Am vergangenen Wochenende protestierten 250000 Menschen gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA. Der Massenprotest sorgte bei den Fans des Freihandels für Panik. Aus Berlin berichtet Hai-Hsin Lu
Es war der größte Protest seit Jahren in der Bundesrepublik. Bei sonnigem Wetter und kühlem Herbstwind sammelte sich um den Hauptbahnhof in Berlin eine gewaltige Menschenmasse, darunter zehntausende, die schon am Vorabend mit zahlreichen Sonderzügen und –bussen aus ganz Deutschland anreisten. Eine Viertelmillion Menschen hat nach Angaben der Organisatoren in Berlin gegen die EU-Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada demonstriert. »Nie zuvor sind in Europa mehr Menschen zu diesem Thema auf die Straße gegangen«, schreiben die Organisatoren. Aufgerufen zu dem Protestmarsch unter dem Motto »TTIP und Ceta stoppen!« hatte ein breites Bündnis aus mehr als 170 Organisationen von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sowie Globalisierungskritikern. Auch Parteien wie DIE LINKE, Grüne und die Piraten unterstützen den Protest.
TTIP nur die Spitze des Eisberges
»Ich bin hier, weil ich das ganze Verfahren intransparent finde. Demokratie wird mit Füßen getreten.« So eine Berlinerin, die mit selbst gebastelten Plakaten und sämtlichen Familienmitgliedern sich in den bunten Zug an Menschen einreihte. »Ich bin hier, weil sämtliche Freihandelsabkommen, die es schon gibt, immer zu Lasten der Schwächeren geht,« fügt ihr Mann hinzu. »TTIP ist nur die Spitze des Eisberges. Die EU hat beispielsweise mit dem sogenannten EPA Abkommen in Ostafrika ein Großteil der Wirtschaft dort kaputt gemacht.« Auch die ökologische Perspektive spielte für viele Teilnehmende eine große Rolle: »Ich bin gegen Fracking und ich möchte nicht durch Gentechnik veränderte Lebensmittel essen«, erklärte ein kleiner Junge. »Wir sind hier, weil wir die Zukunft nicht den Märkten überlassen, sondern die Demokratie retten wollen«, sagte Auftaktredner Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands. (Mehr über die Hintergründe zu Freihandelsabkommen in diesem marx21-Interview).
LINKE gegen TTIP
Zu den weiteren Rednerinnen und Rednern gehörten die SPD-Politikerin Gesine Schwan, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, der Grünen-Vorsitzende Anton Hofreiter sowie der Vorsitzende der LINKEN Bernd Riexinger. In seiner Rede kritisierte Riexinger die Bundesregierung scharf: »TTIP und CETA sind ein Angriff auf Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards und damit auf die Demokratie. Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind ebenso gefährdet wie die kommunale Daseinsvorsorge. Zudem sollen Konzerne vor zweifelhaften privaten Schiedsgerichten klagen können. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist gegen TTIP – sie lassen sich nicht für dumm verkaufen. Die Versprechen der TTIP-Lobby von Wohlstand und Jobs für alle sind auf Sand gebaut, glaubhafte Berechnungen gibt es nicht. Die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung verhöhnen die Demokratie, indem sie den Willen der Bürgerinnen und Bürger missachten.«
TTIP Protest: »Großen Tag für die Demokratie.«
Vereinzelt waren auch SPD-Fahnen zu sehen. Einer der Fahnenträger äußert sich zu seinen Beweggründen: »Die Mehrheit der Leute haben nichts gegen Freihandelsabkommen, hier geht es um die Zusatzvereinbarungen, die mittelfristig dazu führen, dass der Sozialstaat europäischer Prägung verboten wird.« Ob die Meinungsäußerung von der Mehrzahl der Demonstrierenden mitgetragen wird, ist fraglich. Das breite Bündnis an Teilnehmenden setzte an diesem Nachmittag ein deutliches Zeichen gegen die geplanten Freihandelsabkommen. Die Veranstalter sprachen von einem »großen Tag für die Demokratie.«
Ist Kritik an TTIP nationalistisch und antiamerikanisch?
Der Massenprotest sorgte bei den Fans des Freihandels für Panik. So belehrte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Demonstrierenden in großen Zeitungsanzeigen unter dem Motto »Bangemachen gilt nicht«: »Europa muss selbstbewusst und mutig seine Ideen von Freiheit im Handel und Verantwortung für die Menschen voranbringen.« CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer beschimpfte die Veranstalter gar als »Empörungsindustrie«. Für Spiegel-Journalist Alexander Neubacher ist der Protest sogar ein »Schauermärchen vom rechten Rand«. Er schreibt: »In der Allianz der TTIP-Gegner schreiten Gewerkschaften und Umweltverbände Seite an Seite mit Nationalisten vom rechten Rand. Ein paar ganz Braune sind auch dabei: Pegida-Chef Lutz Bachmann hat seine Anhänger in Dresden aufgerufen, sich an den Protesten zu beteiligen, die NPD ist dabei, der französische Front National, die bulgarischen Ultranationalisten.«
Dieser Vorwurf ist nicht neu. Er zielt darauf ab, die Bewegungen zu schwächen und ihr Legitimität abzusprechen. Dabei machten verschiedene Rednerinnen und Redner, deutlich dass sie nicht gegen die Menschen in den USA sein, sondern gegen ein Freihandelsabkommen, welches gewerkschaftliche, aber auch Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte schwächt. Auch der Aufruf, dass jeder auf der Demo gerne gesehen sei, vom »konservativen CSU-Wähler bis zum Linken«, nur nicht die Rechten, wurde von verschiedenen Rednern wiederholt und erhielt lautes Klatschen als Zustimmung. So erklärte der Geschäftsführer von Campact mehrmals: »Weder die Glatzen noch die Nationalisten im Nadelstreifen sein Willkommen«.
Die Vorwürfe der Freihandels-Fans die Protestierenden hätten eine rechte und antiamerikanische Gesinnung sind gelogen. Kein Redner kam aus dem rechten Spektrum, keine rechte Organisation hatte einen Stand oder zählte zu den offiziellen Unterstützerorganisationen. Stattdessen führt Campact, eine der Hauptorganisationen des Bündnisses, zur Zeit eine Kampagne für offene Grenzen durch. Auch die Linke.NRW erhielt für ihr Banner »Grenzen auf für Flüchtlinge statt Profite ohne Grenzen – Refugees Welcome – Stopp TTIP-TISA-CETA« viel Zustimmung.
Der Widerstand gegen TTIP muss weiter gehen
Die Panik der Freihandels-Fans verdeutlicht, dass der Protest Wirkung zeigt. Der Widerstand muss jetzt weiter gehen. Auf der Abschlusskundgebung zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule äußerte sich ein junger Teilnehmer mit einer antikapitalistische Perspektive: »TTIP, CETA und sowieso alle Freihandelsabkommen sind ein Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Deshalb müssen sie gestoppt werden – aber eigentlich nicht bloß mit einer Demonstration. Der Kampf beginnt im Betrieb und muss dort weitergeführt werden.«
Foto: campact
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