Die Produktion in der Fleischindustrie wirft grundsätzliche Fragen auf. Paul* meint, die Arbeitsbedingungen fördern die Ansteckung mit Corona
marx21: Wo arbeitest du?
Paul*: Ich arbeite seit ungefähr einem Dreivierteljahr als Kommissionierer in einem Geflügelbetrieb. Anders gesagt: Morgens kommen die Bestellungen rein, meine Kollegen und ich suchen die richtigen Kartons aus den verschiedenen Lagern zusammen und verpacken sie auf Paletten. Ansonsten beteilige ich mich am Qualitätsmanagement. Ich achte also darauf, dass das Fleisch fachgerecht gelagert wird. Bei uns wird auch geschlachtet; damit habe ich aber nichts zu tun.
Wie sind eure Arbeitsbedingungen?
Für meine Arbeit bekomme ich 10,50 Euro die Stunde. Das ist zwar mehr, als wenn ich in Ausbildung wäre, aber insgesamt zu wenig. Ich gehöre zu den Jüngeren, da ist die Arbeit körperlich machbar. Trotzdem ist sie sehr anstrengend.
Manchmal sind wir früher mit Aufträgen fertig und haben nichts mehr zu tun. Dann kriegen wir den restlichen Tag natürlich nicht bezahlt. An anderen Tagen bekommen wir unseren Auftrag nicht in der regulären Zeit fertig und müssen noch Überstunden dranhängen. Damit arbeite ich oft sogar 9-10 Stunden pro Tag.
Dazu kommt, dass ich morgens schon um 5.00 Uhr aufstehen und eine Dreiviertelstunde zur Arbeit laufen muss. Einen Führerschein kann ich mir nicht leisten. Einen Bus gibt es bei uns auf dem Land nicht.
Welche Corona-Maßnahmen hat euer Betrieb umgesetzt?
Wir lassen uns zweimal die Woche testen, desinfizieren uns regelmäßig, halten mehr Abstand und tragen Mundschutz. Bisher gibt es aber keine FFP2-Masken.
Halten sich alle daran?
Nein, wirklich durchgehend halten sich nicht alle an die Auflagen. Ich mache das selbst nicht immer – das geht ja gar nicht. Wir haben Räume, die bis in den Minusbereich gekühlt sind, andere sind im Plusbereich. Die Masken werden ständig feucht und die Arbeit ist anstrengend. Dadurch bekommen wir weniger Luft. Durch die Feuchtigkeit helfen die Masken auch weniger gegen das Virus.
Hat Corona auch deine Arbeit verändert?
Das Virus hat vor allem den Umgang miteinander verändert. In der Produktion stehen die Leute zwar eng aufeinander, in den Pausen können wir aber nicht normal zusammenkommen. Viele Kollegen reden nicht gut deutsch. Mit dem Abstand beim Reden verstehen wir uns gar nicht. Die Arbeit wird dadurch noch viel stumpfer. Eigentlich arbeiten wir nur noch und es gibt gar keine Abwechslung.
Gab es bei euch Infektionen mit Corona?
Ja, ich weiß aber keine genauen Zahlen. So 20-30, vielleicht auch etwas weniger. Meine Kollegen haben das überlebt. Es ist aber möglich, dass sie das Virus an ihre Familienmitglieder weitergegeben haben – so genau weiß das ja niemand. Kollegen haben nämlich erzählt, dass Familienmitglieder an Corona gestorben sind.
Soweit ich weiß, sind bisher nur migrantische Arbeiter von Corona betroffen. Bei uns arbeiten Leute aus Polen, Bulgarien, Irak oder Vietnam. Ich glaube, die stecken sich weniger im Betrieb an, sondern eher zuhause. Dazu muss man wissen: Unser Chef vermietet auch Wohnungen. Viele Kollegen wohnen dann da gemeinsam. Andere leben in Unterkünften, die sie sich zusammen mit Arbeitern aus anderen Schlachtbetrieben teilen. Dadurch verbreitet sich das Virus natürlich schnell.
Aber selbst wenn sich niemand im Betrieb angesteckt hat, ist das einfach nur Glück. Die Maßnahmen werden nicht eingehalten und sind eigentlich unzureichend.
Was könnte die LINKE für dich tun?
Die LINKE hat sich vor kurzem gegen unseren Betrieb ausgesprochen. Die sagen, dass sie hier im Landkreis keine Massentierhaltung haben wollen und dass unser Betrieb der Umwelt schadet. Ich kann das nachvollziehen. Ich bin ja selbst links und bei der Antifa. Massentierhaltung ist ein großes Problem, ebenso unsere Bezahlung. Aber wenn ich ehrlich bin: Durch den Betrieb gibt es wenigstens irgendeinen Job. Ich hätte mir schon gewünscht, dass die mal mit uns sprechen. Wir werden ja nie gefragt.
Was hättest du dann gesagt?
Die LINKE soll sich mit uns zusammen für bessere Arbeitsbedingungen und für die artgerechte Haltung der Tiere einsetzen. Die sind doch auch nicht alle Vegetarier und wollen ebenfalls ihr Fleisch haben. Mit höheren Löhnen könnten sich meine Kollegen auch eine richtige Wohnung leisten. Dann müssten sie nicht zusammengepfercht leben. Das würde schon ungemein helfen.
Daneben muss die Produktion so geändert werden, dass die Leute zum Beispiel nicht mehr so nahe beieinander stehen und weniger Druck beim Arbeiten haben. Insgesamt sind die Arbeits- und Lebensbedingungen das große Problem. Deswegen kommen viele Corona-Fälle aus Schlachtbetrieben.
Was hältst du von Zero Covid und einem solidarischen Shutdown?
Von Zero Covid habe ich bisher nichts gehört. Ich könnte mir aber vorstellen, den Betrieb für eine gewisse Zeit zu schließen. Allerdings nur, wenn wir weiterhin bezahlt werden. Meine Kollegen müssen ihre Familien ja weiter durchbringen. Gerade während der Schließung bräuchte es eigentlich auch bessere Wohnungen. Es müsste auch sichergestellt werden, dass niemand sein Aufenthaltsrecht verliert. Generell wäre die Garantie gut, dass wir unsere Jobs behalten. Ich hätte sonst die Sorge, dass mich mein Chef einfach rausschmeißt.
Bei uns im Betrieb gibt es ständig Geflügelpest. Oft denke ich, dass auch die irgendwann auf Menschen überspringt. Deswegen meine ich, dass, gemeinsam mit uns, auf jeden Fall weitergehende Schritte nötig sind – also nicht nur wegen Corona.
*Name von der Redaktion geändert
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