Was in der Vergangenheit Jahre des Kampfes erforderte, kann während einer Revolution in Wochen, Tagen oder sogar Stunden erreicht werden. Doch der Sturz einer Regierung erweist sich oft nur als Beginn eines viel größeren Kampfes. Anne Alexander über die Aufstände im Sudan und in Algerien und die Frage, wie der Marxismus zu einem Verständnis der Dynamiken von Aufstandsbewegungen beitragen kann. Von Anne Alexander
Wir treffen uns um 16 Uhr: Revolutionszeit.« Dieser Satz in einem Aufruf der Sudanese Professionals Association auf ihrer Facebook-Seite zu den Massenprotesten am 12. April macht für diejenigen, die die Rolle der Massenbewegung auf eine Fußnote in einer weiteren tristen Abfolge von Militärputschen reduzieren wollen, wahrscheinlich wenig Sinn. Aber für diejenigen, die das atmen, was Rosa Luxemburg »die sinnliche Luft der Revolution« nannte, drückt er etwas Tiefgründiges aus. Sie verstehen, dass sich »Revolutionszeit« von anderen Zeiten unterscheidet.
»Revolutionszeit« ist etwas, das die Hunderttausenden im Herzen der Aufstände in Algerien und im Sudan aus der Geschichte zurückgewonnen haben. Es ist eine berauschend schnelle Zeit; Bewegungen wachsen wie Unkraut im Sommer, Menschen ändern ihre Ideen über Nacht, alte Gewissheiten lösen sich auf. Was in der Vergangenheit Jahre des Kampfes gekostet hat, kann in Wochen, Tagen oder sogar Stunden erreicht werden. Es dauerte vier Monate, bis Omar El Bashir von seinem Amt als Präsident, das er 30 Jahre lang innehatte, verdrängt wurde. Sein Verteidigungsminister, Ahmed Awad Ibn Auf, konnte sich nur 30 Stunden als Leiter der Übergangsbehörde des Militärs halten – aufgrund von Massenprotesten, die die Übergabe der Macht an eine zivile Regierung forderten.
Das Ausmaß dieser Prozesse kann aber auch dazu führen, dass sich die »Revolutionszeit« langsam anfühlt. Das »Ende« des Diktators erwies sich als der Beginn eines viel größeren Kampfes, denn der Prozess setzte sich fort, um diejenigen herauszufordern und aus dem Amt zu entfernen, die vormals unter seiner Diktatur Machtpositionen inne hatten. Wer weiß, wie lange die »Revolutionszeit« dauern wird? Der Zyklus von Revolution und Konterrevolution in Ägypten zwischen 2011 und 2013 betrug nur etwas mehr als zwei Jahre. Die kollektive Handlung von Millionen von Menschen, deren politisches Bewusstsein plötzlich erwacht ist, kann die bestehenden Herrscher in eine tiefe Krise stürzen. Sie werden jedoch immer versuchen, die Zeit zurückzudrehen, um ihre Herrschaft mit allen Mitteln wiederherzustellen. In einem sehr realen Sinne ist daher »Revolutionszeit« immer geborgte Zeit.
Wenn die Zeit knapp ist, was können Revolutionäre tun, um das Beste daraus zu machen? Wann ist es notwendig, für Teiländerungen am System zu kämpfen? Und wann wird die Verwirklichung von Reformen zum Mittel, mit dem der revolutionäre Prozess aufgehalten wird?
»Gegenseitige Aktion«: Vom Ökonomischen zum Politischen und wieder zurück
Luxemburgs klassische Analyse von Massenstreiks im frühen 20. Jahrhundert in Russland bietet den Rahmen für die Analyse, wie sich wirtschaftliche und politische Kämpfe im Sudan und in Algerien heute gegenseitig beeinflussen. Wie Luxemburg feststellte, gibt es zwischen den beiden »verflochtenen Seiten« des revolutionären Prozesses – d.h. zwischen wirtschaftlichen und politischen Kämpfen – »die vollständigste Wechselwirkung« und keine geradlinigen Schritte.
Wo ist diese Dynamik der »Wechselwirkung« des Klassenkampfes verwurzelt? Auf einer sehr grundlegenden Ebene drückt sie das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik im Herzen der kapitalistischen Gesellschaft aus.
Trotzki, der wie Luxemburg an der Revolution von 1905 in Russland teilnahm, schlug seine Theorie der ungleichen und kombinierten Entwicklung vor, um die Besonderheiten der sozialen und wirtschaftlichen Formationen in Russland zu erklären. Er argumentierte, dass sie mehrere »Stufen« der Revolution (eine Revolution, die auf die Errichtung einer kapitalistischen demokratischen Republik anstelle der zaristischen Autokratie abzielte und eine soziale Revolution gegen den Kapitalismus) zu einem nahtlosen Prozess der »permanenten Revolution« bindet.
Die spezifische Dynamik der Wechselwirkung in den algerischen und sudanesischen Aufständen spiegelt vergleichbare Prozesse ungleicher und kombinierter Entwicklung wider. Die ungleiche Entwicklung zeigt sich in der Art und Weise, wie einige Wirtschaftszweige in die globalen und regionalen Märkte integriert sind; sie zieht beispielsweise Investitionen von multinationalen Konzernen wie den europäischen Öl- und Gasunternehmen an.
Dazu gehören etwa die Schaffung einer Fracking-Industrie in der algerischen Sahara oder die Agroexporteure aus dem Golf, die sich an einer massiven Landnahme im fruchtbaren Niltal des Sudans beteiligt haben, während andere Sektoren zurückbleiben. Die Vorteile dieser Investitionen sind natürlich sehr ungleich verteilt und füllen die Taschen lokaler Geschäftsleute und regierungsnaher Armeeoffiziere. Eine Entwicklung, die verschiedene Phasen des Kapitalismus kombiniert (nicht präkapitalistische und kapitalistische soziale Formationen wie in Trotzkis Beispiel), hat eine leicht brennbare Mischung geschaffen.
Diese Prozesse haben zu einer Arbeiterklasse geführt, die ebenfalls ungleichmäßig und kombiniert ist. Arbeiter und Arme sind die Mehrheit und diejenigen, die eine formelle Anstellung haben oder an großen Arbeitsplätzen arbeiten, sind oft die Minderheit. Die Entwicklung der Aufstände und der ihnen vorausgegangenen sozialen Kämpfe in Algerien und im Sudan bestätigen aber, was die Erfahrungen Tunesiens und Ägyptens im Jahr 2011 gezeigt haben: Dass es möglich ist, im kollektiven Handeln eine Einheit zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, zwischen denen, die relativ »privilegiert« sind (sei es in Bezug auf Gehalt, Bildungsniveau und Berufsstand), und denen, die marginalisiert und sozial ausgegrenzt sind, aufzubauen.
Diese Art von Klasseneinigkeit ist möglich und sie ist mächtig. Arbeiter in »alten« Industrien oder in traditionell strategischen Wirtschaftszweigen, wie dem Verkehrswesen und der Kommunikation (Eisenbahnen, öffentliche Busse, Post und Telekommunikation), bringen die Macht der Konzentration – einer Macht durch Masse – mit sich, was echte störende Auswirkungen hat.
Sie können sich auch auf jahrzehntelange Traditionen der Organisation der Arbeiterklasse stützen, die eine symbolische Wirkung über ihren Sektor hinaus haben. Dies war der Fall bei den Streiks beim algerischen Automobilhersteller SNVI genauso wie bei der Beteiligung von Arbeitern in Port Sudan und der Eisenbahner am sudanesischen Aufstand. Unterdessen sind die neuen Gewerkschaften unter der Führung von Lehrern und Ärzten in einem Kampf verwurzelt, unerbittlichem Druck neoliberaler »Reformen« zu widerstehen, die darauf abzielen, neue Märkte und neue Möglichkeiten der Gewinnerzielung innerhalb und neben dem zerfallenden Kadaver des Sozialstaates zu schaffen.
Die Kombination von Kämpfen spiegelt die Gestalt der Wirtschaft und Gesellschaft im Rahmen des »real existierenden Neoliberalismus« wider. Diese hybriden Formen des Alten und Neuen, das Zusammenpfropfen von Elementen aus der staatskapitalistischen und neoliberalen Phase der kapitalistischen Entwicklung mit ihrem widersprüchlichen Druck auf die Konzentration und Fragmentierung der Arbeiterklasse und den ständigen Veränderungen in den Bereichen Arbeit, Selbständigkeit und Arbeitslosigkeit können sich endlos reproduzieren. Doch die revolutionären Wellen der Jahre 2010-13 und 2018-19 zeigen, dass die explosive Qualität des Amalgams, welches die sozialen, politischen und ideologischen Formen der ungleichen und kombinierten Entwicklung darstellt, immer noch verspricht, viel tiefere Veränderungsprozesse freizusetzen.
Revolution, Unterdrückung und Befreiung
Die Dynamik des wechselseitigen Handelns zwischen wirtschaftlichen und politischen Kämpfen in einer sich ausbreitenden revolutionären Krise wirft auch sofort Fragen der Unterdrückung auf. Dieser Punkt war den russischen Revolutionssozialisten im 20. Jahrhundert klar, die sich verpflichteten, den Kampf gegen die organisierte Bigotterie des Zarenstaats, die gegen religiöse Minderheiten (einschließlich Juden und nicht-orthodoxe Christen) vorging, als einen integralen Bestandteil ihres Kampfes um den Aufbau einer revolutionären Organisation zu betrachten. Die heutigen Aufstände in Algerien und im Sudan haben ebenfalls den Charakter von »Festivals der Unterdrückten« angenommen. Frauen sind im Sturm auf die Straße gegangen und Gruppen, die rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt sind, sind zu einem integralen Bestandteil der Massenbewegungen geworden.
Ein konkretes Beispiel ist die triumphale Ankunft von Delegationen aus Darfur beim Massen-Sit-in vor dem Army General Command in Khartum – trotz der langen Geschichte des Regimes, Rassismus gegen Darfuris einzusetzen, um Spaltung und Misstrauen zwischen verschiedenen Teilen der Opposition zu schüren. Bilder der Regenbogenfarben der Amazigh-Flagge, die von streikenden Arbeitern während der Massenproteste in Algerien neben der weiß-rot-grünen Nationalflagge geschwungen wurden, bieten ein weiteres. Der Tod von Kamaleddine Fekhar, einer Menschenrechtsaktivistin, die mehrfach wegen ihrer Kampagne für die Rechte der Minderheit der Mzab inhaftiert worden war, löste am folgenden Freitag eine Welle der Solidarität bei den Massenprotesten aus, wobei Demonstranten im ganzen Land zu ihrem Gedenken Schweigeminuten einlegten und viele die markante weiße Schädelmütze der mosabitischen Gemeinschaft trugen.
Doch weder im Sudan noch in Algerien darf es Anlass zur Selbstzufriedenheit geben. Innerhalb der Massenbewegungen muss gegen Unterdrückung und für die Forderungen unterdrückter Gruppen gegen den Staat gekämpft werden. Algerische feministische Aktivistinnen, die am 29. März einen Block zu den Demonstrationen organisierten und neben den Forderungen der Hirak (Bewegung) als Ganzes auch Forderungen nach Geschlechtergleichstellung erhoben, wurden von einigen Protestteilnehmern schikaniert ;stark frauenfeindliche Bilder wurden in Kommentaren auf ihren Facebook-Seiten veröffentlicht. Unterdessen werden im Sudan – obwohl die Charta der Opposition für die vorgeschlagene Übergangszeit, die Declaration of Freedom and Change, die Stärkung der sudanesischen Frauen fordert – Hindernisse für die uneingeschränkte Beteiligung von Frauen in allen Bereichen des politischen und sozialen Lebens nicht von heute auf morgen verschwinden. Darüber hinaus sind die erzielten Fortschritte in beiden Fällen von einer Vertiefung und Erweiterung der Revolution und insbesondere von der Zersetzung des bestehenden Staates abhängig.
Revolution und Dimensionen der Selbstorganisation
Wie bereits erwähnt, ist es naiv, die Massenmobilisierungen im Sudan und in Algerien als Ausbruch im Vakuum zu bezeichnen. Im Gegenteil, in beiden Fällen gibt es eine Vorgeschichte des Aktivismus, die direkt in die Entwicklung des neuen Zyklus des Protestes eingeflossen ist.
Die Sudanese Professionals Association (SPA), die ihrerseits eine Koalition unabhängiger Gewerkschaften und Berufsverbände ist, hat entscheidend dazu beigetragen, die Proteste zu einer Massenbewegung zu formen, indem sie Forderungen gestellt, Slogans koordiniert und auf die Anwendung bestimmter Taktiken durch ihre Netzwerke von Aktivisten gedrängt hat – wie z.B. koordinierte Streiks Anfang März und der Massen-Sit-in vor dem Armeehauptquartier in Khartum am 6. April oder der zweitägige Generalstreik am 28. und 29. Mai. Die SPA existierte vor dieser Bewegung, aber sie wurde auch durch die Bewegung von unten verändert, so dass ihre Führer eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen mit dem Militär neben etablierten Oppositionsparteien spielen.
Aufstände und Revolutionen sind Labore für radikalere Formen der Selbstorganisation von unten
Wie sehr Massenmobilisierungen eine Organisation erfordern und gleichzeitig mitaufbauen, zeigen die Nachbarschaftskomitees im Sudan, die eine entscheidende Rolle gespielt haben, indem sie immer wieder Hunderttausende auf die Straße gebracht haben. Die »Widerstandskomitees« (lijan al-muqawama) sind eine Organisationsform, die den Aufstand vorwegnahm, sich aber in den letzten Monaten explosionsartig entwickelt hat. Facebook-Seiten für Widerstandskomitees im Sudan zeigen Aktivisten, die politische Treffen auf der Straße abhalten, diskutierend, wie die Revolution weitergehen soll.
Unabhängige Gewerkschaften sind auch in Algerien ein kritischer Bestandteil der Hirak, und ihre Fähigkeit, an den Arbeitsplätzen zu mobilisieren, hat sich als entscheidend für die gesamte Entwicklung des Kampfes erwiesen. Abd al-Aziz Bouteflika zog seine Kandidatur für eine fünfte Amtszeit am zweiten Tag eines fünftägigen Generalstreiks, der zwischen dem 10. und 15. März von Arbeitern in strategischen Sektoren wie dem Öl- und Gasbereich, dem Luftverkehr, den Eisenbahnen und Häfen sowie dem öffentlichen Dienst, der Steuerverwaltung, dem Bildungswesen, dem Gesundheitswesen und dem Kleingewerbe breite Unterstützung fand, zurück. Doch trotz der potenziellen Macht der Arbeiterbewegung in Algerien bleibt ihre eigentliche politische Rolle bisher darauf beschränkt, die Hirak zu unterstützen und nicht zu führen.
Der sudanesische Aufstand hat nicht nur Zehntausenden von Menschen gezeigt, wie Proteste und Streiks organisiert werden, sondern auch Labore für radikalere Formen der Selbstorganisation von unten geschaffen. Das Massen-Sit-in vor dem Armeegeneralkommando in Khartum war das wichtigste davon. Bis zum 3. Juni, als es von Truppen der Rapid Support Forces (RSF) – einer staatlichen Miliz –, auf Befehl des Transitional Military Council (TMC) angegriffen wurde, wurde das Sit-in durch Barrikaden geschützt und von eigenen Sicherheitskomitees und Kontrollpunkten bewacht. Dies ermöglichte die Entstehung eines Raumes, der dazu beitrug, die Bewegung von innen heraus zu festigen: Durch Diskussionen zwischen Aktivisten unterschiedlicher sozialer Herkunft und aus verschiedenen Teilen des Landes. Im Sit-in kümmerte sich eine komplexe Anordnung von »Revolutionskomitees« um alles, von der politischen Bildung über die medizinische und hygienische Versorgung bis hin zur Ernährung der Hunderttausenden, die jeden Abend den Platz überfluteten. Gleichzeitig wurden die Forderungen des Aufstands an die Außenwelt, insbesondere natürlich an die Armeeführung, aber auch an andere Regierungen (einschließlich der USA und EU) und an die internationalen Medien kommuniziert.
Das Gespenst des Militärputsches und der Massaker in Ägypten im Jahr 2013 zieht sich wie ein roter Faden durch die Bewegungen im Sudan und in Algerien, wobei Gesänge gegen die Militärherrschaft und ausdrückliche Forderungen nach einem »Zivilstaat« immer häufiger bei Protesten und Sit-ins auftauchen. Im Falle des Sudans haben die Forces of the Declaration of Freedom and Change, eine Koalition von Oppositionsparteien, zu der auch die SPA gehört, formelle Verhandlungen mit dem TMC über die Frage einer Übertragung der Macht auf Zivilpersonen aufgenommen. Obwohl das Militär bereit war, sich auf einen Plan für die unteren Ebenen der vorgeschlagenen Übergangsregierung zu einigen, erreichten die Gespräche Ende Mai eine Sackgasse wegen des geforderten Gleichgewichts ziviler und militärischer Vertreter an der Spitze. Der TMC bestand darauf, eine Mehrheit zu behalten. Auf die Blockade der Gespräche folgte rasch ein Versuch des TMC, die Revolution durch Gewalt zu beenden: Über 100 Aktivisten wurden innerhalb weniger Tage nach dem 3. Juni von den RSF, weiteren Milizen und anderen Streitkräften bei Angriffen auf Sit-ins und auf der Straße getötet, wobei schreckliche Berichte über Vergewaltigungen und Folterungen von Häftlingen durch sudanesische Organisationen dokumentiert wurden. Der Kampf um den »zivilen« Charakter einer »neuen Republik«, die aus den Aufständen hervorgehen könnte, wirft entscheidende Fragen auf. Können die bestehenden Armee- und Sicherheitsdienste von den Massenbewegungen gezwungen werden, sich ihrer »richtigen« Rolle in der Gesellschaft anzupassen?
Revolution und die Rolle des Staates
Ausgehend von den Arbeiten von Karl Marx und Lenin über den Staat werde ich Argumente vorbringen, warum das, was Marx zur Zeit der Pariser Kommune von 1871 als »bürokratisch-militärische Maschine« bezeichnete, nicht einfach von Revolutionären übernommen und nach ihren Wünschen erneuert werden kann, sondern dass er zerstört werden muss.
Im Gegensatz zu denen, die hofften, dass der Staat durch die Revolution gezähmt und von innen reformiert werden könnte, betonte Lenin, dass der Staat das Produkt der »Unvereinbarkeit von Klassenantagonismen« ist, die die Präsenz von »Sondereinheiten bewaffneter Männer«, die sich vom Rest der Gesellschaft abgrenzen, unerlässlich machen. Der Charakter des Staats als Instrument der Ausbeutung und Unterdrückung, geführt von der herrschenden Klasse, um ihre Macht zu gewährleisten, bedeutet, dass solche Gruppen von bewaffneten Männern doppelte Rollen zu spielen haben. Sie fungieren nicht nur als interne Gendarmen, um mit Gewalt Forderungen von Arbeitern und Armen nach Verteilung von Reichtum und Macht zu unterdrücken. Sondern sie können auch im Wettkampf mit anderen kapitalistischen Staaten um den Zugang zu Ressourcen, Territorien und eingesetzt werden.
Hier sind einige Klarstellungen wichtig. Erstens ist die Präzision des Ausdrucks »Sondereinheiten von bewaffneten Männern« entscheidend. Die Institutionen, von denen wir hier sprechen, gehen über die Armee hinaus und umfassen alle Apparate bewaffneter Männer (und manchmal auch Frauen), die sich von der Gesellschaft als Ganzes absondern und unter dem Kommando einer öffentlichen Macht stehen, die dem Rest der Gesellschaft entfremdet ist (mit anderen Worten: der Staat). Wie wir im Folgenden näher erläutern werden, ist eines der Merkmale von Volksrevolutionen, dass sie die tatsächliche Rolle der Streitkräfte aufzeigen. Normalerweise wird ihre Funktionen der »Verteidigung« gegen externe Bedrohungen hervorgehoben, während sie in Revolutionen die schmutzige Arbeit der internen Repression übernehmen. Zweitens lohnt es sich, Lenins Darstellung der Rolle, die die bewaffneten Männer im Staat und für die herrschende Klasse als Ganzes spielen, zu erweitern, um über ihre institutionellen Verwicklungen und Klassendimensionen nachzudenken. Diese bewaffneten Männer sind nicht nur willfährige Einheiten, die von der herrschenden Klasse im Kampf gegen ihre Feinde eingesetzt werden. Ihre oberen Ebenen sind auf vielfältige Weise in die herrschende Klasse eingebettet: Durch Geschäftsinteressen, durch Familienverbindungen und durch Netze von Patronage und Privilegien.
Der Militär- und Sicherheitsapparat im Sudan und in Algerien hat riesige Mengen des Reichtums des Staates erobert, knappe Ressourcen in seine eigenen Institutionen gelenkt und oft gleichzeitig persönliche Gewinne für die Spitzenkräfte generiert. Im algerischen Fall folgte auf das Ende des Bürgerkriegs 1999 ein riesiger Waffenkauf, der Algerien vom siebenundzwanzigsten größten Waffenimporteur der Welt zum achtgrößten im Jahr 2014 führte. 34 Jahre Krieg im Sudan haben ebenfalls das Budget für Militär und Sicherheit aufgebläht. Als sich die Wirtschaftskrise verschärfte, war El Bashir zunehmend darauf angewiesen, sudanesische Truppen als Söldner zur Verfügung zu stellen, um in regionalen Kriegen zu kämpfen. Der Einsatz von RSF-Truppen im Jemen durch die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Militärintervention brachte der sudanesischen Regierung schätzungsweise 2,5 Milliarden Dollar in den Jahren 2015-16. Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass die Generäle, die für die Führung der sudanesischen Truppen im Jemen verantwortlich sind, Abdel Fattah al-Burhan und Hemedti, auch den TMC leiten. Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich die Dynamik des Imperialismus innerhalb des Nationalstaates auswirkt; und die Militär- und Sicherheitsdienste sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für diesen Druck. Obwohl El Bashir vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird und sein Regime von den USA als »Sponsor des Terrorismus« bezeichnet wird, wurden seine Sicherheitsdienste durch den Khartum-Prozess gestärkt. In diesem kooperieren europäische Staaten, darunter Großbritannien, um die polizeiliche Zusammenarbeit zur Abwehr von Migration zu verbessern. Wie die vielfältigen Rollen der sudanesischen bewaffneten Armeegremien für die herrschenden Klassen des Golfs zeigen, sind es nicht nur die globalen imperialistischen Mächte, die die repressiven Apparate schwächerer Staaten stützen, sondern auch regionale subimperiale Mächte.
Nichts davon ist den revolutionären Aktivisten im Sudan und in Algerien heute neu. In Algerien ist die Kritik an der Armee und dem Département du Renseignement et de la Sécurité (DRS) als das, was Aktivisten raffgierige und kriminelle Oligarchie nennen, in Gesängen und Plakaten bei Demonstrationen zu hören. Im Sudan haben die Führer der Protestbewegung die Frage, wie die Macht der Militär- und Sicherheitskräfte einzudämmen ist, in den Mittelpunkt der Verhandlungen gestellt – in Verhandlungen mit den gleichen Generälen, die diese Organe leiten. Doch wenn Lenin Recht hatte, dass der Dienst der Militär- und Sicherheitskräfte an den alten Regimen keine Verirrung ist, sondern Ausdruck ihrer Rolle als Garanten der Klassenmacht, bleibt die Frage: Können die Aufstände einen „Zivilstaat“ schaffen, ohne auch die herrschende Klasse als Ganzes zu Fall zu bringen?
Reformismus und Revolution: Fausts Abkommen mit dem Teufel
Eine der Paradoxien der Revolution besteht darin, dass sie die Aussicht auf »echte« Reformen in Gesellschaften eröffnet, in denen der Raum für eine schrittweise Verbesserung des Systems praktisch nicht vorhanden war. Sobald die Zwischenziele erreicht sind, verschärft sich die Spannung zwischen denen, für die die Massen so etwas wie eine Bühnenarmee sind, die mobilisiert und dann demobilisiert werden soll, um den Machthabern Zugeständnisse abzutrotzen, und denen, für die die Revolution ein authentischer Prozess der Selbstbefreiung von unten bedeutet. Letztere sind nicht bereit, innerhalb der Grenzen der bestehenden Verfassung, der bestehenden staatlichen Strukturen oder sogar des bestehenden Wirtschaftssystems die revolutionäre Welle zu beenden.
In Algerien wurden die Wahlen von der Frage dominiert, ob das Regime den Druck von unten innerhalb der Grenzen der bestehenden Verfassung eindämmen und letztendlich entschärfen kann, indem es am 4. Juli ein neues Staatsoberhaupt wählt und damit die verfassungsmäßige Voraussetzung einer 90-tägigen Übergangsfrist nach dem Ausscheiden von Bouteflika erfüllt.
Die Fortsetzung der Massenproteste und Streiks zur Ablehnung der Präsidentschaftswahlen hat die Probleme des Regimes verdeutlicht, diesen Weg fortzusetzen. Der Druck von unten drängt sich auch in den oberen Bereich des Staatsapparats: Tausende von Richtern weigern sich, die Wahlen zu überwachen. Am 2. Juni, als sich nur zwei unbekannte Kandidaten zur Wahl aufgestellt haben, kündigte der Verfassungsrat die Absage der Wahlen an. Auch die sudanesischen Oppositionskräfte haben erst nach einer langen Übergangszeit (4 Jahre nach der Declaration of Freedom and Change) Wahlen gefordert, um Zeit zu haben, die Netzwerke der ehemaligen Regierungspartei im gesamten Staat und in der Gesellschaft trocken zu legen. Im Gegensatz zu Algerien ging diese Strategie jedoch einher mit dem Versuch, durch Verhandlungen mit dem TMC neue staatliche Strukturen von oben nach unten zu schaffen. Das bedeutet nicht, dass die SPA und die anderen der Massenbewegung am nächsten stehenden Oppositionskräfte keine Rolle für die Selbsttätigkeit von unten sehen.
So schlug die SPA beispielsweise vor, dass Vertreter lokaler Revolutionskomitees, die eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung von Protesten gespielt haben, ein Drittel der Mitglieder der Übergangsgesetzgebung bilden sollten. Tatsache ist jedoch, dass die Verhandlungsstrategie und der Streit um das Gleichgewicht zwischen ziviler und militärischer Mitgliedschaft in den Institutionen an der Spitze des Staats auf der Idee beruht, dass die alten Generäle von El Bashir (und ihre bewaffneten Männer) durch Dialog gezähmt werden können.
Nach dem brutalen Vorgehen gegen die Bewegung auf den Straßen nach dem 3. Juni werden diejenigen, die auf weitere Verhandlungen mit dem TMC drängen, es schwieriger finden, diese Annahme zu rechtfertigen. Dennoch wird es enormen Druck auf diejenigen geben, die den Aufstand führen, »wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren«, nicht zuletzt von internationalen Akteuren, seien es regionale oder globale Mächte.
Auch hier ist es wichtig zu betonen, dass die Ungleichförmigkeit der »Revolutionszeit« das Bild zusätzlich erschwert. Bei den Arbeitern, den Armen und Unterdrückten kann es in kurzen Zeitabständen gigantische Sprünge im Selbstvertrauen und in der Selbstorganisation geben. Aber nicht jeder kommt mit gleicher Geschwindigkeit zu den gleichen Schlussfolgerungen. Revolutionen sind Prozesse der Selbstbefreiung für die gewöhnlichen Menschen; ihre direkte Erfahrung im Kampf um die Veränderung der Welt ist der beste und schnellste Lehrer. Selbst inmitten von Revolutionen ist es notwendig, nüchtern zu beurteilen, ob die Teilnahme an fehlerhaften Wahlen besser ist als ein Boykott, um Zeit zu gewinnen, um weitere Schichten der Bevölkerung für revolutionäre Ziele zu gewinnen.
Der wirksamste Mechanismus demokratischer Kontrolle ist die Bildung von Räten
Die Erfahrung der revolutionären Welle 2011-13 und die enge Verbindung zwischen den Kräften der Konterrevolution im Sudan und den Regimen in Ägypten und am Golf unterstreicht jedoch, dass – unabhängig von den Wendungen im Drama der Revolution – das Ergebnis reformistischer Strategien wahrscheinlich nicht die Schaffung eines stabilen demokratischen Regimes sein wird. Stattdessen wird es sich eher als eine tragische Version von Fausts Geschäft mit dem Teufel erweisen. Statt Unsterblichkeit, riskieren Verhandlung und Kompromisse mit dem Militär, dass den Kräften der Konterrevolution und Reaktion eine Atempause eingeräumt wird, um sich vor einem verheerenden Gegenangriff neu zu organisieren – einen Gegenangriff, der in einer Orgie der Unterdrückung auf die Zerstörung aller organisierten Opposition abzielt und alle politischen und sozialen Reformen zunichtemacht, die in der Hitze der Revolution erkämpft wurden.
Organisation der Offensive gegen den Staat
Die Aktivisten, die die Massenbewegungen im Sudan und in Algerien aufbauen, wissen, gegen wen sie kämpfen. Die Gewalt des Staats wurde durch die Erfahrung der »Schwarzen Dekade« nach dem Militärputsch von 1992 und den Völkermordkriegen von El Bashir in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Umso bemerkenswerter und hoffnungsvoller ist die Entwicklung von Bewegungen, die gewaltfreie Formen der Massenmobilisierung über diese, von einer bewaffneten Elite festgelegten Strategie stellen. Sie haben bereits Bewegungen in einem Ausmaß aktiviert, das in ihren Gesellschaften seit Generationen nicht mehr zu sehen war. Diese Bewegungen haben eine Dynamik der Wechselwirkung zwischen wirtschaftlichen und politischen Kämpfen zur Erschütterung des Staates ausgelöst. Sie zeigen uns das ganze Potenzial des politischen Generalstreiks: Von Straßenversammlungen und Schülerversammlungen bis hin zu Widerstandskomitees und Massenversammlungen von Streikenden als Werkzeuge zur Veränderung der Welt. Doch wenn die Argumente, die Lenin vorgebracht hat, richtig sind, können sie nicht aufhören, wenn sie gewinnen wollen. Wenn der Staat nicht weiter zerbricht und insbesondere der Zusammenhalt der »Sondereinheiten der bewaffneten Männer« sich aufzulösen beginnt, kann sich der revolutionäre Prozess schnell umkehren. Diese Gefahr ist besonders deutlich im Sudan zu erkennen, nachdem Ende Mai und Anfang Juni sowohl ein revolutionärer Generalstreik am 28. und 29. Mai als auch die erste große konterrevolutionäre Offensive der RSF-Miliz von Hemedti stattgefunden haben.
Es ist von entscheidender Bedeutung, die richtigen Lehren aus dieser Zeit zu ziehen. Im ganzen Land folgten Arbeiter im öffentlichen Dienst, in Banken, Fabriken, Häfen und Flughäfen dem Aufruf zur Teilnahme am Streik. Arbeiter im öffentlichen Dienst widersetzten sich offen einer Drohung von General Hemedti, sie für die Teilnahme zu entlassen – viele brachten Schilder mit der Aufschrift »Komm schon und entlasse mich!« mit. Aus dem Zusammenhalt, der Disziplin und dem Trotz der Streikenden ergibt sich die Vision einer zwischen zwei Anziehungspunkten hin- und hergerissenen Gesellschaft: Der Macht des bestehenden Staates und der organisierten Gegenmacht der großen Volksbewegung, die sich gegen den Staat erhoben hat. Letztere ist noch nicht definiert, und sie muss dringend Formen der Führung und Selbstorganisation schaffen, die in der Lage sind, sich effektiv für eine Offensive gegen den Staat zu organisieren.
Ausgehend von den Erfahrungen der Vergangenheit können wir sagen, dass es zwei Veränderungen im Kräftegleichgewicht auf der revolutionären Seite gibt, die stattfinden müssen. Erstens müssen die Strategie und Taktik für den Generalstreik unter der demokratischen Kontrolle derjenigen Menschen stehen, die handeln – durch die Koordinierung zwischen Delegierten, die streikende Arbeiter und Sektoren vertreten – und dürfen gerade nicht als Faustpfand eingesetzt werden, um die Türen zu Verhandlungen zu öffnen (oder die Hände der Verhandlungsführer zu stärken). Zweitens muss die revolutionäre Bewegung »die Masse des Volkes, seine Mehrheit, die untersten sozialen Gruppen, die von Unterdrückung und Ausbeutung zerquetscht wurden« (wie Lenin es ausdrückte), umfassen, um es ihnen zu ermöglichen, unabhängig aufzustehen und »auf den gesamten Verlauf der Revolution ihre eigenen Forderungen zu stempeln; ihren Versuch, auf ihre Weise eine neue Gesellschaft anstelle der alten Gesellschaft, die zerstört wurde, aufzubauen«.
Der wirksamste Mechanismus zur Gewährleistung einer demokratischen Kontrolle der Strategie und Taktik des Generalstreiks von unten ist die Bildung von Räten. Der springende Punkt von Lenins Argument in Staat und Revolution war, dass diese Form der revolutionären Selbstverwaltung nicht nur die effektivste Waffe zur Zerschlagung des bestehenden Staates ist, sondern auch den Embryo einer anderen Art von »Staat« insgesamt bilden kann. Durch die Schaffung einer direkten Verbindung zur Basis der Streikbewegung durch das Prinzip, die Delegierten der möglichen Abberufung zu unterwerfen, verleihen die Räte Millionen von Streikenden echte Macht über ihre Führung und eine Erfahrung von Selbstorganisation, die schnell in Selbstverwaltung übergehen kann. Die Suche nach einer Organisationsform, die in der Lage ist, Entscheidungen und Handlungen zu kombinieren, ist auch in der Hitze einer revolutionären Krise entscheidend. Ein Rat kann sicherstellen, dass der Strom weiter zum Krankenhaus und zu den Häusern der einfachen Menschen fließt, während er die Lichter im Präsidentenpalast und in der Kaserne ausschaltet, sofern die Elektriker in ihren Reihen vertreten sind. Er kann sicherstellen, dass Brot gebacken wird und der Transport mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln vom Streik ausgenommen ist. Die Räte haben all diese Dinge in der Vergangenheit getan (ohne die Hilfe von Mobiltelefonen oder sozialen Medien zur Kommunikation zwischen den Delegierten und ihren Arbeitsplätzen). Eine der Waffen, die Regime immer dann einsetzen, wenn ihr Machtgriff nachlässt, ist das Schüren von Angst vor Chaos und dem Zusammenbruch der Gesellschaft.
In Zusammenhang mit dem heutigen Sudan ist der letzte Punkt entscheidend. Die Räte im Sudan würden der Erklärung der SPA und der Forces of the Declaration of Freedom and Change, dass die revolutionäre Bewegung eine echte Gegenmacht zum Staat ist, die in der Lage ist, die Gesellschaft ohne die Generäle zu führen, Inhalt verleihen.
Mehr noch, sie würden den Weg zur Schaffung eines ganz anderen Staats weisen: eines Arbeiterstaates, der sich der Verhinderung der Wiederherstellung der kapitalistischen Macht und der Vorbereitung einer sozialistischen Gesellschaft verschrieben hat. Kommen wir auf Marx‘ Punkt über die Pariser Kommune zurück: »Der nächste Versuch der Französischen Revolution wird nicht mehr, wie bisher, darin bestehen, die bürokratisch-militärische Maschine von einer Hand auf die andere zu übertragen, sondern sie zu zerschlagen, und das ist die Voraussetzung für jede echte Volksrevolution auf dem Kontinent«.
Was würde »den Staat zerschlagen« heute im Sudan und in Algerien bedeuten? Das alte Regime ruft das Gespenst der Anarchie hervor, um seinen Machtanspruch geltend zu machen. Doch der Staatsbruch durch einen massenhaften politischen Streik, bei dem die Demokratie eines Rats im Mittelpunkt und an dessen Spitze steht, ersetzt nicht Ordnung durch Chaos, sondern ist die Institutionalisierung einer neuen Art von Ordnung. Im Wesentlichen ist es die Zersplitterung des Staates horizontal, nicht vertikal; ausgehend von den Menschen in den unteren Ebenen der staatlichen Institutionen – also den Menschen, die den Staat funktionsfähig machen –, welche ihre Verbundenheit mit dem Staat freiwillig und demokratisch aufgeben und beginnen, eigene alternative Institutionen zu schmieden. In seinen frühen Phasen würde dieser Prozess mit dem Prozess der »tathir« (Reinigung) staatlicher Institutionen von unten nach oben verwoben sein, da sich Mitarbeiter im öffentlichen Sektor organisieren, um ihre alten Bosse auszuschalten und die Erbringung von Dienstleistungen einer demokratischen Kontrolle von unten zu unterwerfen. In Ägypten spielte der Kampf um Tathir von unten im Jahr 2011 eine entscheidende Rolle bei der Lähmung des Staatsapparates. Sie hat die Generäle und ihre Gefährten monatelang in Scharmützeln festgefahren, die ihre Fähigkeit, die Bewegung auf der Straße anzugreifen, erschütterten. Eine revolutionäre Strategie, die den Kampf um Tathir als eine ihrer grundlegenden Handlungsweisen beinhaltet, hat jedoch nichts mit reformistischen Bemühungen zu tun, den Staat von innen heraus zu erobern – wie es beispielsweise theoretisch im Werk von Nicos Poulantzas skizziert und von Syriza in Griechenland praktisch versucht wurde.
Die Erfahrungen der von der Muslimbruderschaft geführten Regierung in Ägypten unterstreicht auch die Sinnlosigkeit, einfach nur ein paar Minister an der Spitze auszutauschen. Der konterrevolutionäre Widerstand aus dem Inneren des Staatsapparates muss von unten und von außen gleichzeitig zerstört werden. Die Voraussetzung für den Erfolg von Tathir ist nicht die Schaffung einer Lücke an der Spitze des Staatsapparates, die durch eine neue Schicht von »besseren« Bürokraten gefüllt werden kann, die mehr in Kontakt mit »dem Volk« steht. Es ist die Entwicklung alternativer Organe der revolutionären Regierung in Form von Arbeiterräten, die den politischen Willen des Volkes am unteren Ende des Staates zum Ausdruck bringen, neben anderen Teilen der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten unter den Ausgebeuteten und Unterdrückten. Schließlich muss sich der Prozess des Staatsbruchs auch auf das Militär selbst erstrecken, indem die Soldaten von ihren Vorgesetzten befreit und sie davon überzeugt werden, sich auf den Straßen und Arbeitsplätzen mit ihren Brüdern und Schwestern auf eine Seite zu stellen. Auch hier ist die Entwicklung der Räte als organisierte Gegenmacht zum bestehenden Staat von entscheidender Bedeutung. Nur die horizontale Frakturierung der »Sondereinheiten der bewaffneten Männer« und das Entstehen revolutionärer Selbstverwaltungsinstitutionen, die die politische Loyalität der Soldaten gewinnen können, werden vor einer Wiederholung des Schicksals der syrischen und libyschen Revolution schützen. In Syrien brachen große Teile der unteren Ebenen ihre Loyalität zum Staat, aber die Unfähigkeit der revolutionären Bewegung, das Herz des Staatsapparats durch Massenstreiks in der Hauptstadt zu lähmen, führte dazu, dass ihr bewaffneter Kampf zu einer Reihe von lokalisierten Revolten wurde und keinen entscheidenden Durchbruch erzielen konnte. In Libyen spaltete sich die Armee vertikal, was aber zusammen mit den verheerenden Auswirkungen der imperialistischen Intervention der NATO die Degeneration der Volksrevolution in einen Bürgerkrieg beschleunigte.
So können wir sehen, dass, wenn Lenin über die Notwendigkeit einer »echten Volksrevolution« spricht, er Marx in gewisser Weise umkehrt: Die wahre Volksrevolution wird auch zu einer Voraussetzung für die Zerschlagung des Staates. Warum? Weil nur eine Volksrevolution in dem Sinne, wie Marx und Lenin sie gemeint haben (d.h. eine mit der organisierten Arbeiterklasse im Herzen), hat sowohl die Massen als auch den demokratischen Organisationsgrad, um den kapitalistischen Staat zu zerbrechen.
Zum Text: Der Text ist eine gekürzte und leicht überarbeitete Version. Er erschien zuerst auf Englisch in der Zeitschrift »International Socialism«
Foto: Hossam el-Hamalawy
Schlagwörter: Algerien, Marxismus, Revolution, Sudan