Alaa al-Aswani: »Der Jakubijan-Bau«, gebundene Ausgabe, Lenos 2007, 384 Seiten, 19,90 Euro
Alaa al-Aswanis erster Roman, „Der Jakubijan-Bau“, hat das ägyptische Regime in Wut versetzt, jedoch die Herzen der ägyptischen Öffentlichkeit erobert. Gehan Shabaan sprach mit dem Bestsellerautor über seinen auch auf deutsch erschienenen Roman.
Gehan Shabaan: Jede Geschichte, in der die ägyptische Gesellschaft als hochgradig gespaltene Klassengesellschaft und korrumpiert durch die Diktatur beschrieben wird, war in der Regel in Ägypten schon immer umstritten. Aber welche besonderen Probleme hat es mit deinem Buch „Der Jakubijan-Bau« gegeben?
Alaa al-Aswani: Ich hatte schon vor diesem Buch viele literarische Werke verfasst, eine Veröffentlichung ist jedoch immer abgelehnt worden. Ich habe seit 1998 versucht, drei meiner Werke herauszubringen, aber der ägyptische Staatsverlag hat alle abgelehnt. Obwohl es in Ägypten keine offizielle Literaturzensur gibt, gab es immer eine diskrete informelle Zensur, die Angst unter den Autoren und Autorinnen verbreitet.
Als ich „Der Jakubijan-Bau« geschrieben hatte, habe ich gar nicht erst versucht, mich damit an den Staatsverlag zu wenden. Ich wollte das Buch zunächst im Libanon veröffentlichen, aber einige Freunde baten mich, dies zu überdenken. Sie fürchteten bei einer Veröffentlichung außerhalb Ägyptens, dass der Roman gar nicht erst ins Land käme, wenn sich heftige Debatten darüber entwickelten. Das Buch kam dann schließlich im Jahr 2002 beim Merit Verlag in Ägypten heraus. Es erzielte hohe Verkaufszahlen – in zwei oder drei Wochen war die erste Auflage schon vergriffen. Es wurde der meist verkaufte Roman in der arabischen Welt, und seine Beliebtheit war auch ein Schutz. Die Menschen, die es mit Begeisterung lasen, haben so gleichzeitig verhindert, dass es vom Markt ferngehalten wurde.
Was die Meinungsfreiheit betrifft, gibt es in Ägypten eine sehr eigene Situation. Wir dürfen reden, solange wir nicht anfangen, die Ideen auch umzusetzen. Die Menschen im Ausland begreifen das nicht. Entweder sie sehen uns als „echte« Demokratie, oder sie halten Ägypten für eine Diktatur nach dem lateinamerikanischen Muster der 1960er Jahre – wir sind keines von beidem. Wir haben eine verschleierte Diktatur, die uns einen gewissen Freiraum lässt, über alles zu reden, solange wir „untereinander reden«. Insofern besteht wenig Gefahr, dass ein Buch ganz verboten, verhindert oder gar wieder eingezogen wird. Mit dem Kino ist es allerdings eine ganz andere Sache…
Wie hast du dich gefühlt, als du die Filmversion deines Romans zum ersten Mal gesehen hast?
Ich fand sie gut. Ich war bei keinem Drehtermin dabei und hatte das Drehbuch nicht gelesen. Ich dachte einfach: Halte dich raus und lass sie ihre Arbeit tun. Um ehrlich zu sein, die Regisseure des Filmes mussten sich noch viel größere Sorgen wegen der Zensur machen als ich. Folterszenen durch Agenten des Regimes zu zeigen ist wirklich ein ziemlicher Meilenstein in der Geschichte des ägyptischen Kinos. Aber ich finde den Film auch vom technischen und künstlerischen Standpunkt her recht gut gelungen.
Allerdings gab es eine Reihe von Veränderungen, gegen die ich möglicherweise aus politischen Gründen meine Probleme gehabt hätte. Vielleicht war das aber wiederum nur der Versuch, der Zensur zu entgehen, oder es handelt sich einfach um eine andere Bewertung oder Sichtweise des Regisseurs. Ein Beispiel ist die Sequenz, in der der militant-islamistische Jugendliche den Staatssicherheitsbeamten erschießt, der ihn im Gefängnis misshandelt hat. Im Film vermischt sich das Blut der beiden, als der Jugendliche kurz nach dem Tod des Beamten ebenfalls erschossen wird. So wird nahe gelegt, dass sie beide Opfer seien. Ich hätte da widersprochen. Ich glaube nicht, dass ein Folterer je ein Opfer sein kann. Tatsächlich kenne ich eine Reihe Leute, die Posten in der Polizei oder der Staatssicherheit abgelehnt haben, gerade weil sie nie in die Lage kommen wollten, solchen Grausamkeiten beiwohnen oder sie sogar verüben zu müssen. Daher bin ich mit den Produzenten, was diese Szene angeht, geteilter Meinung. Aber, wie gesagt, vielleicht war das ihr Versuch, der Zensur zu entgehen, oder es war einfach ein anderer Ansatz.
Aber ohne die großen Namen von Drehbuchautor, Regisseur und Schauspielern wäre der Film vielleicht gar nicht herausgekommen. Die Regierung war jedenfalls sehr unzufrieden mit dem Ergebnis.
Das Buch beschreibt die Motivationen islamischer Aktivisten auf sehr einfühlsame Weise. Was hast du dir gedacht, als du diese Figuren schufst?
Ich gehöre zu einer Generation, die das Dahinsiechen der sozialistischen Linken in den Universitäten und das Anwachsen des Islamismus an ihrer Stelle erlebt hat. Bereits in meinem zweiten Jahr an der Uni erlebte ich das Zusammenprallen beider politischen Strömungen. Ich habe monatelang für Publikationen geschrieben, die von Linken und Islamisten gemeinsam herausgegeben wurden, bis mit der Zeit die Ideen der Letzteren immer größere Verbreitung fanden und ich in diesen Institutionen keinen Platz mehr für mich sah.
In dieser Zeit habe ich auch gelernt, dass Menschen nicht als Extremisten oder Terroristen geboren werden. Sie werden dazu gedrängt. Eine andere wichtige Erkenntnis, die ich durch meine politische Erfahrung an der Uni, aber noch mehr als Arzt gewonnen habe, lautet, dass du keine Symptome behandeln kannst, sondern nur die Krankheit. Du kannst eine Person nicht gegen Fieber behandeln, ohne zu wissen, ob die Ursache dafür ein Hirnschaden oder eine gewöhnliche Erkältung ist. Zunächst muss die Diagnose gestellt werden und dann die Ursache behandelt werden. Dasselbe gilt für die Politik, insbesondere in der arabischen Welt. Solange die Tyrannei nicht konfrontiert und angegangen wird, wird es immer Armut, Korruption und Ungerechtigkeit, und den Extremismus geben. Die Menschen müssen sich in einer Gesellschaft sicher fühlen. Ihre Rechte müssen geschützt werden und Gerechtigkeit muss herrschen. Andernfalls werden sie immer auf solche Mittel zurückgreifen, um sich selbst zu schützen.
Die sympathische Darstellung von Schwulen in deinem Buch rief einen Sturm der Kritik von verschiedenen Ecken hervor. Wie beurteilst du die Debatte, die du mit deinem Buch ausgelöst hast?
Homosexualität ist in der arabischen Literatur an sich ein sehr beliebtes Thema. Al-Dschahis, ein irakischer Schriftsteller, dessen Werke zu den Grundpfeilern der arabischen Literatur im 8. Jahrhundert gehören, hat sich in seinen Schriften eingehend mit Homosexualität beschäftigt. In der Literatur begründen wir keine neuen Traditionen. Ich war nicht der Erste, der sich wohlwollend mit Homosexualität auseinandergesetzt hat, noch habe ich es auf eine Weise getan, die der arabischen Volksliteratur neu oder fremd gewesen wäre. Genau genommen war das Thema nicht einmal im ägyptischen Kino wirklich neu.
Es war zuvor von Regisseuren wie Youssef Chahine und Inas El Degheidy aufgegriffen worden, hat aber niemals so viel Ärger verursacht wie diesmal. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass das Regime dieses spezielle Thema nur als Vorwand genutzt hat, um den Film anzugreifen. Schließlich haben wir es mit einer Regierung zu tun, die an allem gescheitert ist – außer der Irreführung der Bevölkerung durch Propaganda, was sie Medien nennen, und der Unterdrückung, die sie Sicherheit nennen. In diesen beiden Bereichen haben sie die meiste Erfahrung. Während der Film Licht auf Folter und Korruption wirft, auf eine Realität also, mit der wir heute leben, hat das Regime versucht, die Aufmerksamkeit auf das angeblich unmoralische Thema Homosexualität abzulenken.
In einigen Bereichen der literarischen Welt wird politisches Engagement von Autoren kritisiert. Was sagst du dazu?
Ich sehe das als Flucht vor der eigenen Verantwortung als Bürger. Bei Kunst geht es um Loyalität und Zugehörigkeit – Kunst verändert die Menschheit, da sie ein Teil von ihr ist. Sie verteidigt Minderheiten und spricht für die, deren Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Zunächst bis du Bürger, dann erst Schriftsteller, und deine Loyalität sollte deinem Volk gehören. In den letzten fünfzehn Jahre habe ich als freier Autor für alle ägyptischen Oppositionszeitungen geschrieben. Wäre ich jetzt nicht Romanschriftsteller hätte ich weiter für diese Zeitschriften gearbeitet.
Meine Rolle oder Pflicht als Bürger dieses Landes besteht darin, alles zu tun, was in meiner Macht liegt oder wozu ich fähig bin, um zu einer Verbesserung der Lage beizutragen, um das Regime nach Möglichkeit zur Verantwortung zu ziehen. Nur weil ich Schriftsteller bin, befreit mich das doch nicht von dieser Verantwortung. Im Gegenteil, ich bin privilegiert und sollte das nutzen. Ich darf nicht nur an mich selbst, sondern sollte auch an andere denken, und überlegen, wie ich dieses Privileg einsetzen kann, um meiner Umwelt zu nutzen.
Jeder kann Aktivist sein, aber ein Schriftsteller oder Künstler hat eine etwas edlere Aufgabe. Ich sage nicht, dass Sänger über ihre politischen Ideen singen sollten. Bei der Kunst geht es im Gegenteil darum, eine tiefere, menschlichere Veränderung zu bewirken als die Politik. Ich kenne eine Reihe von Künstlern, darunter große Namen, die privat das Regime gerne scharf angreifen. Wenn sie aber im Fernsehen auftreten oder in der Öffentlichkeit, verschweigen sie ihren Ansichten. Bei der Literatur geht es nicht um Chemie und Gleichungen – es geht um das Dasein und Gefühle. Wenn mich etwas stark und leidenschaftlich beschäftigt, wenn ich gegenüber meiner Umwelt empfindsam bin, wird sich das in meiner Kunst zeigen. Ich fühle mich befreit. Wenn wir uns nicht an diese Regel halten und für sie kämpfen, sind wir zerstört. Wir werden korrumpiert und beschmutzt. Das betrifft nicht nur die persönliche Ebene, sondern auch unsere Kunst.
Zur Person:
Ala al-Aswani ist Zahnarzt und ein bekannter ägyptischer Schriftsteller. Im Jahre 2002 veröffentlichte er den Roman „Imarat Ya‘qubian“ („Der Jakubijân-Bau“), der schnell zum Bestseller in der arabischen Welt wurde. Im Jahre 2005 wurde der Roman verfilmt. Es war die bisher teuerste ägyptische Filmproduktion.
Schlagwörter: Bücher, Kultur