Während am 31. Mai 2017 in der afghanischen Hauptstadt Kabul die Gewalt im verheerendsten Anschlag seit jahren gipfelt, verhaften Polizisten in Nürnberg einen jungen Berufsschüler zur Abschiebung. Auch hierbei kommt es zu Gewalt gegen Menschen, die gegen die Ausweisung protestieren. Das Ziel der Abschiebung ist Afghanistan, welches von der Bundesregierung unbeirrt als sicher eingestuft wird. Abschiebungen aus dem Klassenraum heraus sind keine Sonderfälle und stellen lediglich die Spitze des Eisbergs dar. Von Jan Kallen
Die MitschülerInnen von Asef N., einem 20 jährigen Afghanen, der vor vier Jahren als ‘illegaler‘ Flüchtling nach Deutschland gekommen war, können es nicht fassen, als Beamten der bayerischen Polizei am Vormittag des 31. Mai in den Unterrichtsraum kommen um Asef fest zu nehmen. Als klar wird, dass ihr Mitschüler nur wenige Stunden später vom Frankfurter Flughafen aus abgeschoben werden soll, greifen sie couragiert in das Geschehen ein.
Sitzblockade gegen Schulabschiebung
Die SchülerInnen-Vertretung organisiert eilig eine Sitzblockade vor dem Streifenwagen, in dem sich der junge Afghane befindet. Die Protestierenden verbreiten die Nachricht über das Geschehen zugleich über soziale Medien wie Facebook und Twitter und schaffen es den aktiven Widerstand vor Ort auf etwa 300 solidarische Abschiebegegnerinnen und -gegner anwachsen zu lassen.
Der Leiter des Berufskollegs würdigt indes die “hohe Courage” der protestierenden Menschen. Die Abschiebepraxis der Behörden zerstöre die an Schulen geleistete Integrationsarbeit. Weiterhin erklärt er, Schulen müssen ein Schutzraum sein. Abschiebe-Festnahmen im Klassenraum dürften nicht vorkommen. Diese Kritik wird ebenfalls von der Gewerkschaft für Lehrkräfte GEW geäußert.
Da der zivile Ungehorsam der Protestierenden eine Abfahrt des Streifenwagens für knappe drei Stunden verhindern kann, entschliessen sich die Beamten Asef N. in Handschellen zu einem anderen Fahrzeug zu führen. Hierbei wird dieser über den Boden gezogen und zieht sich Schürfungen an den Beinen, am Brustkorb und im Gesicht zu. Gleichzeitig eskaliert die Situation zwischen der Polizei und den Protestierenden, die unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray zurückgedrängt werden. Videoaufnahmen dieser Szenen sorgten im Nachgang für breit getragene Empörung am gewaltsamen Vorgehen der Beamten. Obgleich ein Abtransport des geflohenen Schülers letztendlich nicht aufgehalten werden kann, dauern die Proteste in Nürnberg noch bis zum frühen Abend an. Der Flug nach Kabul war wegen des dortigen Anschlages am selben Tag von der Bundesregierung vorerst abgesagt worden. Einen Abschiebestopp in das unbeirrt als ‘sicher’ bewertete Afghanistan gab es trotz der 90 Todesopfer in Kabul jedoch nicht. Seit Beginn des Jahres sind bereits über 100 Menschen in das verelendete Land ausgewiesen worden. Unter diesen ist bereits ein Todesfall nach der Ankunft dort belegt. Die tatsächliche Anzahl abgeschobener Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern gestorben sind bleibt derweil eine Dunkelziffer.
Einen Tag nach dem brutalen und laut beklagten Einsatz der Abschiebekräfte, erklärt der Sprecher der bayerischen Polizei, Asef N. hätte während seiner Festnahme damit gedroht, als Terrorist zurück nach Deutschland zu kommen, wenn man ihn abschiebe. Zudem sei er im Umgang mit den Behörden unkooperativ gewesen und habe diese zu täuschen Versucht. Zunächst erscheinen derartige Behauptungen äußerst unglaubwürdig, wenn sie nach einem unverhältnismäßig brutalen Polizeieinsatz gegen die berechtigte Empörung hervorgebracht werden. Ferner ist zu beachten, dass es sich am 31. Mai um eine Extremsituation für den 20 jährigen handelte, der stundenlang in einem aufgeheizten PKW inmitten der Tumulte gesessen hatte und sich von bewaffneten Kräften in einen tödlichen Krisenherdt verschleppt sah.
Dies ist in Anbetracht der unfassbaren Rechtslage für afghanische Geflohene jedoch kaum zu verurteilen. Weder Flucht, noch das Bemühen in Sicherheit zu bleiben sind ein Verbrechen. Es ist tragisch, dass es hierfür offenkundig notwendig ist die Institutionen des Rechtsstaates zu täuschen.
Der Beschuldigte äußerte sich inzwischen seber zu den Vorwürfen und gibt an, sich nicht daran erinnern zu können eine Terrordrohung formuliert zu haben. Er gesteht jedoch ein emotional unter starkem Druck gestanden zu haben und entschuldigte sich für den Fall, im Affekt gesprochen zu haben ohne es wahr zu nehmen. Den Vorwurf des Betruges weist Asef N. entschieden zurück.
Entschlossenes Auftreten gegen das menschenverachtende Asylrecht
Einen wichtigen Erfolg konnten die ProtestteilnehmerInnen in Nürnberg dennoch erreichen. Das entschlossene Auftreten gegen das menschenverachtende Asylrecht und seine skandalöse Praxis rückt den Missstand wieder in den Fokus der Debatte und sorgt für intensive Kritik.
Diese wird maßgeblich durch die LINKE in den Parlamenten hervorgebracht und durch antirassistische und asylbefürwortende zivile Demonstrationen auf der Straße, an Schulen und an Flughäfen zu einem gesellschaftlichen Druck auf die Regierung umgesetzt. Dies ist dringend notwendig, da die vorangegangene stetige Verschärfung des Asylrechtes, sowie die irrationale Klassifizierung etlicher verelendeter, gefährlicher Staaten als sichere Herkunftsländer aufzeigt, dass die Zahl der Ausweisungen sogar zu steigen droht. Waren 2015 beispielsweise noch ca. 80% der Asylanträge afghanischer Geflohener angenommen worden, ist die Zahl mittlerweile auf unter 50% gesunken. Ebenfalls werden zunehmend marrokanische, irakische und iranische Geflohene in ihren Asylgesuchen abgewiesen. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Zahl der Abgeschobenen mit 25.000 Personen einen traurigen Rekord erreicht. Neben diesen zählte man 2016 weitere 55.000 ‘freiwillige’ Ausreisen. Wie freiwillig eine Ausreise in eine ungewisse, nicht selten lebensgefährliche Situation sein kann bleibt zweifelhaft. Die Angabe, besagte Länder seien keine lebensgefährlichen Gebiete ist zynisch und kaum zu vermitteln. Schon am 01. Juni, wurde erneut eine 14 jährige Gymnasiastin aus Duisburg während der Schulzeit festgesetzt und mit ihrer Familie nach Nepal ausgeflogen. Das Mädchen war in deutschland geboren worden. Es handelt sich hierbei nicht um einzelfälle, sondern lediglich um die sichtbare Spitze des Eisberges desaströser Menschenrechtsverletzungen durch die deutsche Politik.
Recht auf gutes Leben kennt keine Grenzen
Wichtig ist, dies zu benennen und entschlossen für die Aufnahme aller Geflohenen zu kämpfen. Die Kritik an den Abschiebeverbrechen ist entsprechend nicht nur mit Blick auf Afghanistan, oder Festnahmen in Schulen notwendig: Gewalt und Elend entsteht überall, wo Armut, Hunger und Repression herrschen. Wird dies übersehen und nur einigen Menschen aus eigens ausgewählten Kriegsgebieten Asyl gewährt, brodeln die Krisenherde weiter, bis sie Europa erreichen werden. Das Recht auf ein gutes Leben darf niemals an bestimmte Geburtsorte oder Staatsbürgerschaften gebunden werden.
Nach wie vor gilt also der Ausruf Karl Liebknechts von 1907: »Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!«
Foto: Rasande Tyskar
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