Schlecht an der Rede von Sahra Wagenknecht ist nicht ihre Kritik an den Sanktionen gegen Russland oder ihre Polemik gegen die Regierung, sondern ihre politische Ausrichtung auf den Industriestandort Deutschland. Von Yaak Pabst
Die Rede von Sahra Wagenknecht am Mittwoch im Bundestag brach im Regierungslager einen Sturm der Entrüstung los. Genau richtig, wenn die Opposition eine Rede hält – könnte man meinen. Doch die sechsminütige Rede stieß auch in den eigenen Reihen auf teils heftige Kritik.
Sahra Wagenknecht und Kritik aus der LINKEN
So twitterte etwa Ex-Parteichef Bernd Riexinger: »Die Position der Partei für Sanktionen gegen Russland ist auf dem letzten Bundesparteitag beschlossen worden. Es gibt keinen ›Wirtschaftskrieg gegen Russland‹. Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Es darf niemals einen Zweifel daran geben, auf welcher Seite DIE LINKE steht!«. Linksfraktionsmitglied, Pascal Meiser, meint: »Die Sanktionen gegen Russland könnten übrigens am einfachsten beendet werden, wenn Russland seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden und seine Truppen zurückziehen würde«. Ebenso distanzierten sich die Abgeordneten Nicole Gohlke, Caren Lay, Martina Renner, Anke Domscheit-Berg, Cornelia Möhring sowie Kathrin Vogler. Aus Protest gegen die Nominierung von Wagenknecht als einzige Rednerin blieben etliche linke Bundestagsabgeordnete der Debatte fern. Die Leipziger Stadträtin und Landtagsabgeordnete Jule Nagel forderte gar den Rausschmiss von Sahra Wagenknecht aus der Fraktion.
Aber war die Rede von Sahra Wagenknecht wirklich so schlimm, dass dies einen Ausschluss aus der Fraktion rechtfertigen würde? Und stimmt es, dass der Parteitagsbeschluss der LINKEN die Kritik an Sanktionen ausschließen würde?
Was sagt der Parteitagsbeschluss zu Sanktionen?
Wer den Parteitagsbeschluss genauer liest, merkt schnell, dass dem nicht so ist. Dort steht: »Sanktionen müssen sich gegen Putins Machtapparat und den militärisch-industriellen Komplex und damit gegen die Fähigkeit zur Kriegsführung richten. Sanktionen, die sich vor allem gegen die Bevölkerung richten oder zur Verarmung im Globalen Süden beitragen, lehnen wir ab.«
Ebenso ist dort folgender Absatz beschlossen worden: »Für den Machtkampf um die Ukraine müssen die Menschen auf der ganzen Welt einen hohen Preis zahlen. Die Menschen in der Ukraine werden getötet und vertrieben, aber auch die Bevölkerung Russlands leidet unter wirtschaftlichen Einschränkungen, die ausbleibenden Weizenlieferungen verschärfen die Hungersnöte und die höheren Heiz-, Lebensmittel- und Transportkosten in Deutschland treffen vor allem die finanzschwachen Menschen.«
Die Bilanz der Sanktionen
Schaut man nach nunmehr neun Monaten Krieg nüchtern auf die Bilanz der Sanktionen, wird deutlich: Die Politik der Bundesregierung, mit Sanktionen Putins völkerrechtswidrigen Krieg zu stoppen, seinen Machtapparat zu schwächen und den militärisch-industriellen Komplex zu treffen, ist gescheitert. Der Krieg tobt weiterhin, aber die Sanktionen sind zum Bumerang geworden: Der auch durch die Sanktionen verursachte Preisanstieg auf den Rohstoffmärkten hat dem Putin-Regime zusätzliche Milliarden an Einnahmen beschert. Es ist klar: Die Sanktionen werden Putin nicht stoppen, sie sind aber Wasser auf die nationalistischen Propaganda-Mühlen des Regimes und helfen dem Diktator, die Bevölkerung hinter sich zu sammeln. Gleichzeitig treffen die Auswirkungen der Sanktionen vor allem die lohnabhängige und arme Bevölkerung. Die Sanktionen tragen zu Hunger, Armut und Tod in vielen Teilen der Welt bei. Dass sich die Bundesregierung an diesem Wirtschaftskrieg beteiligt, ist falsch. Der Konflikt eskaliert so nur weiter, anstatt für Frieden und Entspannung zu sorgen.
Die Kritik von Sahra Wagenknecht an den Sanktionen
In der Rede von Sahra Wagenknecht hört sich das so an: »Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen. Ja, natürlich ist der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen. Aber die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir Millionen Familien in Deutschland in die Armut stürzen und dass wir unsere Industrie zerstören, während Gazprom Rekordgewinne macht. Ja, wie bescheuert ist das denn?«. Und zum Ende: »Und deshalb Schluss mit den fatalen Wirtschaftssanktionen! Verhandeln wir in Russland, mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen!«.
Problematische Pappkameraden gegen Sahra Wagenknecht
Dass Sahra Wagenknecht für diese Worte von dem Abgeordneten der Grünen, Felix Banaszak, eine Täter-Opfer Umkehr vorgeworfen wird, geht völlig am Kern ihrer Rede vorbei. Dieser wäre aber von einem linken Standpunkt durchaus kritikwürdig. Denn der Ausgangspunkt ihrer Rede sind nicht zuvorderst die Interessen der Lohnabhängigen und Armen. Im Mittelpunkt steht stattdessen die Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Sie klagt: »Preiswerte Energie ist die wichtigste Existenzbedingung unserer Industrie. Und wo haben Sie denn Ersatz aufgetan, Herr Habeck? Bei amerikanischen Frackinggasanbietern, die aktuell 200 Millionen Euro Gewinn mit jedem einzelnen Tanker machen! Klar, so kann man die Gasspeicher auch füllen, aber den Ruin von Familien und Mittelständlern, die diese Mondpreise am Ende bezahlen müssen, den werden Sie damit nicht aufhalten. Und es fängt doch schon an. Dass der Gasverbrauch der Industrie um fast ein Fünftel eingebrochen ist, liegt doch nicht an plötzlichen Effizienzgewinnen, sondern daran, dass die Produktion schon jetzt dramatisch zurückgeht. Bevorzugtes Ziel von Produktionsverlagerungen sind neuerdings übrigens wieder die USA, weil der Gaspreis in Deutschland inzwischen achtmal so hoch ist wie in Übersee. Make America great again? Eine teure Strategie für eine deutsche Regierung!«.
Die guten, alten Zeiten?
Und an anderer Stelle: »Aber ein Unternehmen, das wegen der hohen Preise nichts mehr verkaufen kann, verschwindet vom Markt, und das heißt eben schlicht im Klartext: Wenn wir die Energiepreisexplosion nicht stoppen, dann wird die deutsche Industrie mit ihrem starken Mittelstand bald nur noch eine Erinnerung an die guten, alten Zeiten sein.«
Die »guten, alten Zeiten« von Agenda 2010, Niedriglohnjobs, Massenentlassungen, HartzIV-Repression, Leiharbeit, Arbeitsverdichtung und steigendem Arbeitsdruck. Statt sich mit den Lohnkämpfen gegen die Auswirkung der Inflation zu solidarisieren, sich auf die Seite der Beschäftigten zu stellen und ihnen einen Stimme zu geben, zitiert sie lieber den Chef der deutschen Industrie und Handelskammer, um das Klagelied der Konzerne anzustimmen, dass der Industriestandort Deutschland gefährdet sei.
Wagenknechts Klassenstandpunkt endet am Betriebstor von Herrenknecht
Die unkritische Haltung gegenüber den »mittelständischen« Unternehmer:innen ist bei Wagenknecht nicht neu. In ihrem Buch »Die Selbstgerechten« schreibt sie über mittelständische Weltmarktführer: »Die Hidden Champions sind eine wichtige Säule unserer Volkswirtschaft, sie sind innovativer als viele börsennotierte Konzerne und bieten gut bezahlte Arbeitsplätze.«
Wagenknechts Klassenstandpunkt endet am Betriebstor von Herrenknecht. Die Maschinenbaufirma Herrenknecht mit 5000 Beschäftigten gilt als Vorzeigeunternehmen des »innovativen Mittelstands«.
Mythos »Familienunternehmen«
Doch auch bei dem Hidden Champion Herrenknecht aus Baden-Württemberg bleibt der Klassenkampf nicht aus. Der Weltmarktführer für überdimensionale Bohrmaschinen hat Leiharbeiter. Ebenso hat er seit Jahrzehnten nur einen Haustarifvertrag mit niedrigeren Löhnen für die Beschäftigten – kein Einzelfall unter den »Familienunternehmen«. Es ist ein Mythos, dass die Kälte und Menschenfeindlichkeit der Gewinnmaximierung nur börsennotierten Konzernen vorbehalten ist.
Energiewende?! Fehlanzeige bei Sahra Wagenknecht
Weil Wagenknechts Dreh- und Angelpunkt das Wohlergehen der Industrie ist, verschweigt sie in ihrer Rede die dringend benötigte Energiewende. Wagenknecht meint: »Ja, ob es uns gefällt oder nicht, wenn wir ein Industrieland bleiben wollen, dann brauchen wir russische Rohstoffe und leider auf absehbare Zeit auch noch russische Energie.«
Das ist schlicht falsch und an diesem Punkt verlässt sie tatsächlich die programmatischen Grundlagen der Linkspartei. DIE LINKE ist für den Ausstieg aus dem fossilen Energieregime. Das bedeutet natürlich auch eine Abkehr vom Gasimport – egal ob es aus Russland oder den USA kommt. DIE LINKE fordert: »In erneuerbare Energie investieren, Energiekonzerne entmachten«. Statt an diesem Punkt ihrer Rede eine Verbindung zur Klimabewegung zu ziehen und den berechtigten Unmut vieler über den Ausbau der Flüssiggas-Infrastruktur, mit der Forderung nach Vergesellschaftung der Energiekonzerne zu verbinden, macht Wagenknecht Standortpolitik im Interesse der Industrie. Das ist wirklich schlecht.
Heißer Herbst mit den Gewerkschaften, nicht mit der Industrie
Wenn die Linkspartei wirklich einen heißen Herbst organisieren möchte, dann sollte sie nicht dem wagenknechtschen Programm für den deutschen Mittelstand folgen, sondern den Schulterschluss mit Gewerkschaften, Klimabewegung, Mieter:inneninitiativen und Kampagnen wie #IchBinArmutsbetroffen oder #GenugIstGenug üben. Ein Blick nach England zeigt, was eine linke Kampagne erreichen kann. Dort mobilisieren die Gewerkschaften und linke Gruppen seit Wochen unter dem Motto »Enough is Enough« und wollen am ersten Oktober im ganzen Land auf die Straße gehen. Das brauchen wir auch in Deutschland.
Ampel versagt
Die Rosa-Luxemburg-Stifung schreibt zum Entlastungspaket der Ampel: »Laut Deutschlandtrend von Anfang September sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden. Drei Viertel der Befragten stimmten jedoch den äußerst populären Instrumenten eines Gaspreisdeckels, einer (richtigen) Übergewinnsteuer und einer Fortführung des 9-Euro-Tickets zu. Die Ampelkoalition hat hier auf ganzer Linie enttäuscht. Die Verarmung bzw. Absenkung des Lebensstandards für breite Teile der Bevölkerung wird durch Einmalzahlungen, die (unzureichende) Ausweitung des Wohngelds und eine (ebenfalls unzureichende) Inflationsanpassung beim ALG II (Hartz4) abgefedert, aber nicht gestoppt.«
Klassenkampf statt Standortnationalismus!
Die Polemik in der Rede von Sahra Wagenknecht versucht dieses Versagen der Ampel zu besetzen. Aber Wagenknecht setzt am völlig falschen Punkt an. Es ist richtig, den Rücktritt von Habeck zu fordern. Aber statt den »Super-GAU der deutschen Wirtschaft« an die Wand zu malen, sollten Abgeordnete der LINKEN alles tun, um Protesttermine für den heißen Herbst bekannter zu machen. Sie sollten Menschen dazu aufrufen, auf die Straße zu gehen. Klassenkampf statt Standortnationalismus! Für diese Ausrichtung gab es bei der Rede von Wagenknecht keinen Platz. Statt Wagenknecht mit Pappkameraden, wie einer angeblichen Täter-Opfer-Umkehr im Ukraine-Krieg zu kritisieren, sollten Linke ihren Standortnationalismus angreifen.
Preise runter, Löhne hoch
Denn um den heißen Herbst zu organisieren, ist es nicht entscheidend, wie Menschen zu den Sanktionen stehen. Entscheidend ist, den Klassenkampf zu organisieren. Der Standortnationalismus von Wagenknecht steht dem im Weg. Denn auch die kleinen- und mittelständischen Unternehmen werden über höhere Löhne klagen, wie über höhere Energiekosten. Doch höhere Löhne sind der beste Weg, um zu verhindern, dass die Krisenkosten auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden. In diesem Sinne: Preise runter! Löhne hoch!