Vor knapp hundert Jahren durften die ersten Frauen in Großbritannien wählen. Ein Film über ihren mutigen Kampf für das Wahlrecht ist deshalb lange überfällig. »Suffragette« zeigt insbesondere die Unterdrückung von Arbeiterinnen und ist deshalb umso notwendiger. Leider blendet er jedoch auch Wichtiges aus. Von Phil Butland
Maud (Carey Mulligan) arbeitet in einer Wäscherei, die wie eine Fabrik organisiert ist. Sie arbeitet viel mehr Stunden als ihre männlichen Kollegen und bekommt trotzdem einen geringeren Lohn. Auch in ihrem Privatleben kann sie nicht selbst bestimmen. Sie macht die ganze Hausarbeit und wenn ihr Ehemann entscheidet, den gemeinsamen Sohn zur Adoption freizugeben, kann sie nichts dagegen tun.
Auch Frauen aus der Mittelschicht leiden in Großbritannien um das Jahr 1900. Sie dürfen nicht wählen und werden von ihren Ehemännern kontrolliert. Eine Szene des Films »Suffragette« veranschaulicht die Unterdrückung, aber auch die Privilegien solcher Frauen. Nach einer Demonstration für das Frauenwahlrecht werden einige Teilnehmerinnen verhaftet. Der Mann einer Demonstrantin kommt in die Polizeiwache und bezahlt die Kaution, damit sie freikommt. Aber er verbietet seiner Frau, mit ihrem eigenen Geld die Kaution für ihre Mitstreiterinnen zu bezahlen. Sie müssen die Nacht im Gefängnis verbringen, weil ihrer Genossin aus der Mittelschicht nicht erlaubt ist, selbst über ihr Geld zu verfügen.
Hungerstreiks und militante Aktionen
Ständige Verhaftungen von Frauen waren eine Maßnahme des Staats gegen die wachsenden Proteste für das Wahlrecht. Friedliche Demonstrantinnen wurden verprügelt und eingekerkert. Im Gefängnis gingen sie in den Hungerstreik. Sie forderten, als politische Gefangene anerkannt zu werden. Daraufhin wurden sie brutal zwangsernährt.
Außerdem rief der Staat eine besondere Polizeieinheit ins Leben, die einen Krieg gegen »Irische Terroristen und Suffragetten« führen sollte.
Weil friedlicher Protest erfolglos blieb und die staatlichen Vergeltungsmaßnahmen immer schlimmer wurden, griffen die Suffragetten zu militanten Mitteln. Zuerst hatten sie noch versucht, Abgeordnete für ihre Probleme zu interessieren. Die Parlamentarier hörten sie mitfühlend an, taten aber nichts, um die Situation für Frauen zu ändern.
Aus Verzweiflung beginnen die Aktivistinnen damit, Bomben in Briefkästen hochgehen zu lassen und Fensterscheiben mit Steinen einzuwerfen.
Ideologische Schwäche
An dieser Stelle beginnt der Film, zu schwächeln. Historisch korrekt wird erwähnt, dass die Anführerin der Bewegung der Suffragetten, Emmeline Pankhurst (Meryl Streep), mit ihrer Tochter Sylvia gestritten hat. Doch vermittelt »Suffragette« den falschen Eindruck, dass Sylvias Ablehnung militanter Aktionen der Streitpunkt war. Tatsächlich kritisierte Sylvia lediglich terroristische Anschläge, die nur von einer kleinen Gruppe ausgeführt werden konnten. Sylvia trat dagegen für Massenagitation unter Arbeiterinnen ein, besonders in Ostlondon.
Weil der Film im Jahr 1913 endet, sehen wir nicht die Konsequenzen der beiden unterschiedlichen politischen Strategien: Im folgenden Jahr stellten Emmeline Pankhurst und ihre Mitstreiterinnen alle Aktivitäten ein, um den imperialistischen Krieg zu unterstützen. Ihre Zeitung benannten sie in »Britannia« um.
Sylvia führte ihre Agitation fort. Auch ihre Zeitung wurde umbenannt – von »Women‘s Dreadnought« in »Worker‘s Dreadnought«. Im Gegensatz zum Rest ihrer Familie unterstützte Sylvia die Russische Revolution.
Sie verfolgte eine ganz andere Strategie als ihre Mutter, die die Macherinnen dieses Films aber nicht verstehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter über ihre gemeinsamen Klasseninteressen verständigen können.
In einer dramatischen Szene des Films greift Maud ihren sexistischen Vorarbeiter mit einem heißen Bügeleisen an. Ihr Ehemann Sonny ist schockiert und schlägt sich auf die Seite des Vorarbeiters.
Die Darstellung ist legitim – es gab genug Männer wie Sonny, die ihre Frauen so wenig wertgeschätzt haben, dass sie sich eher mit ihrem Chef identifizierten. Sonny hat sich zudem bereits als Patriot geoutet und durchgesetzt, dass ihr Sohn nach dem König George benannt wurde.
Aber die Regisseurin Sarah Gavron hat Maud als einen »zusammengesetzten Charakter« bezeichnet – keine historische Person, aber eine Figur, die die Eigenschaften verschiedener wichtiger Akteurinnen verkörpert. Auch das ist in Ordnung, bedeutet aber, dass auch Sonny so ein »zusammengesetzter« Charakter ist. Kurz gesagt, »Suffragette« geht davon aus, dass Arbeiter sich eher mit ihrem Chef solidarisieren als mit Frauen aus der Arbeiterklasse.
Arbeiter werden durchweg als sexistisch dargestellt. Im ganzen Film gibt es nur einen Mann, der bereit ist, für Frauenrechte zu kämpfen – ein Apotheker, der sein Geschäft geerbt hat. Und selbst er verrät letztendlich seine Frau, weil er glaubt, besser zu wissen, was gut für sie ist.
Was nicht gezeigt wird
Die Realität sah hingegen anders aus. Im Jahr 1913, in dem Film endet, brach die »Große Unruhe« (»The Great Unrest«) aus – eine Massenbewegung, an der sich Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligten. In Betrieben wie der Wäscherei aus dem Film waren Arbeiter gezwungen, sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen gegen die Bosse aufzulehnen. Auch Männer, die für Frauenrechte wenig übrig hatten, kämpften gemeinsam mit ihren Frauen und anderen Genossinnen.
Der Ausbruch des Kriegs ein Jahr später hat der »Großen Unruhe« ein vorzeitiges Ende bereitet. Dennoch wurden wichtige Reformen erkämpft, die auch den Weg für das Frauenwahlrecht ebneten. In anderen Ländern gingen die Bewegungen weiter, nicht zuletzt in Russland, wo (wie der Film im Abspann anerkennt) das Wahlrecht für alle Frauen im Jahr 1917 eingeführt wurde. Im Gegensatz dazu gab es in Großbritannien ab 1918 lediglich das Wahlrecht für vermögende Frauen über dreißig Jahren. Ärmere und jüngere Frauen mussten noch ein Jahrzehnt auf ihr Recht warten.
Solche Diskussionen sind wichtig und es ist »Suffragette« anzurechnen, dass er sie provoziert. Leider ist der Film politisch zu schwach, um mehr Antworten zu geben. Aber ich empfehle euch trotzdem, ihn anzusehen und danach weiter zu diskutieren.
Der Film: Suffragette – Taten statt Worte, Regie: Sarah Gavron, Großbritannien 2015, Concorde Filmverleih, 106 Minuten, ab 4. Februar im Kino.
Schlagwörter: Frauenunterdrückung, Frauenwahlrecht, Großbritannien, Kultur, Sexismus