In Hamburg protestieren mehrere Tausend Menschen gegen die Querdenker:innen. Wir sprachen mit Christiane Schneider vom Hamburger Bündnis gegen Rechts über den ersten Mobilisierungserfolg, ihre Erfahrungen und warum gerade jetzt viele Menschen einfach darauf warten, dass jemand die Initiative ergreift
Bundesweit demonstrieren Zehntausende gegen die »Corona-Politik« und organisieren sogenannte Spaziergänge. In Hamburg habt ihr es geschafft, mehr als 5000 Menschen gegen die Schwurbler:innen auf die Straße zu bringen. War das einfach?
Es ist viel Arbeit. Aber es lohnt sich und es ist in der jetzigen Situation sehr wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft nicht nur zu Wort meldet, sondern auch den Widerstand sichtbar auf die Straße trägt.
In Hamburg scheinen die Coronaleugner:innen besonders stark. Wie kam es dazu?
Protest gegen Versammlungen von Coronaleugner:innen gab es in Hamburg vor allem 2020 und auch noch Anfang 2021 immer wieder, wenngleich relativ schwach und wenig organisiert. Der Protest schlief dann aber praktisch ein, weil auch die Schwurbler:innen kaum noch auf die Straße gingen. Im Herbst, mit Beginn der Debatte über die Einführung einer Impfpflicht, gewann ihre Bewegung wie überall auch in Hamburg eine neue Dynamik. Die Zahl derer, die dem Aufruf der »Querdenker« folgten, stieg Woche für Woche bis auf knapp 14.000 (Lies hier die marx21-Analyse: Querdenken, Spaziergänger und AfD: Analyse der Corona-Proteste).
Waren das alles Menschen aus Hamburg?
Nein, aber auch wenn eine größere Zahl aus dem Umland kam, hat die Mobilisierung viele Hamburger:innen geschockt, auch uns. Das Hamburger Bündnis gegen Rechts hat sich dann Mitte Dezember entschlossen, für eine Demonstration am 15.1. zu mobilisieren.
Wie habt ihr das gestartet?
Wir haben einen Aufruf verfasst, über alle Kanäle verschickt und zu digitalen Bündnistreffen eingeladen. Die Resonanz war groß, über 100 Organisationen und Gruppen haben den Aufruf unterschrieben, und dennoch waren wir bis zum Tag der Demonstration selbst unsicher, wie groß die Demonstration werden würde.
Was passierte dann?
Wir hatten 1.000 angemeldet – und dann kamen knapp 5.000 (nach unserer Zählung, Polizei: 3.500). Das war für uns als Organisator:innen überwältigend. Aber nicht nur für uns. Ich habe selten erlebt, dass sich so viele Menschen so begeistert und geradezu erleichtert über die Demonstration geäußert haben, obwohl die Umstände – im hinteren Teil konnten die Reden zum Beispiel nicht mehr verstanden werden, weil wir nur zwei Lautsprecherwagen mitführten – nicht optimal waren.
Querdenker:innen und die organisierte Nazi-Szene
Welche Rolle spielen organisierte Nazis bei euch in Hamburg?
Die organisierte Hamburger Nazi-Szene, die bis Anfang des Jahrtausends mit Figuren wie Worch, Rieger, Wulff zu den bundesweit einflussreichsten und militantesten Nazi-Szenen gehöret, liegt seit längerem am Boden – nicht zuletzt dank der jahrelangen Arbeit des Hamburger Bündnisses gegen Rechts, das den Nazis buchstäblich jeden Fußbreit bestritten hat. Trotzdem gibt es natürlich noch eine kleine Szene organisierter Nazis.
Und was machen die?
Sie haben von Anfang an bei Veranstaltungen der Schwurbler:innen mitgemischt, auch bei den Demonstrationen im Dezember, hier verstärkt durch Nazis aus Norddeutschland. Inzwischen bilden die JN (Jungen Nationalisten) und andere Nazis einen eigenen Block und laufen unbehelligt mit. Anders als in Ostdeutschland haben sie jedoch nicht die Führung. Doch jede:r, der auf diesen Demonstrationen mitläuft, kann längst wissen, dass er mit Nazis zusammen läuft.
Was sind eure Forderungen?
Uns kam es in unserem Aufruf vor allem darauf an, den egozentrischen, wissenschafts- und demokratiefeindlichen Verschwörungserzählungen eine klare öffentliche Absage zu erteilen und in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über den Umgang mit der Pandemie, aber auch mit der staatlichen Coronapolitik den Gedanken der Solidarität zu stärken.
Wie hat sich das auf den Kundgebung ausgedrückt?
Auf der Demonstration haben sehr viele Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen gesprochen: von Mediziner:innen und der Vertreterin eines Pflegebündnisses bis zu den Omas gegen Rechts, von der jüdischen Liberalen Gemeinde bis zu der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten(VVN-BdA), vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) bis zur Interventionistischen Linken …, nicht zu vergessen natürlich das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR). Sie haben die große Bandbreite der Kritik zum Ausdruck gebracht und auch der Aufgaben, die sich der politischen, sozialen, gewerkschaftlichen, antifaschistischen Opposition stellen.
Das Hamburger Bündnis gegen Rechts
Wer ist alles Teil des Bündnisses?
Das Hamburger Bündnis gegen Rechts, das die Initiative ergriffen und die Demonstration organisiert hat, existiert seit 20 Jahren. Hier arbeiten verschiedene Personen und Organisationen zusammen. Ich selbst vertrete dort die LINKE. Andere Organisationen nehmen nicht oder selten an Sitzungen teil, sind aber in der Regel ansprechbar. Und dann gibt’s noch Organisationen und Strukturen, die je nach Anlass und Anliegen dazukommen. Dieses Mal waren Gruppen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen dabei, von Strukturen wie beispielsweise des Fußballvereins FC-St. Pauli-über politische Parteien und Organisationen, Antifa-Organisationen, Gewerkschaften etc. bis zu sozialen Einrichtungen.
In der antifaschistischen Bewegung waren in den letzten Jahrzehnten »breite aber entschlossene Bündnisse erfolgreich. Was bedeutet für dich Breite in diesem Kontext? Was bedeutet Entschlossenheit?
Breite bedeutet in dem Kontext, dass wir uns an alle richten, denen Solidarität in der Gesellschaft – und international! – ein wichtiges Anliegen ist, im Kampf gegen die Pandemie und im Kampf für eine Pandemiepolitik, die niemanden zurücklässt. Und Entschlossenheit möchte ich beziehen auf den Kampf um die öffentliche Meinung: Kein Verständnis für die Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen, Widerspruch, wo immer es geht, auch auf der Straße.
Was sind eure nächsten Ziele?
Wir werden in der nächsten Woche erst einmal die Demonstration nachbereiten. Weitere Demonstrationen waren bisher nicht geplant. Die Schwurbler:innen, deren Demonstration am 15.1. verboten war, agieren jetzt verstärkt in den verschiedenen Stadtvierteln, da werden wir uns alle etwas überlegen müssen, damit ihnen das Feld nicht überlassen bleibt.
Welche Rolle spielte DIE LINKE?
Es hat mich sehr gefreut, dass die LINKE im Vergleich zu manch anderen Bündnisdemonstrationen gut vertreten war. Gerade Bezirksverbände, einige Landesarbeitsgemeinschaften und Gruppen vor allem auch jüngerer Genoss:innen waren aktiv dabei und sehr präsent.
Was tun gegen den Querdenker:innen Protest?
Was rätst du Menschen, die jetzt aktiv werden wollen und vor Ort Menschen gegen die Schwurbler:innen auf die Straße bringen möchten?
Gerade die letzten beiden Wochen haben deutlich gezeigt, dass allerorts Menschen auf die Straße gehen, um den Schwurbler:innen das Feld nicht zu überlassen. Eine Erfahrung im Zusammenhang mit unserer Demonstration war, dass viele Menschen einfach darauf gewartet haben, dass jemand die Initiative ergreifen. Also, ergreift die Initiative! Je nach den örtlichen Gegebenheiten wird man Bündnispartner:innen finden. Wichtig dabei ist, dass den Schwurbler:innen gerade auch in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Coronapolitik das Feld nicht überlassen werden darf.
Wo können sich Menschen hinwenden, wenn sie euch unterstützen möchten?
Das Hamburger Bündnis gegen Rechts hat eine Website, auf der sich auch eine Kontaktadresse findet.
Christiane, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Yaak Pabst
Alle Bilder: Reinhard Schwandt
Schlagwörter: Corona, Coronakrise, Coronavirus, Inland, Pandemie, Querdenker