DIE LINKE im Berliner Senat feiert sich als gelungenes Beispiel für eine linke Regierungsbeteiligung im Verbund mit den sozialen Bewegungen der Stadt. Bei einem genaueren Blick auf die bisherige Bilanz von R2G und das Agieren der LINKEN ergibt sich jedoch ein zwiespältiges Bild. Von Lucia Schnell und Moritz Wittler
Die Zwischenbilanz des rot-rot-grünen Senats in Berlin kann sich auf den ersten Blick sehen lassen: Der Preis für das Sozialticket für den Nahverkehr wurde deutlich gesenkt, das Schülerticket ist für alle Kinder kostenlos, Lehrkräfte und andere soziale Berufe konnten teils ordentliche Lohnerhöhungen durchsetzen, Kita-Gebühren wurden abgeschafft, Bezirksämter und Senat kaufen Spekulanten Häuser vor der Nase weg. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Das Wichtigste aber: Mit dem Mietendeckel, den der Senat im Herbst dieses Jahres beschloss und den das Berliner Abgeordnetenhaus nun Ende Januar 2020 absegnete, sollen die Mietpreise in der von Spekulation und Verdrängung geplagten Hauptstadt für die nächsten fünf Jahre eingefroren und verbindliche Mietobergrenzen festgelegt werden – ein echter Erfolg für die Mietenbewegung, das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« und auch für DIE LINKE, die das Volksbegehren von Beginn an unterstützte und den Mietendeckel gegen den Widerstand des Koalitionspartners SPD verteidigte.
Da verwundert es nicht, dass die Regierungsbeteiligung der LINKEN in Berlin anders als etwa die Brandenburger Erfahrung mit Rot-Rot als Beispiel gilt, wie DIE LINKE »rebellisch« mitregieren kann. Bei genauerem Hinsehen werden allerdings zahlreiche Probleme sichtbar und es zeigt sich, dass die grundsätzlichen Widersprüche einer linken Regierungsbeteiligung alles andere als gelöst sind.
R2G und der Sanierungsfall Berlin
Denn die Erfolge von R2G sollten den Blick auf die Situation in der Hauptstadt nicht trüben: Im November 2019 gaben 66 Prozent der Berlinerinnen und Berliner an, mit der Arbeit der Regierung nicht zufrieden zu sein. Der Berliner Senat ist damit mit Abstand die unbeliebteste aller deutschen Landesregierungen. Die Stadt ist durch die Folgen jahrzehntelanger neoliberaler Kürzungspolitik ein Sanierungsfall.
Fast jedes dritte Kind in Berlin lebt von Hartz IV – in einigen Stadtteilen sind es sogar deutlich über die Hälfte. Zur Armut in der Stadt kommt die kaputtgesparte öffentliche Infrastruktur. In den 2000er Jahren wurde der öffentliche Dienst ausgeblutet. Im Jahr 2003 waren in den Bezirksverwaltungen noch 46.000 Personen beschäftigt, heute ist davon nur noch die Hälfte übrig. Outsourcing und Privatisierung haben die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Infrastruktur massiv verschlechtert. Die Verwaltung steht ebenso wie die Krankenhäuser am Rand des Kollaps. Die Feuerwehrleute haben alleine im ersten Halbjahr 2019 150.000 Überstunden angesammelt. Auch die Zustände in Jugend- und Sozialämtern sind nicht nur für die Beschäftigten unerträglich, sondern auch für diejenigen, die deren Unterstützung brauchen. An den Schulen fehlen tausende Lehrerinnen und Lehrer und die Suche nach Kitaplätzen treibt Familien in den Wahnsinn. Die Löhne im öffentlichen Dienst liegen weit unter denen in anderen Bundesländern, weswegen freie Stellen nur schwer zu besetzen sind. Und über all dem schwebt der Mietenwahnsinn.
Haushaltskonsolidierung als oberstes Prinzip
Doch trotz der gewaltigen sozialen Probleme in der Stadt und dem massiven Investitionsbedarf erhob die R2G-Koalition die Haushaltskonsolidierung zum obersten Prinzip und verpflichtete sich zur Schuldentilgung an die Banken – unabhängig von der Einnahmesituation und trotz historisch niedriger Zinsen. Das Bekenntnis zum Schuldenabbau war eine an DIE LINKE gestellte Vorbedingung zum Eintritt in die Regierung – und ein Bruch mit der eigenen Programmatik.
Dass dies anders als unter dem rot-roten Senat zwischen 2001 und 2011 nicht zu weiterer Kürzungspolitik führte, ist nicht den aus dem damaligen Desaster gezogenen Lehren auf Seiten der LINKEN zu verdanken, sondern dem veränderten Verteilungsspielraum. Denn R2G hat die Regierungsgeschäfte unter gänzlich anderen Bedingungen übernommen als damals Rot-Rot. Mit drei Prozent Wirtschaftswachstum hat Berlin im Jahr 2018 alle anderen Bundesländer hinter sich gelassen. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Hauptstadt um mehr als 170.000 gestiegen. Im Jahr 2018 verfügte Berlin über einen Haushaltsüberschuss von 2,4 Milliarden Euro.
R2G und die Schuldentilgung
Anstatt diese Rekordeinnahmen jedoch dorthin zu leiten, wo sie dringend gebraucht werden, verschrieb sich R2G der Schuldentilgung. Finanzsenator Kollatz (SPD) ging dabei noch weit über die Selbstverpflichtung der Koalition von mindestens 80 Millionen Euro Rückzahlung jährlich hinaus und zahlte 2017 und 2018 zusammen rund 1,8 Milliarden Euro an die Banken zurück. So konnte die Stadt die historisch niedrigen Zinsen nicht für die Steigerung dringend notwendiger Investitionen nutzen.
Dank der veränderten Haushaltssituation gibt es auf R2G momentan zwar keinen großen Druck, den öffentlichen Dienst und die soziale Infrastruktur weiter abzubauen. Die eigentlich notwendigen erheblichen Summen für Wiederaufbau und Verbesserung der kaputtgesparten sozialen Infrastruktur kann und will aber auch R2G nicht mobilisieren. Stattdessen werden höchst fragwürdige Projekte initiiert, mit denen die Privatisierungslogik weiter vorangetrieben wird, wie das Beispiel der »Schulbauoffensive« zeigt.
Hintergrund: Schulbau-Privatisierung
An den Berliner Schulen beläuft sich der Sanierungsstau auf 3,9 Milliarden Euro. Überlastung wegen steigender Schülerzahlen, kaputte Toiletten, schimmelnde Klassenräume, undichte Fenster und unbenutzbare Turnhallen behindern vielerorts den Schulbetrieb. Der Bedarf an neuen Schulgebäuden ist enorm. Darauf hat der Senat mit der Schulbauoffensive reagiert. Allerdings überträgt er hierbei die Aufgabe des Schulbaus von den bezirklichen Bauämtern an eine neu gegründete Tochterfirma einer privatrechtlich organisierten Wohnungsbaugesellschaft. Um Schulen zu bauen und zu sanieren, soll das Unternehmen Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen. Als Sicherheit für die Kredite dienen langfristige Mietverträge, die die Bezirke mit dem Unternehmen abschließen. Die Bezirke sollen über 30 Jahre Schulen anmieten, die noch nicht gebaut sind. Derzeit werden diese Verträge hinter verschlossenen Türen ausgehandelt.
Der Parteibasis und Wählerschaft der LINKEN gegenüber verkaufte die Parteiführung das Projekt als einen Trick, um die Schuldenbremse zu umgehen, womit sie den Widerstand gegen das Privatisierungsvorhaben erheblich schwächte. Auch wenn die Auswirkungen nicht umgehend sichtbar werden, ist schon jetzt abzusehen, dass das Vorgehen ein finanzielles Desaster wird und eine große Hypothek für die Glaubwürdigkeit der LINKEN.
Zu Beginn der Koalition hieß es, man werde aus den früheren Fehlern von Rot-Rot wie der Privatisierung von Wohnungen lernen. Die Umsetzung der Schulbauoffensive lässt daran jedoch erhebliche Zweifel aufkommen. Der Senat erfährt deshalb scharfen Widerstand von der Antiprivatisierungsinitiative »Gemeingut in BürgerInnenhand«. Diese hat in einer Studie gezeigt, dass bereits die veranschlagten Kosten um 800 Millionen Euro höher sind als beim herkömmlichen Schulbau.
Statt über den Zusammenhang von Schuldenbremse und Privatisierungsprojekten aufzuklären, wird DIE LINKE auch in dieser Frage von SPD-Finanzsenator Kollatz getrieben. Dieser versuchte sogar, eine verschärfte Version der vom Bund vorgeschriebenen Schuldenbremse in Berlin durchzusetzen. Der Vorgang zeigt deutlich, dass es Kollatz beim privatisierten Modell der Schulbauoffensive nie darum ging, die Schuldenbremse auszuhebeln, sondern ganz andere Interessen im Hintergrund wirken. So ist es wenig überraschend, dass wie bei anderen öffentlich-privaten Partnerschaften auch bei der Schulbauoffensive der Filz aus Unternehmensberatungen und Finanzelite mitmischt. Offensichtlich wird hier ein weiterer Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge für Profitstreben der Finanzwirtschaft geöffnet und zumindest formal privatisiert. Den Banken winken auf diesem Weg höhere Zinsen bei gleichem Risiko. Ein Geschäft auf Kosten der Allgemeinheit.
Und nicht nur beim Schulbau greift die Profitlogik im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge auch unter R2G weiter um sich: So droht die Privatisierung der Berliner S-Bahn.
Hintergrund: Zerschlagung der S-Bahn
Die von den Grünen benannte Verkehrssenatorin Regine Günther will Wettbewerb auf der Schiene durchsetzen und den Betrieb von Teilstrecken der S-Bahn an verschiedene Anbieter vergeben. Ohne jede öffentliche Debatte in der Partei DIE LINKE hat sich der Senat im Oktober 2019 auf einen Kompromiss geeinigt, der vorsieht, die Vergabe von zwei Teilnetzen der S-Bahn international auszuschreiben. Im Gegensatz zur letzten Ausschreibung wurden die Chancen, dass private Firmen zum Zuge kommen, erheblich vergrößert. Allgemein wird davon ausgegangen, dass zumindest ein Teilnetz fremdvergeben wird – die Zerschlagung wäre perfekt. Die Probleme der S-Bahn, die durch den Börsengang und die Profitlogik des Mutterkonzerns Deutsche Bahn kaputtgespart wurde, sollen nun mit noch mehr Privatisierung gelöst werden. Das kann nicht funktionieren. Die privaten Unternehmen haben ein Interesse an Profiten, nicht aber an einer bezahlbaren, klimafreundlichen S-Bahn mit guten Arbeitsbedingungen. DIE LINKE schreibt sich den ticketlosen öffentlichen Nahverkehr auf die Fahne, gleichzeitig stimmen ihre Senatsmitglieder dem katastrophalen Konzept der grünen Senatorin zu, weil sie sich in den Verhandlungen nicht durchsetzen konnten.
Hier zeigt sich die fatale Logik, auf die sich DIE LINKE mit ihrer Regierungsbeteiligung eingelassen hat: Anstatt gemeinsam mit Fridays for Future und den Gewerkschaften den öffentlichen Druck auf die Grünen und die Deutsche Bahn AG für eine gute S-Bahn zu erhöhen, will DIE LINKE im Senat nun auf Nachverhandlungen mit dem ebenfalls beteiligten Nachbarland Brandenburg setzen. Es wäre Aufgabe der LINKEN, an der Seite von Beschäftigten und sozialen Bewegungen außerparlamentarisch Druck zu machen. Stattdessen fällt sie als Opposition aus und die Parteimitglieder werden auf eine Zuschauerrolle bei den Senatsverhandlungen reduziert.
Tauschgeschäfte und Hinterzimmer-Logik
An diesen Beispielen wird deutlich, wie sehr die Regierungsbeteiligung DIE LINKE in eine Hinterzimmer-Verhandlungslogik zwingt, bei der sie Tauschgeschäfte eingeht und ihre politische Eigenständigkeit der Koalitionstreue unterordnet. In der Praxis heißt das in der Regel zudem, keine öffentliche Kritik an den Koalitionspartnern und ihrer Politik zu üben.
Das ist fatal, denn DIE LINKE wird für die Politik des gesamten Senats verantwortlich gemacht und beraubt sich ihres antikapitalistischen Profils und ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten. Anstatt durch Aufklärung und Mobilisierung die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verschieben, werden die Kompromisse der Koalition gegenüber der Öffentlichkeit und der eigenen Partei verteidigt. Dadurch gerät DIE LINKE immer wieder auch in Widerspruch zu den sozialen Bewegungen und Beschäftigten, an deren Seite sie eigentlich »rebellisch regieren« wollte.
R2G: DIE LINKE zwischen den Stühlen
In Politikfeldern, in denen DIE LINKE nicht direkt zuständig ist, hält sie sich komplett zurück und lässt den Koalitionspartnern weitgehend freie Hand. Beispiel Krankenhäuser: Um in allen Berliner Kliniken mehr Personal durchzusetzen, sammelte die Initiative »Gesunde Krankenhäuser« mehr als 48.000 Unterschriften für ein Volksbegehren. Auch DIE LINKE hatte das Volksbegehren unterstützt.
Als Innensenator Geisel von der SPD es für juristisch nicht zulässig erklärte und es vor das Landesverfassungsgericht zerrte, gab es jedoch nur leise Kritik der LINKEN. Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner wurde keine Abstimmung im Senat über die Entscheidung des Innensenators eingefordert. Und das, obwohl auch die SPD-Basis das Volksbegehren teilweise aktiv unterstützt hatte.
Die Glaubwürdigkeit der LINKEN nimmt hier Schaden und die Chance wurde vertan, in Berliner Krankenhäusern Personalmindeststandards durchzusetzen sowie der Bewegung für mehr Personal in den Krankenhäusern bundesweit Auftrieb zu geben.
R2G und der Kampf gegen rechts
Beispiel Antirassismus und Kampf gegen rechts: Zwar hat sich Berlin zur Aufnahme von auf dem Mittelmeer geretteten Geflüchteten bereit erklärt. Dennoch wird auch unter R2G in Berlin weiter abgeschoben. Nicht einmal zu einem Winterabschiebestopp, wie er kurzzeitig in Thüringen bestand, konnte sich die Berliner Koalition durchringen. Auch am diskriminierenden Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst wird nicht gerüttelt.
Die Koalition kann sich trotz einer jahrelangen Neonazi-Terrorserie in Neukölln nicht auf einen Untersuchungsausschuss zum NSU und anderen Neonazi-Verbindungen in den Sicherheitsbehörden einigen. Berlin hat als eines der wenigen Bundesländer keinen NSU-Untersuchungsausschuss eingerichtet, obwohl auch hier Verfassungsschutz-Akten geschreddert wurden.
SPD-Innensenator Geisel weigert sich, sich mit den rechten Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden anzulegen. So werden Neonazis im Staatsapparat unter der »linkesten« Regierung Deutschlands verschont. Die Einbindung der LINKEN in der Koalition wirkt wie eine Jobgarantie für Geisel: Er profitiert davon, dass DIE LINKE keine entschiedene öffentliche Kritik an seiner Tatenlosigkeit angesichts immer neuer Skandale und Enthüllungen übt. Dabei wird auch deutlich: DIE LINKE an der Regierung ändert nichts am Repressionscharakter des Staatsapparats.
R2G: Kein grundlegender Politikwechsel
Insbesondere die Repressionsorgane verfolgen eine eigene Agenda, auf die die gewählte Regierung nur sehr beschränkten Einfluss hat. Sie sind nicht demokratisch kontrolliert, sondern hierarchisch aufgebaut und dienen der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung. Deshalb wird auch unter einer linken Regierung mit massiver Gewalt gegen die Mietenbewegung vorgegangen oder Zwangsräumungen vollstreckt, während gleichzeitig Neonazi-Aufmärsche wie der »Heßmarsch« mit Gewalt durchgesetzt werden.
All diese Beispiele zeigen, dass DIE LINKE mit ihrer Regierungsbeteiligung in Berlin keinen grundlegenden Politikwechsel einleiten konnte. Stattdessen wird sie mitverantwortlich gemacht für die soziale Misere in der Stadt, die heruntergekommene Infrastruktur, den kaputtgesparten öffentlichen Dienst, die staatliche Repression und das Agieren ihrer Koalitionspartner, das von der LINKEN kaum wahrnehmbar kritisiert wird. Und das, obwohl die fehlenden inhaltlichen Schnittmengen mit Grünen und SPD für eine deutliche Kritik sprechen.
R2G und die Wohnungs- und Mietenpolitik
Das gilt auch für die Wohnungs- und Mietenpolitik, die in den letzten Jahren zum bedeutendsten Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung in der Hauptstadt wurde: Spätestens seit der Finanzkrise 2008 explodieren die Mieten in Berlin. Unter den Immobilienspekulanten ist ein wahrer Goldrausch ausgebrochen. Alleine in den letzten fünf Jahren haben sich die Mietpreise bei Neuvermietung noch einmal verdoppelt. Viele Berlinerinnen und Berliner treibt die Angst um, ihre Wohnung zu verlieren und sich keine neue mehr leisten zu können. Familien drängen sich dauerhaft in viel zu kleine Wohnungen, während Eigentümer alle möglichen Tricks anwenden, um Altmieter zu vertreiben und die Mieten zu erhöhen.
In den vergangenen Jahren wuchs aber auch der Widerstand. Überall in der Stadt begannen sich Hausgemeinschaften und Kiezinitiativen zu organisieren, um sich gegen den Verkauf ihrer Häuser an Spekulanten, gegen sinnlose Modernisierungen, gegen Aufwertungsprojekte oder Zwangsräumungen zu wehren. Die Abgeordnetenhauswahl 2016 stand insbesondere unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzungen.
DIE LINKE fragte damals »Wem gehört die Stadt?« und zog mit dem Versprechen »(Wählt uns) Und die Stadt gehört euch!« in den Wahlkampf. Sie traf damit einen Nerv und erzielte mit über 15 Prozent ein überraschend gutes Ergebnis. Sie rang der SPD ihr angestammtes Stadtentwicklungs- und Bauressort ab und legte hier ihren Schwerpunkt mit einer starken Mietenbewegung im Rücken. Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE) verschärfte das Zweckentfremdungsverbot, trieb den Kampf gegen Firmen wie AirBnB voran, initiierte eine Tauschbörse für Mieterinnen und Mieter bei den städtischen Wohnungsunternehmen und unterstützte die Bezirke dabei, den Spekulanten Wohnhäuser wegzukaufen (»Vorkaufsrecht«). Solche Schritte haben in der Bevölkerung breiten Rückhalt, provozieren jedoch auch scharfe Gegenwehr auf der Kapitalseite. Von Beginn an stand Lompscher unter dem Feuer der Immobilienlobby, der Springerpresse, der rechten Opposition, aber auch der SPD, die traditionell eng mit dem Berliner Immobilienfilz verwoben ist. An der Gesamtlage konnten diese Initiativen dennoch wenig ändern. Die Mietenexplosion wurde nicht gestoppt. Nach wie vor fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung als neue gebaut werden.
Der Weg zum Mietendeckel von R2G
Aber auch die Gegenwehr nahm zu: Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Gruppen initiierten das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, das in den medialen Diskurs einschlug wie eine Bombe. Während Umfragen mehrheitliche Unterstützung in der Stadt für das Anliegen ergaben und die nötigen 20.000 Unterschriften in kürzester Zeit gesammelt waren, malten Immobilienlobby, Kapitalisten und rechte Politiker den Untergang des Abendlandes an die Wand, sollte das Volksbegehren gewinnen.
Dass DIE LINKE die Initiative von Beginn an unterstützte und trotz medialer Hetze standhaft blieb, war entscheidend. Denn so konnte sie den Druck auf die SPD erhöhen, endlich etwas gegen den Mietenwahnsinn zu unternehmen. Die SPD-Führung, die mit der großen Sympathie ihrer Mitglied- und Anhängerschaft für das Volksbegehren konfrontiert ist, suchte nach einer Alternative und fand diese im Konzept eines Mietendeckels. Die Idee wurde von der zuständigen Senatorin Lompscher aufgegriffen und vorangetrieben, so dass der SPD-Bürgermeister Müller zwischenzeitlich gemeinsam mit Lobbyisten und Spekulanten heftig gegen Lompschers Version des Mietendeckels wetterte.
Erneut wurden jedoch auch die Schwächen der Regierungslogik im Zusammenspiel mit den Bewegungen deutlich: Statt die Bewegungen und die eigene Partei von Beginn an mit einzubeziehen und so die eigene Verhandlungsbasis zu stärken, setzten die Senatorin und ein Großteil der Abgeordnetenhausfraktion auf intransparente Verhandlungen in Hinterzimmern. Die Aktivistinnen und Aktivisten blieben vom Informationsfluss abgeschnitten. Ein zwischenzeitig deutlich abgeschwächter Kompromissvorschlag wurde von der LINKEN im Senat gegenüber den Aktiven gerechtfertigt. Auf einer Basiskonferenz wurde vermittelt, dass der Konflikt ausgeräumt sei und es keiner Mobilisierung bedürfe. Die LINKE-Führung verteidigte den Kompromiss, der ihr von der SPD aufgezwungen wurde. Mit dem Slogan »Der Mietendeckel kommt« wurde suggeriert, dass bereits alles entschieden sei und die Parteibasis und Mieterbewegung auf eine Zuschauerrolle bei den Verhandlungen der Koalitionsparteien verwiesen. Ein organisches Zusammenspiel von Bewegung und Regierung sieht anders aus.
Erfolg braucht Konfrontation
Erst als die SPD-Führung begann, auch den Kompromiss öffentlich schlechtzureden und damit DIE LINKE in die öffentliche Auseinandersetzung zwang, änderte diese ihre Taktik. Endlich begann sie auch öffentlich und im Widerspruch zur SPD, den Mietendeckel zu verteidigen.
Das zeigte Wirkung, denn auch die SPD-Führung stand innerparteilich unter Druck. Sie musste den Delegierten auf ihrem Parteitag etwas anbieten, um die Annahme eines Antrags zur Unterstützung von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« abzuwenden. Schließlich wurde ein konkretes Gesetz im Senat verabschiedet, das tatsächlich einen wichtigen Schritt gegen den Mietenwahnsinn darstellt. Ohne in die offene Konfrontation mit der SPD zu gehen, wäre das nicht möglich gewesen.
Jetzt gilt es, den Mietendeckel entschlossen zu verteidigen, damit der Gesetzentwurf nicht doch noch im parlamentarischen Prozess entschärft wird. Die Immobilienlobby wird mit allen Mitteln weiter versuchen, ihre Profite zu retten und das Gesetz vor alle zur Verfügung stehenden Gerichte bringen. Dass aber auch Gerichte dem Einfluss von Massenbewegungen unterliegen, hat sich zuletzt im Streit um den Hambacher Forst gezeigt.
Im Falle des Mietendeckels wurde DIE LINKE in die Auseinandersetzung gezwungen, doch allzu oft unterwirft sie sich der Logik der Koalitionsregierung. Das Bekenntnis zur Schuldentilgung wird bei einem wirtschaftlichen Abschwung auch DIE LINKE zwingen, sich zu entscheiden, ob sie an diesem Bekenntnis festhalten oder an der Seite der Bewegungen Politik im Sinne der Mehrheit machen will.
DIE LINKE als antikapitalistische Kraft
Alles muss erkämpft werden. Nur wo die Bewegung stark ist, gibt es Zugeständnisse. Die Unzufriedenheit der LINKE-Anhängerinnen und -Anhänger mit dem Senat ist berechtigt. DIE LINKE kann sich von den desolaten herrschenden Zuständen in der Hauptstadt als Regierungspartei kaum distanzieren, sondern wird in Mithaftung genommen – sei es für die überforderte Verwaltung, das Verkehrschaos, die drohende Zerschlagung der maroden S-Bahn, den Notstand in Schulen und Krankenhäusern oder Polizeigewalt und behördlichen Rassismus.
Berlin braucht viel mehr soziale und ökologische Verbesserungen. Um diese zu erkämpfen, muss DIE LINKE als antikapitalistische Kraft in der Stadt sichtbar werden und Schritte auf dem Weg zu einer sozialistischen Massenpartei machen, die die Vorherrschaft der SPD auch in den Gewerkschaften brechen kann. Dafür ist die Einbindung in der Koalition hinderlich, weil DIE LINKE nicht die Kompromisse im Senat verteidigen und gleichzeitig von außen kritisieren kann. Der Partei kann der Spagat auf Dauer nicht gelingen, in der Regierung mit den Koalitionspartnern mit einer Stimme zu sprechen und als Partei unabhängig zu mobilisieren. Das Argument des »kleineren Übels« gegenüber einer Koalition ohne DIE LINKE läuft deshalb ins Leere, weil die Regierungsbeteiligung die Partei und damit auch die gesamte Linke langfristig schwächt.
Regieren oder Opponieren?
Rosa Luxemburg analysierte 1901 die Regierungsbeteiligung der französischen Sozialisten treffend: »Vor allem ist für sie eine rückhaltlose Kritik der Regierungspolitik unmöglich geworden. Wollten sie ihre Schwäche, ihre Halbheiten, ihre Feigheit geißeln, so würden die Hiebe auf ihren eigenen Rücken zurückfallen.«
Deshalb kommt Rosa Luxemburg in ihrer Kritik an Regierungsbeteiligung zu dem Schluss, dass Sozialisten nur mit oppositioneller Politik in diesem Staat Reformen durchsetzen können: »Bei uns liegt in dem Nein, in der unversöhnlichen Haltung unsere ganze Kraft. Diese Haltung ist es, die uns die Furcht und die Achtung der Feinde, das Vertrauen und die Anhängerschaft des Volkes erwirbt. Nur weil wir keinen Schritt von unserer Position weichen, zwingen wir die Regierung und die bürgerlichen Parteien, uns das Wenige zu gewähren, was an unmittelbaren Erfolgen zu erringen ist. Fangen wir aber an, im Sinne des Opportunismus, dem ›Möglichen‹ unbekümmert um die Prinzipien und auf dem Wege staatsmännischer Tauschgeschäfte nachzujagen, so gelangen wir bald in die Lage des Jägers, der das Wild nicht erlegt und die Flinte zugleich verloren hat.«
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Schlagwörter: Berlin, R2G, Regierungsbeteiligung