Die »Sozialistische Tendenz« in der Russischen Föderation berichtet und analysiert die Straßenproteste nach der Verhaftung Nawalnys
Ende Januar kam es zu großen Protestdemonstrationen in allen Hauptstädten Russlands. Sie weckten auch im Ausland reges Interesse.
Die Proteste nahmen die Gestalt nicht genehmigter Kundgebungen und Märsche an. Weil sie große Menschenmengen in die Innenstädte zogen, erhielten sie von den Behörden keine Genehmigung.
Erschwerend wirkten sich die Auflagen wegen der Covid-Pandemie aus.
Polizei und Truppen der Nationalgarde versuchten, die Proteste zu unterdrücken und aufzulösen. In fast allen Fällen setzten sie offene und brutale Gewalt gegen die Protestierenden ein.
In Sankt Petersburg setzte die Staatsgewalt Elektroschocker gegen am Boden liegende Bürger:innen ein.
Ein Beamter zog sogar seine Pistole, als Protestierende versuchten, Sicherheitskräfte vom Platz zu drängen.
Russische Polizei mit Schlagstöcken
In Moskau verprügelten Polizei und die Russische Nationalgarde Protestierende mit Gummiknüppeln und Schlagstöcken – und auch mit Händen und Füßen. Im ganzen Land wurden während der zwei Wochen Proteste bis zu 10.000 Menschen festgenommen.
Die Januarproteste dieses Jahres unterschieden sich in dreifacher Hinsicht von ähnlichen Protesten auf dem Bolotnaja-Platz im Jahr 2011/12 und weiteren Protesten in den Jahren 2017, 2018 und 2019.
In früheren Jahren hatten sie ihre Basis in Vertretern der gebildeten Schichten und des Kleinbürgertums.
Dieses Jahr gingen ganz unterschiedliche Gesellschaftsschichten und Altersgruppen auf die Straße.
Das weist auf wachsende Spannungen und Sorgen in der Gesellschaft als Ganzes hin. Im Gegensatz zu früheren Jahren wurde das ganze Land erfasst, sogar Gegenden weit entfernt von den zwei Hauptstädten und anderen Großstädten wie Nischni Nowgorod, Kasan und Nowosibirsk.
Die beiden Hauptstädte bleiben natürlich der Ort, an dem sich letztlich alles entscheiden wird. Aber die geographische Bandbreite deutet möglicherweise darauf hin, dass die Regionen es müde sind, immer nach ihnen zu schauen.
Protestierende radikalisierten sich
Die Protestierenden radikalisierten sich und begannen, die Sicherheitskräfte zurückzudrängen.
Am 23. Januar waren die sozialen Medien mit Videos überflutet, auf denen man sehen konnte, wie Menschen die Polizei mit Schneebällen bewarfen und Festgenommene aus dem Griff der Vollzugsbeamten befreiten.
Das meist geteilte Video zeigte einen Einwohner der Tschetschenischen Republik, Said-Muhammad Dschumajew, wie er eigenhändig mehrere Bereitschaftspolizisten gleichzeitig bekämpfte.
Dieser Trend legt den Schluss nah, dass die Menschen lernen, dem Regime zu widerstehen. Und dass sie bereit sind, bis zum Äußersten zu gehen, während die liberalen Anführer der Proteste sie dazu auffordern, friedlich zu protestieren und wieder nach Hause zu gehen.
Ein weiteres interessantes Phänomen ist, dass linke Bewegungen, auch unsere eigene, die Sozialistische Tendenz, darin übereinkamen, uns an den Protesten zu beteiligen, um dort zu agitieren.
Diese linken Bewegungen haben versucht, in diese Proteste einzugreifen, und Videos der Aktionen sind nach wie vor sehr beliebt auf den sozialen Medien.
Nawalny als Katalysator
Nawalnys Urteil wurde am 2. Februar verkündet. Die Protestwelle entfachte sich formell um seine Person.
Er wurde zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt.
Unmittelbar nach der Urteilsverkündung versammelten sich Menschen wiedermal in Moskau und Sankt Petersburg, um ihre Ablehnung des Urteils zu demonstrieren.
Obwohl die Protestwelle mittlerweile schon abgeebbt ist, wird es immer offensichtlicher, dass sich das Regime nur mit letzter Kraft halten kann.
Die gegenwärtige Regierung besteht weiter nur dank der Treue ihrer Machtstrukturen.
Sie ist nicht mehr in der Lage, die große Mehrheit der Bevölkerung ideologisch zu beeinflussen.
Zuerst erschienen auf www.socialistworker.co.uk.
Aus dem Englischen von David Paenson.
Schlagwörter: Nawalny, Proteste, Putin, Russland