Mit der »Mitte« der Gesellschaft gegen die Faschist:innen der AfD? Kann das gut gehen? Volkhard Mosler warnt vor einem Revival der Sozialfaschismusthese
Die AfD hat sich innerhalb eines Jahrzehnts von einer national-konservativen in eine im Kern faschistische Partei entwickelt. Sie verfügt über ein beträchtliches Netzwerk aktiver Mitglieder. Zumindest in Ostdeutschland ist sie in der Lage – gestützt auf diverse »Vorfeldorganisationen« – Massen zu mobilisieren.
Aber noch verfügt sie nicht über eine SA wie die NSDAP vor 1933, also über paramilitärische Truppen, die sie für einen Putsch und Bürgerkrieg braucht, heißt es zur Entwarnung. Doch das ist nur halb richtig, denn die AfD verfügt heute schon über ein Netz ehemaliger oder auch aktiver Polizist:innen und Soldat:innen. Immer wieder gibt es Berichte über Waffenfunde im rechten Umfeld der AfD. Anfang November 2023 verkündete Björn Höcke: »Jetzt sind wir in das Stadium des Vorbürgerkriegs eingetreten.«
AfD plant faschistischen Umsturz
Die AfD hat im Unterschied zu ihren neofaschistischen Vorgängerparteien (NPD, DVU, Republikaner) Masseneinfluss gewonnen und sie bereitet sich unter Björn Höckes (noch inoffizieller) Führung auf einen aus ihrer Sicht unvermeidlichen Bürgerkrieg vor, um die bevorstehende Gesellschaftskrise für den faschistischen Umsturz zu nutzen.
Große Teile der Linken haben den Ernst dieser Bedrohung noch nicht realisiert. Sie fürchten, dass die Massenproteste gegen die AfD den Parteien der bürgerlichen »Mitte« nutzen könnten, weil sie sich nicht zugleich gegen den Rassismus eines Friedrich Merz oder Olaf Scholz mit ihrer restriktiven Asyl- und Flüchtlingspolitik wenden.
So wird etwa in einem Artikel über »Anti-AfD-Demos« im Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ, Position 02-24) über die Demonstrationen festgestellt, dass sie »die größten seit langem« waren. Über eine Massendemonstration mit 30.000 Personen in Bochum heißt es dann: »Der Großteil der Demo bestand jedoch aus Personen der bürgerlichen Mitte, sodass kein Funken Antimonopolismus und dafür viel bürgerlicher Antifaschismus propagiert wurde.«
Revival der Sozialfaschismusthese?
Diese Einschätzung ist grundsätzlich richtig: Die Millionen Menschen, die in den ersten beiden Monaten des Jahres gegen die AfD auf die Straße gegangen sind, waren zum großen Teil aus der »Mitte« der Gesellschaft. Nicht die restriktive Asylpolitik der Ampel und nicht einmal die rassistischen Sprüche eines Friedrich Merz haben sie auf die Straße gebracht, sondern die Pläne der AfD zur Deportation von Millionen Menschen migrantischer Herkunft, ganz unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das mag man bedauern und natürlich wünschten wir uns, die Massen würden gegen alle Formen des Rassismus protestieren, auch gegen den Rassismus der »Mitte«, wie er von Friedrich Merz oder Horst Seehofer propagiert wurde. Denn Rassismus ist keine Erfindung der Faschist:innen. Die erste antisemitische Partei in Deutschland wurde 1878 vom Hofprediger des Kaisers gegründet. Der antimuslimische Rassismus wurde in Deutschland vom sozialdemokratischen Berliner Ex-Senator Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller »Deutschland schafft sich ab« (2010) hoffähig gemacht. Hitler hat den bestehenden bürgerlichen Antisemitismus nur zugespitzt und radikalisiert. Und Björn Höcke hat sich bei Sarrazin für dessen Vorarbeit auf dem Feld des antimuslimischen Rassismus bedankt.
Deshalb irrt die SDAJ, wenn sie schreibt, die AfD sei ein »notwendiges Produkt der monopolkapitalistischen Herrschaft, um reaktionäre Politik salonfähig machen zu können.« Tatsächlich verhält es sich genau andersherum: Salonfähig gemacht haben Medien und Politiker:innen der bürgerlichen »Mitte« den Rassismus, Pegida und die AfD haben Sarrazin nur popularisiert und radikalisiert.
Der feine Unterschied
Der Massenprotest von Millionen gegen die AfD richtete sich in der Tat »nur« gegen eine radikalisierte Form von Rassismus. Die SDAJ empört sich – zurecht – darüber, dass Scholz, Merz, Baerbock und Co. Heuchler:innen sind, wenn sie im Bundestag ein Gesetz verabschieden, das Abschiebungen erleichtert, während die AfD »Massenremigration« fordere. Aber es gibt einen Unterschied, der von der SDAJ nicht thematisiert wird. Der Antisemitismus eines Adolf Hitler und seiner NSDAP war nicht taktischer Art, er war grundsätzlich und er richtete sich zunächst auf die »Entfernung« der Juden aus Deutschland und Europa und dann auf ihre Vernichtung. Der Antisemitismus der national-konervativen Parteien der Weimarer Republik richtete sich hingegen »nur« gegen den Zustrom von Ostjuden, bzw. für die Ausweisung von »illegal« zugewanderten Ostjuden. Ähnlich verhält es sich, wenn heute Olaf Scholz Abschiebungen von Geflüchteten »im großen Stil« fordert, während die Faschist:innen der AfD gar Millionen Menschen auf rassistischer Grundlage aus Deutschland vertreiben wollen.
Der Kapitalismus hat in seiner aktuellen Krise das Potential, erneut die Barbarei des Faschismus zu produzieren und deshalb gehört er unbedingt abgeschafft.
Höcke erklärte, dass »wenn wir an der Macht sind« ganz Europa (»bis zum Bosporus«) vom Islam befreit werden solle. Die Umsetzung der »Remigrationspläne« der AfD träfe auf massiven Widerstand großer Teile der Bevölkerung, das haben die Massendemonstrationen zu Jahresbeginn gezeigt. Das weiß Höcke natürlich auch und baut deshalb eine faschistische Massenpartei auf, deren Aufgabe es ist, den politischen Rahmen einer parlamentarischen Demokratie früher oder später zu zerschlagen.
Ursache und Symptom
Andere Stimmen aus der Linken argumentieren ähnlich wie die SDAJ, wenn sie in der AfD nur ein Symptom sehen, dessen Ursachen sie in der Krise des Kapitalismus und der arbeitnehmerfeindlichen Politik der gegenwärtigen Bundesregierung ausmachen. Das erinnert an die Parole der Studierenden von 1968: »Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muss weg.« Das ist aus einer antikapitalistischen Strategie betrachtet ein richtiger Gedanke. Der Aufschwung der AfD zwischen Mitte 2022 und Anfang 2024 ist tatsächlich auch das Resultat der Enttäuschung über das Versagen der Ampel angesichts hoher Inflationsraten und wachsender Kriegsgefahr in Europa. Eine linke, sozialistische Alternative zur bankrotten Politik der Ampel tut bitter Not. Und ja, der Kapitalismus hat in seiner aktuellen Krise das Potential, erneut die Barbarei des Faschismus zu produzieren und deshalb gehört er unbedingt abgeschafft.
Aber wenn man aus dieser richtigen revolutionären Strategie nicht für die Ebene der Taktik, das heißt den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen angemessene Handlungsmöglichkeiten für den Klassenkampf hier und jetzt aufzeigt, werden solche Gedanken zu hohlen Phrasen. Sie klingen radikal, in der Realität führen sie zur Untätigkeit, zum Warten auf bessere Zeiten. Man müsse die Ursachen (Krisen des Kapitalismus) bekämpfen statt die Symptome (Rassismus, Faschismus). Richtig, aber wie kommen wir diesem Ziel näher? Die SDAJ empfiehlt den Millionen, die in den letzten Monaten gegen die AfD aufgestanden sind, »auch weiterhin auf die Straße gehen!« Aber wofür? Gegen die Ampel!
Sozialfaschismusthese und Machtergreifung
Vor 1933 hat die KPD der SPD vorgeworfen, eine Politik des »Sozialfaschismus« zu vertreten. Die Sozialfaschismusthese hat ein Zusammengehen der gesamten Arbeiterbewegung von SPD, KPD und Gewerkschaften gegen Hitler und seine NSDAP verhindert, indem die SPD und NSDAP auf eine Stufe gestellt wurden. Ähnliche Argumentationsmuster finden wir bei Teilen der radikalen Linken wieder, die die Asylpolitik der SPD und die »Remigrationspläne« der AfD auf eine Stufe stellen, oder – wie die SDAJ – zumindest keinen Unterschied machen.
Derzeit droht in Deutschland (und Europa) ein Rechtsruck. Die Kräfte des Sozialismus befinden sich in der Defensive. Es besteht die große Gefahr, dass die AfD bei den bevorstehenden Wahlen (Europawahl, Kommunalwahlen in ganz Ostdeutschland, Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen) deutlich gestärkt hervorgeht und in Sachsen oder Thüringen sogar die Regierung stellt. Das wäre eine Niederlage für die gesamte Linke und die Arbeiterbewegung.
»Alle zusammen gegen den Faschismus!« mit Ausrufe- und nicht mit Fragezeichen!
Der SDAJ-Artikel zu den »Anti-AfD-Demos« trägt den Untertitel »Alle zusammen gegen den Faschismus?«, also mit Fragezeichen. Der Artikel zu den Anti-AfD-Protesten endet nicht mit einem Aufruf zum gemeinsamen antifaschistischen Kampf, sondern zum Kampf gegen die Ampel. Wir brauchen aber beides, und zwar alles zu seiner Zeit! Die Abrechnung mit der Ampel kommt später, die Arbeiterbewegung ist dafür noch nicht bereit, aber der Kampf gegen die AfD ist jetzt – dank der »bürgerlichen« Massenproteste gegen die AfD – möglich.
AfD-Bundesparteitag in Essen blockieren!
Die große Mehrheit auf den Massendemos gegen die AfD waren Wähler:innen der bürgerlichen »Mitte« sowie Gewerkschaftsmitglieder und Studierende. Sie waren und sind empört über die bekannt gewordenen AfD-Pläne der Massendeportation von Millionen ihrer Mitbürger:innen. Sie fordern zu Recht von dieser Regierung und von diesem sich demokratisch bezeichnenden Staat ein konsequentes Handeln gegen die geplanten und angekündigten Verbrechen eines neuen Faschismus in Deutschland unter der Flagge der AfD. Aber die Erfahrungen unserer Geschichte zeigen, dass der bürgerliche Rechtsstaat und seine Politiker:innen nicht bereit sind, von sich aus und ohne massiven Druck aus der Gesellschaft zu handeln.
Die sozialistische Linke muss sich daher an die Spitze der antifaschistischen Bewegung stellen. Sie muss die Erwartungen der Millionen, die in den vergangenen Monaten in ganz Deutschland gegen Rechts auf die Straße gegangen sind, aufgreifen. Die sozialistische Linke steht vor einer Bewährungsprobe. Der für Essen geplante Bundesparteitag der AfD kann ein historischer Wendepunkt werden, aus dem neue Kräfte wachsen, um zu einem späteren Zeitpunkt die Ampel von links zu bezwingen.
Deshalb rufen wir dazu auf, massenhaft in Essen gegen die AfD und ihre verbrecherischen Deportationspläne zu demonstrieren. Kein Naziparteitag in Essen!
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Faschismus, Inland