Der Moskauer Sozialist Ilya Budraitskis hält den russischen Militäreinsatz in Syrien für kein bisschen besser als den US-amerikanischen. Was die wahren Ziele von Präsident Putin sind und warum sie nicht zum Frieden führen, erläutert er im marx21-Gespräch.
Ilya Budraitskis: Der russische Präsident Wladimir Putin schickte seine Kriegsflugzeuge, als Assads Armee von ihren Feinden immer weiter zurückgedrängt wurde. Dadurch bestand für Putin die Gefahr, dass sein Verbündeter Assad jede Chance verliert, künftig an der Macht in Syrien beteiligt zu werden. Die russische Regierung schickt aber schon seit Beginn des Kriegs 2011 in großem Umfang Waffen und Militärberater zu Assads Armee.
Warum ist Assad für Putin so wichtig?
Assad ist im Nahen Osten der einzige Regierungschef, der bedingungslos auf Seiten Putins steht. Seine Armee verteidigt im westsyrischen Tartus den einzigen russischen Militärhafen am Mittelmeer.
Seit wann besteht dieses Bündnis?
Die sowjetische Regierung hat die syrische Armee seit den 1950er Jahren aufgerüstet, als Gegenmacht zu den Regierungen im Nahen Osten, die mit den USA verbündet waren. Das Bündnis verstärkte sich unter der Herrschaft von Baschars Vater Hafis al-Assad, der Syrien von 1971 bis zu seinem Tod 2000 ebenfalls diktatorisch regierte.
Ist das für Putin wirklich einen Krieg wert?
Ja, auch weil die Macht in Syrien für ihn ein Teil seiner Verhandlungsmasse mit der NATO ist. Putin hat die Krim besetzt, Putin-treue Armeen kontrollieren das ukrainische Donezbecken und Assads Armee ist in Syrien weiterhin so stark, dass die anderen Milizen sie nicht besiegen können. Assad zumindest in einem Teil Syriens an der Macht zu halten, erweitert Putins Verhandlungsoptionen in der Ukraine und anderen Regionen.
Wie begründet Putin seine Politik?
Bei seinem letzten Auftritt vor der UNO behauptete Putin, der syrische Bürgerkrieg sei die Folge der NATO-Politik, Revolutionen und Putsche zu unterstützen. Das bezog er auf Syrien, die Ukraine und auf alle Länder, in denen es Aufstände des Arabischen Frühlings gegeben hat. Sich selbst stellt Putin hingegen als Verteidiger rechtmäßiger Staatsmacht dar, der sich den USA widersetzt.
Wozu diese Propaganda?
Putins Kampf um die Macht für Assad in Syrien ist auch ein Kampf für die Veränderung der NATO-Politik. Der russische Präsident will die NATO-Regierungen davon abbringen, in Ländern Krieg zu führen, in denen es Revolutionen oder Aufstände gibt. Sein Ziel ist, die herrschenden Diktaturen zu stabilisieren.
Was halten die Russen von Putins Krieg in Syrien?
Im Gegensatz zur Besetzung der Krim und zum Krieg in der Ukraine, schaffen die Bombardierungen in Syrien keine patriotische Begeisterung unter den Russen. Deshalb reden die staatlichen Medien die russische Kriegsbeteiligung klein und betonen, dass nur aus der Luft gekämpft wird. Gleichzeitig wird den Menschen versichert, dass der Einsatz nicht lange dauert, aber trotzdem einen großen militärischen und diplomatischen Sieg für Russland bringt. Als das Parlament Putin die Erlaubnis gegeben hat, die Armee in Syrien einzusetzen, wurden Debatte und Abstimmung unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten.
Warum macht Putin keine Kriegspropaganda?
Selbst die regierungsnahen Meinungsforschungsinstitute veröffentlichen Umfragen, wonach die meisten Russen nicht verstehen, warum in Syrien Krieg geführt werden muss. Der Militäreinsatz ähnelt zu sehr dem Beginn des sowjetischen Krieges in Afghanistan 1979 bis 89. Dabei wurden etwa 15.000 sowjetische Soldaten getötet und der Krieg ging verloren.
Der außenpolitische Sprecher der LINKE-Fraktion Wolfgang Gehrcke hat gesagt, dass der Konflikt in Syrien nur mit Russland gelöst werden könne.
Putin löst keine Konflikte. Er lässt Städte und Dörfer bombardieren, in denen seine Armee gegnerische Kämpfer vermutet. Die russische Armee kämpft auch nicht gegen die Interessen der US-Regierung. Vielmehr wird die US-Armee ständig informiert, wann und wo die russischen Kriegsflugzeuge angreifen, um keinen Konflikt zu erzeugen.
Putin will zeigen, dass er und Assad so mächtig sind, dass die NATO ihre Macht-Interessen in Syrien berücksichtigen muss. Er zeigt der US-Regierung, dass er zum Krieg in Syrien bereit ist, wenn Assad nicht genug Macht bekommt. Aber zum Frieden trägt das nicht bei.
Was hältst du von der gerade beendeten Syrien-Konferenz in Wien?
Sie ist ein weiterer Beweis für die Ziele der russischen Regierung. Würde sie dafür kämpfen, die menschenverachtende Macht der NATO im Nahen Osten zurückzudrängen, würden die Regierungen Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und der USA keine Konferenz mit ihr abhalten.
Putin will die Mächtigen nicht stürzen. Er will selbst im Kreis der Mächtigen aufgenommen werden und mit entscheiden.
Unterscheiden sich die russischen Bombardierungen von den US-amerikanischen?
Mit all diesen Bombardierungen werden hunderte unschuldige Menschen ermordet. Wenn eine Bombe auf mein Wohnhaus fällt, macht es keinen Unterschied, von welcher Armee sie abgeworfen wurde.
Machen beide Großmächte genau dasselbe?
Beide ermorden Unschuldige und liefern tonnenweise Waffen, die den Krieg vielleicht noch Jahre weitergehen lassen. Ein Unterschied besteht nur in den politischen Zielen.
Welche sind das?
Die US-Regierung will Assad stürzen und eine Regierung einsetzen, die zum Schein mit Wahlen legitimiert ist, und ein Verbündeter wird. Diese Politik ist zwar schon in Afghanistan und Irak gescheitert, aber Obama will es scheinbar nochmal versuchen.
Und Putin …
… will, dass Assad nicht endgültig entmachtet wird. Aber er hat keinen endgültigen Plan, wie der Krieg weitergehen soll, geschweige denn, was danach passiert. Putin will zunächst hauptsächlich seine Kriegsbereitschaft zeigen und dadurch von der NATO ein Mitspracherecht für sich international und für Assad in Syrien erhalten.
Wie steht Putin zum Schicksal der Syrer?
Gar nicht. Sie sind ihm völlig egal. Putin ist es gleichgültig, ob in Syrien 10.000, 100.000 oder 1 Million Menschen ermordet werden. Dass Russland fast keine Flüchtlinge aufnimmt, ist ein weiterer Beweis dafür.
Es gibt gar keine Flüchtlinge in Russland?
Schon, aber die sind fast alle illegal hier, bekommen keinerlei Hilfe und müssen sich verstecken. Die Regierung sagt, EU und USA seien schuld am syrischen Bürgerkrieg, also sollen sie auch alle Flüchtlinge aufnehmen.
Hetzen die russischen Medien auch gegen muslimische Flüchtlinge wie in Deutschland?
Viel schlimmer als in Deutschland. Die russischen Staatsmedien haben behauptet, es gebe eine „muslimische Offensive gegen Europa“ und unter den Flüchtlingen seien eine große Zahl islamistischer Kämpfer, die Anschläge planen. Im größten Fernsehsender wurde gesagt, dass Deutschland Gefahr laufe, seine „christliche Identität“ zu verlieren und „die Selbstliquidierung des Landes“ durchgeführt werde. Deutsche und Franzosen würden islamistische Kämpfer ins Land lassen, weil sie „von den lügnerischen Ideen des Multikulturalismus und Liberalismus vergiftet“ seien. Auch das beweist, dass die russische Politik kein bisschen menschenfreundlich oder friedliebend ist.
Was sagen Linke in Russland zum Krieg in Syrien?
Leider sehr wenig oder das Falsche. Die Regierung begründet ihren Krieg meist damit, dass der IS das absolut böse sei, Russland seine Ausbreitung nicht hinnehmen könne und deshalb Krieg führen müsse. Leider folgen dieser falschen Schlussfolgerung auch viele Liberale und sogar Linke. Sogar viele derjenigen, die in der Ukraine-Frage eine radikale Position gegen Putin eingenommen haben, glauben, dass das Bekämpfen des IS für alle Menschen gut und deshalb auch der russische Krieg gerechtfertigt sei.
Woher kommt diese Fehleinschätzung?
Sie entsteht vor allem, weil viele der Regierung an einem wichtigen Punkt auf den Leim gehen: dass der Krieg kurz sein wird, mit wenigen russischen Opfern und danach die Situation in Syrien deutlich besser ist.
Ich denke hingegen, dass es keine Erfolge geben wird und der Krieg deshalb noch sehr lange dauern könnte. Wenn mehr Leute merken, wie viele Menschen dabei tatsächlich ermordet werden und wie wenig sich durch die russischen Bombardierungen verändert, können wir die Diskussion neu führen und mehr Leute für eine Antikriegsposition gewinnen.
(Die Fragen stellte Anton Thun.)
Foto: The Weekly Bull
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