Die Journalistin Sophia Boddenberg beschreibt in ihrem Buch »Revolte in Chile« den Aufstand 2019 wie auch seine Ursachen und Folgen. Jan Maas hat es gelesen
Ende 2019 löste eine Fahrpreiserhöhung in Chile einen wochenlangen Aufstand aus. Auf dem Höhepunkt der Proteste waren Millionen von Menschen daran beteiligt. Sie stellten die wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung des Landes komplett in Frage.
Das vorläufige Ergebnis war ein politischer Prozess, der zu einer neuen Verfassung führen soll. Mehr als drei Viertel sprachen sich im Oktober 2020 für eine verfassunggebende Versammlung aus, deren Mitglieder im April 2021 direkt gewählt werden sollen.
Doppelrolle der Autorin
Die erste Etappe der »Revolte in Chile« vom Aufstand bis zur Abstimmung über die verfassunggebende Versammlung stellt Sophia Boddenberg in ihrem Ende letzten Jahres erschienenen gleichnamigen Buch dar. Die Autorin lebt und arbeitet seit 2014 als Journalistin in Chile.
An den Protesten beteiligte sie sich nicht nur als Korrespondentin, sondern auch als Aktivistin. In ihrem Buch gelingt es ihr, diese Doppelrolle in spannende und vielfältige Erzählperspektiven umzumünzen.
Chile als Testgelände
Szenen von den Protesten nehmen die Leserschaft mit auf die Straße. Dazu kommen Zitate aus Interviews, die Boddenberg im Laufe ihrer Berichterstattung mit Aktivistinnen und Aktivisten geführt hat. Sie ergänzt diese Einblicke um Kapitel, die das Land aus der Vogelperspektive zeigen.
Die Autorin geht zurück bis zum 1970 gewählten Reformer Salvador Allende. Der Putsch gegen ihn 1973 machte Chile zum Testgelände für den Neoliberalismus, der bald Regierungen auf der ganzen Welt beeinflusste.
Unbedingt lesenswert
Sophia Boddenberg zeigt, dass das Ende der Militärdiktatur vor 30 Jahren die neoliberale Ordnung unangetastet ließ, so dass die soziale Ungleichheit bis heute weiter wächst. Zugleich gibt sie den schon vor 2019 entstandenen Protestbewegungen etwa für die Rechte von Frauen und Indigenen Raum.
So erscheint der Aufstand kaum mehr überraschend, sondern fast zwangsläufig. Viel besser kann man Ursachen und Dynamik einer Revolte nicht vermitteln. Unbedingt lesenswert.
Sophia Boddenberg
Revolte in Chile. Aufbruch im Musterland des Neoliberalismus
Unrast Verlag
Münster
2020
144 Seiten
14 Euro (Softcover)
Schlagwörter: Bücher, Chile, Kultur, Lateinamerika