Die meisten werden es verfolgt haben, dass die einstige Kochstraße in Berlin-Kreuzberg seit Ende April in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt ist. Die Tageszeitung taz hatte die Idee dazu. Es war eine Werbeidee: den schräg gegenüberliegenden Springer Verlag schockieren, in die Medienöffentlichkeit kommen, das eigene Blatt promoten, mehr Abonnenten kriegen. Keinesfalls war es eine ernst gemeinte Reminiszenz an einen Revolutionär von 1968, an eine Bewegung, die die kapitalnahen Medien aufs Korn nahm und insgesamt die Welt verändern wollte – so wie einst die taz-Gründerinnen und -Gründer.
Natürlich gab es sofort Widerstand von Springer und der Bezirks-CDU, als die rot-grüne Mehrheit im Bezirk die Umbenennung durchwinkte. Eine Kampagne war notwendig und sie wurde von unten getragen. Am Ende scheiterten Springer und die rechten Parteien an einem Bürgerentscheid und vor sämtlichen Gerichten.
Nun stößt die Rudi-Dutschke-Straße also sehr symbolisch an die Axel-Springer-Straße.
An dem Tag, als die neuen Straßenschilder aufgehängt wurden, pilgerten Berliner Linke und Neugierige zu der kahlen und leblosen Straßenecke, an der der Springerglaspalast steht, um den Schilderwechsel politisch zu begleiten. Es war ein kleiner Sieg für unsere Seite.
Seitdem ist ein Guerillakampf "von oben" ausgebrochen. Die einst gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GSW, Anlieger der jetzigen Dutschkestraße und verscherbelt an eine "Heuschrecke", hat ihren Seiteneingang an der Charlottenstraße zur offiziellen Adresse erklärt. An einem Galerien- und Bürohaus direkt gegenüber dem taz-Gebäude prangt neuerdings in kupferpatinierten Stahllettern: "Kochstr. 60 seit 1734". Demnächst werden sie noch angestrahlt sein, die Handwerker arbeiten daran. Selbst ein kleiner Friseurladen an der Straßenecke verlegte seine offizielle Adresse auf eine Seitenstraße.
Während uns Straßennamen von reaktionären Politikern und Militärs, von Kolonialisten und selbst Nazis zugemutet werden, zeigt die herrschende Klasse, wie empfindlich sie sein kann, wenn es um unsere Geschichte sozialistischer Politik geht. Wer die letzte Schlacht gewinnen wird, werden wir sehen.
Rosemarie Nünning, Berlin