Der Staat braucht Geld. In der Krise sinken die Einnahmen und Konzerne flüchten in Steuerparadiese. Eben diese Konzerne muss der Staat in der Krise mit Geld retten und jetzt kostet auch noch die Corona-Pandemie Geld. Staatseinnahmen sinken, Staatsausgaben steigen. Der Staat braucht Kredit. Die Staatsverschuldung steigt. Konservative fordern die Schuldenbremse. Wie sollte die Linke dazu stehen? Von Thomas Walter
Seit der letzten Finanzkrise ab 2007 kaufen die Zentralbanken, auch die Europäische Zentralbank EZB, viele Schuldanleihen der Regierungen auf. Was als vorübergehende Maßnahme gegen eine vorübergehende Krise gedacht war, wurde zur Dauereinrichtung, weil sich kein kräftiger wirtschaftlicher Aufschwung einstellen will.
Aus Sicht konservativer Ideologie ist es jedoch ein Problem, dass die EZB-Kredite erst bei Regierungen und von dort aus erst bei den Konzernen landen. Finanzieren diese Kredite wirklich nur staatliche Investitionen in »Wachstumsbereichen«? Oder womöglich auch soziale Ausgaben? Außerdem nötigen einzelne Kapitalgruppen dem Staat immer größere Finanzhilfen ab, die dann über Schulden finanziert werden. Macht das Schule, gibt es für die Staatsverschuldung kein Halten mehr.
Deshalb sind im bürgerlichen Lager Staatsschulden umstritten. Seit jeher wird versucht hier gesetzliche Schranken einzuziehen. Nach dem zweiten Weltkrieg erlaubte das Grundgesetz nur Schulden, soweit damit staatliche Investitionen finanziert wurden. In den 90er Jahren wurden in der Europäischen Union (EU) mit Maastricht-Kriterien und Stabilitäts- und Wachstumspakt den Mitgliedstaaten Obergrenzen für Staatsschulden vorgegeben. 2011 kam das schärfere »Sixpack«-Vertragspaket dazu. 2009 wurde in Deutschland das Grundgesetz geändert und eine verschärfte Schuldenbremse eingeführt. Inzwischen haben alle Bundesländer in ihren Verfassungen Schuldenbremsen bis auf Berlin, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Thüringen.
Sozialfall Konzern
Doch sobald Konzerne zu Sozialfällen werden, lassen sich Schuldenbremsen sehr wohl umgehen. Sondervermögen, auch »Schattenhaushalte« genannt, zählen samt ihren Schulden statistisch nicht zum Staat. In Deutschland entstand so nach dem Krieg im Rahmen des Marshallplans das bis heute existierende »ERP-Sondervermögen« (ERP = European Recovery Program). Seit damals gibt es auch für die Förderung der Wirtschaft die Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW. Diese hat sich, Stand 2018, zur drittgrößten Bank Deutschlands gemausert. In den 90er Jahren entstanden die Sondervermögen »Deutsche Einheit« und »Erblastentilgungsfonds«, 2008 der »Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung«, 2009 der »Investitions- und Tilgungsfonds« (u.a. zur Finanzierung der Abwrack-Prämie).
Auf der einen Seite also Schuldenbremsen, auf der anderen Sondervermögen und in der EU »Vertragsverletzungen«. Dazu kommen seit der Finanzkrise die Kredite der EZB. Die Konservativen behaupten, die damit finanzierten höheren Staatsausgaben führten zu Inflation. Doch diese blieb lange Zeit aus. Die Staatsausgaben stiegen zwar, doch glich dies nur die wegen der Krise niedrigeren Ausgaben der Privaten aus.
Im Würgegriff der EZB
Falsch ist auch die Behauptung, die EZB würde durch das Aufkaufen staatlicher Schuldpapiere hauptsächlich die südeuropäischen Länder stützen. Tatsächlich musste der italienische Staat zum Beispiel 2020 auf seine Schulden in Höhe von 3,5 Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts Zinsen zahlen, der deutsche Staat aber nur 0,6 Prozent (wegen älterer Schulden. Neue Schulden gibt es für die deutsche Regierung ohne Zinsen).
Zwar war diese Zinslastquote – Zinsen auf staatliche Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – Mitte der 90er Jahre deutlich höher, aber der deutsche Staat erlebte den stärksten Rückgang. Seine Zinslastquote ging von 1995 bis 2020 um 83 Prozent zurück, diejenige des italienischen Staates nur um 69 Prozent. Bei anderen südeuropäischen Ländern wie Portugal, Spanien oder Griechenland sieht es nicht besser aus. Die EZB ist also nicht so freigiebig, wie oft behauptet. Im Gegenteil, sie bürdet südeuropäischen Ländern erhebliche Tributzahlungen auf.
Inflation
Neuerdings werden konservative Stimmen wieder lauter, weil im Zuge der Corona-Krise Lieferengpässe entstanden sind und die Preise inzwischen tatsächlich weltweit steigen. Die Inflation kommt aber nicht von zu viel Nachfrage, sondern von Engpässen im Produktionsbereich. Kritik an der EZB kommt inzwischen auch von den Banken. Die EZB hat ihnen jahrelang geholfen. Doch jetzt glauben sie auf solche Hilfen verzichten zu können. Sie sehen jetzt auf dem Markt für Kredite die EZB als lästigen Konkurrenten.
Auf der anderen Seite haben Linke entdeckt, dass die Regierungen nicht auf private Geldgeber angewiesen sind, sondern direkt von der EZB Geld borgen oder gar auf Dauer erhalten können. Die Linke sollte aber nicht den Fehler machen, Staatsschulden als bequeme Lösung ihrer Probleme zu betrachten. Schulden sind auch aus linker Sicht bedenklich. Mit Schulden kann der Staat einmalig große Ausgaben finanzieren. Neue Ausgaben brauchen neue Schulden. Der Staat muss Schulden zurückzahlen. Es bleibt offen, welche Steuerzahlenden dadurch wie belastet werden.
Außerdem hat die EZB gezeigt, dass sie zwischen Krediten für das Kapital und solchen, die »in falschen Kanälen« landen, unterscheiden kann. Die EZB hat Griechenland mit seiner linken Regierung Kredite verweigert. Andere kapitalfreundlichere EU-Länder bekamen weiterhin Kredit.
Schuldenbremse ist keine Lösung
Die Linke sollte offen dafür kämpfen, dass der Staat soziale Ausgaben solide finanziert. Wenn über Schulden, dann muss er das offen legen. Kritisch sind deshalb die Pläne der Ampelkoalition oder der rot-grün-roten Regierung in Berlin. Sie wollen die Schuldenbremse mit Hilfe von Sondervermögen umgehen. Fraglich ist, ob die Gerichte das erlauben. Das Beispiel Mietendeckel hat gezeigt, dass Gerichte soziale Maßnahmen kippen. Das Land Hessen hat unlängst seine wegen der Pandemie gestiegenen Schulden auf einen »Corona-Fonds« auslagert, doch der hessische Staatsgerichtshof erklärte diesen Fonds für verfassungswidrig.
Wenn in Berlin die Sondervermögen Kredite aufnehmen, sind diese teilweise höher als die Kreditaufnahme direkt durch das Land Berlin. Außerdem privatisiert das Land Berlin landeseigene Gesellschaften, damit sie statistisch nicht mehr »Staat« sind. So mieten private Unternehmen Schulgebäude und die Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE ist jetzt eine private GmbH mit dem Land Berlin als Eigentümer. Doch diese HOWOGE Gmbh verfolgt prompt eigene Profitinteressen. Sie baut Hochhäuser ohne sich darum zu kümmern, wie die Stadt mit dem dadurch erhöhten Verkehrsaufkommen klar kommt.
Schattenhaushalte täuschen über fehlende Bundeszuschüsse hinweg. Statt Schattenhaushalten braucht es Mut, eine wirklich linke Reformpolitik anzustoßen und sich mit den Herrschenden anzulegen. Die Linke sollte die Schuldenbremse nicht umgehen, sondern ablehnen.
Schlagwörter: DIE LINKE Berlin, EU, EZB, Schuldenbremse