Ob »Gruppe Freital« oder »Oldschool Society«: Im Fahrwasser der rassistischen Hetzer von AfD und Co. formieren sich rechte Terrorzellen, die den Worten Taten folgen lassen. Wir sprachen mit Friedrich Burschel über die Gefahr eines neuen Rechtsterrorismus und die Lehren aus den NSU-Morden
Friedrich Burschel ist Referent für Neonazismus und begleitet als Journalist den Münchener NSU-Prozess.
marx21: In den letzten Monaten fanden mehrere Großrazzien gegen rechte Terrorzellen statt. Wie groß ist die Gefahr von rechtem Terrorismus in Deutschland?
Friedrich Burschel: Bereits Anfang 2016 hatte das Bundeskriminalamt angesichts der extrem aufgeheizten Stimmung wegen der Ankunft zehntausender Geflüchteter vor rechten Gruppen gewarnt, die im Stile des NSU losschlagen könnten. Die Gefahr neuer rechter Anschläge und Morde könnte also so akut wie lange nicht sein. An entsprechender aufputschender Hetze im Netz und aus der Politik mangelt es ja leider nicht.
No-Go-Areas für gefährdete Menschen und Gruppen gab und gibt es durchgehend seit der Wende – vermutlich auch schon davor und zwar in Ost und West. Seit der Wende sind fast 200 Menschen von Nazis ermordet worden. Die Schwerverletzten, Verletzten und Angepöbelten, Bespuckten, Eingeschüchterten und Gedemütigten wurden gar nicht erst gezählt.
Mit der Verhaftungswelle will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) eine starke Hand beweisen. Er kündigte an: »Etwaiger entstehender Rechtsterrorismus wird von den Sicherheitsbehörden im Keim erstickt.« Hat der Staat aus den NSU-Verbrechen gelernt?
Quatsch, die scheinen mir unbelehrbar. Und Herr de Maizière gehört zu denjenigen, die zur angespannten Stimmung gegen Geflüchtete im Land beitragen, mit jedem Satz, den er sagt. Die starke Hand der Innenpolitik ist gerade dabei, mit brachialen Methoden gegen Geflüchtete vorzugehen, statt gegen die Leute, die – über weite Strecken ungestraft – Geflüchtetenunterkünfte angreifen oder anzünden.
Das bisschen Theaterdonner um rechten Terror ist doch erst entfacht worden, als im Oktober in Bayern ein Polizist von einem Reichsbürger erschossen worden war. Der Terror gegen Geflüchtete hat das nicht vermocht.
Im NSU-Prozess sind zahlreiche Verstrickungen zwischen Geheimdienst, Polizei und rechtem Terror zu Tage getreten. Wie glaubwürdig ist der staatliche Kampf gegen rechts?
Die Behörden haben zum Ersten strukturelle Probleme, rechten Terror überhaupt als Gefahr wahrzunehmen. Das zeigt beispielsweise der Irrsinn, dass die Bundesanwaltschaft nach etlichen Anschlägen auf Autos und die geplante Geflüchtetenunterkunft nicht gegen die terroristische Vereinigung des NPD-Politikers Schneider in Nauen (Brandenburg) vorgehen will. Zum Zweiten wird auch nach dem NSU das Problem des institutionellen Rassismus und des Rassismus individueller Beamtinnen und Beamter nicht angegangen und anerkannt. Zum Dritten ist nicht nachvollziehbar, was Geheimdienste in dieser Sache anrichten. Alles, was wir im NSU-Kontext über die Verstrickung des sogenannten Verfassungsschutzes wissen, müsste eigentlich ausreichen, hier mit dem Eisenbesen zu Werke zu gehen.
Rechte Pogrome wie in Bautzen oder Freital erinnern an die Ereignisse in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen Anfang der 1990er Jahre. Trifft der Vergleich, oder haben wir es mit einer neuen Qualität von rechtem Terrorismus zu tun?
Natürlich haben die jeweiligen pogromartigen Ausschreitungen unterschiedliche aktuelle Hintergründe, aber die Täterinnen und Täter rechnen mit derselben Tatenlosigkeit des Staats und mit der Zustimmung großer Teile ihres Umfeldes. Die nationalistische Stimmung im Land, spätestens mit der AfD vollends in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sorgt für flächendeckende rassistische Ausschreitungen.
Und die etablierten Parteien nutzen die rassistische Stimmung wieder, um noch jede ausländer- und asylpolitische Schweinerei durchzuziehen und Gesetze entsprechend zu verschärfen. Das war auch Anfang der 1990er so, als sogar das Grundgesetz im Sinne der Abschottung geändert, das Asylgrundrecht faktisch abgeschafft wurde.
Die Regierung geht von 12.000 gewaltbereiten Rechtsextremen aus. Sind das alles Terroristen? Wie grenzt man Rechtsterrorismus von rechter Alltagsgewalt ab?
Der Schritt in einen terroristischen Untergrund à la NSU, in Zellen und klandestine Aktivitäten ist klein. Die ideologisch gefestigten organisierten Nazis im Land sprechen schon lange vom bevorstehenden »Rassenkrieg«, in dem sie die Rolle des »weißen arischen Widerstands« spielen, der die »weiße Rasse« zu retten habe.
Dieser Scheißdreck ist jetzt aber salonfähig geworden, indem Vertreter der Leitkultur vom rechten Rand der bürgerlichen Parteien, AfD-Höcke, NPD, Identitäre und Andere das weichgespült – etwa im Sinne eines Ethnopluralismus – in ihr Repertoire aufnehmen. Da heißt es dann »Umvolkung«, »illegaler Import Fremdvölkischer« oder »Bevölkerungsaustausch«. »Besorgte Bürger« finden sich dann schon, denen man solch braune Brühe einflößen kann. Die Gewalt hängt in der Luft.
Welche Rolle spielt das Internet bei der Vernetzung und Radikalisierung von gewaltbereiten Rechten?
Verschiedene Studien, unter anderem eine, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung bei einer Bremer Forschungsgruppe in Auftrag gegeben hat, kommen zu zurückhaltenden Befunden. Mit Sicherheit hat das Internet die Organisierung aber erleichtert. Neu ist im Grunde diese Explosion nicht anonymisierter rassistischer, sexistischer und nationalistischer Posts in sozialen Netzwerken. Das erleichtert rechter Propaganda das Setzen von Themen und die Mobilisierung für die eigenen Aktivitäten. Das Netz funktioniert hier wie ein Verstärker.
Die Organisation und Durchführung von Anschlägen gilt häufig als Vorbereitung auf den beschworenen »kommenden Bürgerkrieg«. Welche Rolle spielen solche Narrative bei der Organisierung von militanten rechten Gruppen?
Das spielt in der ideologischen Zurichtung der terrorbereiten Nazi-Szene eine enorme Rolle. Wir haben im NSU-Prozess gestaunt, auf wie vielen beschlagnahmten Festplatten von Angeklagten sich zum Beispiel die »Turner Diaries« von William Pierce finden lassen. Dieser lausige, in Tagebuchform gegossene Roman gilt als Blaupause für terroristische Aktionen der internationalen militanten Naziszene an einem Tag X. Der Roman wurde bei dem Londoner Nagelbomber und Mörder David Copeland ebenso gefunden wie bei den in München Angeklagten Ralf Wohlleben und André Eminger.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der neuen Rechten wie Trump, der AfD und Pegida und der Zunahme rechter Gewalt?
Ja. Wo die menschenverachtenden und nationalistischen Töne aus den Mündern seriöser Politiker kommen, in den USA gar vom neuen Präsidenten, wenn sie von vielen Leuten aus der Mitte der Gesellschaft aufgegriffen werden, dürfen sich gewaltbereite Attentäter eingeladen fühlen, in ihrem Tun fortzufahren und die Situation zu eskalieren. Wenn selbst de Maizière von einer »Teilverrohung der Gesellschaft« spricht und – mit Blick auf tatverdächtige Feuerwehrleute und Finanzbeamte – davon, dass selbst »unbescholtene Bürger« zum Brandbeschleuniger greifen, dann, denke ich, ist Alarm angesagt.
Das Interview führte Tilman von Berlepsch.
Foto: Froofroo
Schlagwörter: AfD, Faschisten, Geheimdienst, Geheimdienste, Gewalt, Höcke, Identitäre, Inland, Nationalsozialistischer Untergrund, Nazis, NPD, NSU, NSU-Prozess, Rassismus, rechter Terror, Rechtsterrorismus, Terror, Terrorismus, Verfassungsschutz