideologie des Rassismus bewusst oder unbewusst angelegt. So waren es die Staatstheoretiker Thomas Hobbes und John Locke, die mit ihrer menschenverachtenden Philosophie das Aufkommen der liberale Demokratie stützten.
»Was der Westen Hitler nicht verzeihe…«
Der zu Wort kommende afrokaribisch-französische Schriftsteller und Politiker Aimé Césaire beschreibt es treffend mit: »Was der Westen Hitler nicht verzeihe, sei nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen, […] nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen, und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewandt hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Schwarzen Afrikas ausgesetzt waren.«
Dieses Urteil zeige sehr gut, dass die Ideologie des Rassismus im Globalen Norden immer noch aktuell und gefährlich sei. Die Morde des NSU, Halle, Hanau und den an Walter Lübcke zeigten in Deutschland, was in Europa und den USA immer noch die lebensbedrohliche Realität von Schwarzen ist, die im Mord an George Floyd ihren Höhepunkt fand, welcher das Fass zum Überlaufen brachte.
Der europäische Rassismus hat Aufschwung
Funke erklärt, wie der Trumpismus und der damit verbundene Rassismus in den USA zu einem Zuwachs der extremen Rechten geführt hat, der Parallelen zu Weimarer Zuständen erlaubt. Jedoch nicht nur in den USA, sondern weltweit hätten Rechtsextreme und Nationalkonservative von Trump gelernt – so auch die AfD in Deutschland, der Rassemblement National in Frankreich oder die PiS in Polen. Das Unrecht, das Frontex und die EU begehen, würde deshalb nicht bestraft oder geahndet, weil diese Institutionen mit Rückendeckung des europäischen Rassismus handelten.
Die Widerstände gegen rassistische Gewalt im vergangenen Jahr zeigten dennoch, dass eine gemeinsame Erinnerung möglich und ein befreites Leben zwar eine Utopie sei, aber eine realistische, die anstehe.
Geschrieben ist das Buch in einer analytischen und nüchternen Herangehensweise, wie sie angesichts des Themas nur ein Nichtbetroffener aufbringen kann. Letztlich entkräftet dies aber auch den möglichen Hysterievorwurf von Menschen, die Rassismus herunterspielen gegenüber rassifizierten Menschen, welche dieselbe Kritik vorbringen würden. Gleichzeitig fehlt daher aber auch die Schärfe der notwendigen Kritik. So plädiert Funke lediglich dafür, Otto von Bismarck symbolisch vom Sockel zu stoßen.
Black Lives Matter in Deutschland
George Floyd und die Diffamierung von Achille Mbembe als Antisemit – eine Streitschrift über (post)koloniale Konflikte
Hajo Funke
192 Seiten
17,80 Euro
Schlagwörter: Antisemitismusvorwurf, Kolonialismus, Rassismus, Zionismus