Interview mit dem griechischen Revolutionär Panos Garganas über die aktuellen Herausforderungen für Linke in Griechenland.1
Der Wahlsieg Syrizas (Koalition der radikalen Linken) in Griechenland hat die radikale Linke weltweit begeistert. Die anstehenden Parlamentswahlen im spanischen Staat noch in diesem Jahr eröffnen die Perspektive einer linken Front gegen Austerität in Europa. Die mit Syrizas Sieg verbundenen Hoffnungen wurden allerdings arg durch die Vereinbarung enttäuscht, die die griechische Regierung unter Alexis Tsipras mit der Eurogruppe (den Finanzministern der Eurozone) am 20. Februar abgeschlossen hat. Denn die Vertragsbedingungen sehen nicht nur keine Reduzierung der Schuldenlast Griechenlands vor, die verhasste Troika (die europäische Zentralbank EZB, die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds IWF), nun unter dem neuen Namen »Institutionen« firmierend, hat nach wie vor die Aufsicht über den Rettungsplan, den Syriza versprochen hatte zu zerreißen.
Die Fortschritte von Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien haben frühere Debatten über die richtige sozialistische Strategie neu belebt. Das Theoriejournal International Socialism nimmt aktiv daran Teil und hat beispielsweise unter Beteiligung von Syrizas Vertreter Stathis Kouvelakis und Alex Callinicos von der britischen Socialist Workers Party ein Forum über die Bedeutung von Syrizas Wahlsieg Anfang des Jahrs in London organisiert.2 Panos Garganas von der griechischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SEK) führt hier diese Debatte fort.
Welchen Stellenwert haben der Wahlsieg Syrizas am 25. Januar und die anschließende Bildung einer Regierung unter der Leitung Syrizas?
Die Ergebnisse dokumentieren zweierlei. Zum einen das Unvermögen der Austeritätspolitik, im Fall Griechenlands die Krise zu lösen, zum anderen den erdrutschartigen Linksruck. Beide Entwicklungen sind natürlich für das Land von enormer Tragweite, strahlen aber auf ganz Europa aus.
Zum ersten Punkt: Während des gesamten Jahrs 2014 ging die damalige Regierung Griechenlands (eine Koalition der wichtigsten Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien, also Neue Demokratie und Pasok, unter Ministerpräsident Antonis Samaris) von der Annahme aus, ein ausreichend großer Haushaltsüberschuss würde die Krise automatisch beenden – er würde die Märkte von der Rückzahlungsfähigkeit Griechenlands überzeugen, die Zinsspreizung3 würde sinken und Griechenland befände sich wieder auf Normalkurs. Dieses Argument war ein Hauptpfeiler der Regierungspropaganda. Er brach dann im Herbst zusammen, als die Finanzmärkte an einem Tag von Panik ergriffen wurden und es zu einer Flucht aus riskanten Platzierungen hin zu sicheren Anlagen kam. In der Folge schossen die Zinsen für griechische Anleihen wieder in die Höhe. Es war für jedermann klar, dass es sich hier um den xten ernsthaften Schwächeanfall binnen fünf Jahren handelte. Dieser Punkt ist von besonderer Bedeutung, denn damit stellt sich die Frage nach einer Alternative, nach einem Ausweg aus diesem sich ständig wiederholenden Zyklus von Austeritätsmaßnahmen, die die Probleme nicht lösen und doch immer wieder wie in einem Teufelskreis von neuem losgetreten wird.
Trotz des Versagens der Austeritätspolitik zog die Samara-Regierung alle Register, um im Amt bleiben zu können. Um die drohenden Parlamentswahlen zu umgehen, versuchte sie, eine Präsidialmehrheit im Parlament zu erreichen (wenn es dem Parlament nicht gelingt, selbst den Staatspräsidenten zu bestimmen, sind dann Parlamentswahlen erforderlich). Mit dem Argument, sie wolle Griechenland vor einem Sieg der Linken retten, unternahm sie allerlei Anstrengungen, um die verschiedenen Parteien zusammenzuscharen – dazu gehörte der Versuch, einzelne Abgeordnete zu bestechen, es wurde auf kleinere Parteien enormer Druck ausgeübt und anderes mehr – aber sie kam damit nicht durch. Der Versuch misslang zum einen deswegen, weil alle Parteien zu der Erkenntnis gelangt waren, dass die Austeritätspolitik in einer Sackgasse steckte, zum anderen, weil sie unter enormem Druck aus der Bevölkerung standen. Die Linksverschiebung war mit den Händen zu greifen und für alle sichtbar. Das war ein wesentlicher Hinderungsgrund für Samaras Versuch, eine Präsidialmehrheit zu erlangen, um die Wahlen zu umgehen.
Als die Wahlen dann stattfanden, kam es zu einem massiven Linksrutsch. Das hatte Griechenland noch nie erlebt, dass die Linke eine Mehrheit, in den Arbeiterbezirken sogar die absolute Mehrheit gewinnt! Der Gesamtstimmenanteil für die linken Parteien lag bei über 50 Prozent. Ein weiteres Zeichen für das Ausmaß der Radikalisierung war, dass die Kommunistische Partei (KKE) in den Arbeiterbezirken mehr Stimmen auf sich vereinen konnte als die faschistische Morgenröte.
Letzteres ist ebenfalls ein Zeichen für die Entwicklung der vorangehenden Periode. Die Goldene Morgenröte betrat die parlamentarische Bühne im Jahr 2012, und was in der Folgezeit bis 2015 passieren würde, war nicht vorbestimmt. Es gab nämlich die reale Gefahr, dass der Schmerz der Austerität die Menschen dazu bewegen könnte, die extreme Rechte zu unterstützen. Dazu kam es nicht, sie bewegten sich nach links, was im Sieg Syrizas zum Ausdruck kommt, aber eben auch in der Tatsache, dass die Goldene Morgenröte in die Schranken gewiesen wurde. Das war das Ergebnis einer anhaltenden Radikalisierungswelle.
Diese Entwicklung ist einmalig. Die zunehmende Radikalisierung zeigte sich bereits in der ersten Phase, von 2010 bis 1012, als es zu einer Welle von Generalstreiks gegen den Rettungsplan und die damit zusammenhängenden Kürzungen kam. Diese Welle ebbte aber auch danach nicht ab. In den folgenden zwei Jahren bis zu den Wahlen radikalisierten sich die Menschen noch weiter. Das bezeugt der Aufschwung der antifaschistischen Bewegung – es kam zu Massenprotesten anlässlich der Ermordung des Rappers Pavlos Fyssas durch die Neonazis im September 2013. Dazu gehört aber auch die Selbstaktivität von Arbeitern, die ihren Widerstand aufrecht erhielten, wie beim griechischen Staatsrundfunk ERT, der im Juni 2013 geschlossen wurde. Die Medienarbeiter reagierten darauf mit Besetzung und Aufrechterhaltung des Betriebs, bis die Aufstandspolizei das Gebäude räumte. Auch danach wurde der Betrieb von anderen Stationen aus aufrechterhalten. Wir haben es also mit einer Kombination von zwei Faktoren zu tun – der Tiefe der Krise und einer massiven Radikalisierungswelle. Das ist die Grundlage, auf der Syriza die Wahlen gewinnen konnte.
Die Radikalisierung erstreckt sich also von 2010 bis heute und findet ihren Niederschlag in den Wahlergebnissen. Das heißt natürlich, dass die Erwartungen an Syriza sehr hoch waren. Jetzt ist Mitte März, sechs Wochen nach der Regierungsbildung. Was hat die Regierung bisher deiner Meinung nach umgesetzt, vor allem in Anbetracht der Vereinbarung mit der Eurogruppe vom 20. Februar?
Nun, konzentrieren wir uns zunächst auf die Frage der Erwartungen. Die Wahlergebnisse haben diese Erwartungen noch hochgeschraubt. Wegen des enormen Widerstands der vorangehenden Regierung waren viele Menschen unsicher, ob die Linke die Wahlen gewinnt. Aber nach dem Wahldebakel der alten Parteien setzte sich die Entwicklung nach links fort. Nach den jüngsten Umfragen liegt Syriza 20 Prozentpunkte über der konservativen Neue Demokratie – während letztere auf unter 20 Prozent abgerutscht ist, ist Syriza auf über 40 Prozent gestiegen. Das ist ein Beleg unter anderen dafür, dass die Menschen ein Zeichen der Hoffnung erwarteten. Der 25. Januar war die Erfüllung. Das Wahlergebnis hat, wenn überhaupt, der Radikalisierung einen weiteren Schub gegeben.
Ein weiterer Beleg für die hohen Erwartungen waren die Demonstrationen auf den Plätzen anlässlich der Regierungsbildung und der Aufnahme von Verhandlungen mit der Eurogruppe. Die Menschen gingen auf die Straße, um ihre Unterstützung für die Syriza-Regierung kundzutun und auch ihrer Hoffnung Ausdruck zu verleihen, sie möge nicht einknicken. Und das ist gerade der Knackpunkt. Die Regierung ist eingeknickt, und zwar nicht wenig. Die getroffene Vereinbarung macht die Regierung zum Vollstrecker einer weiteren Kürzungsrunde. Sie hat sich verpflichtet, die in den kommenden sechs Monaten fälligen Tilgungsraten zu bezahlen, als Gegenleistung gibt es keine Finanzhilfen der EZB oder irgendeiner anderen europäischen Behörde. Sie muss sich also das Geld durch weitere Kürzungen besorgen. Das ist eine schreckliche Perspektive.
Das heißt noch nicht, dass die Menschen jetzt enttäuscht sind, dafür gibt es meiner Ansicht nach keine Anzeichen. Der Kampfgeist ist nach wie vor da. Das sieht man daran, dass Belegschaften und die Gewerkschaften auf die Erfüllung ihrer Forderungen pochen. Die Angestellten von ERT beispielsweise erwarten ihre Wiedereinstellung. Aber die Bedingungen, unter denen ERT ihren Betrieb wieder aufnimmt, entsprechen nicht ihren Erwartungen und Forderungen. Es ist dennoch ein Zeichen, dass die Regierung nicht nur seitens der Institutionen der Eurozone unter Druck steht, sondern auch seitens der Erwartungen der Menschen in Griechenland.
Die Regierung versucht, den Deal damit zu rechtfertigen, dass er bloß für die kommenden vier Monate gelte und sich die Lage danach bessern werde, denn dann wird es Spielraum für Nachverhandlungen über die Rückzahlungsmodalitäten geben. Eins der größten Zugeständnisse, die die Regierung machte, war aber eben der Verzicht auf Schuldenstreichung. Genau genommen stand Schuldenstreichung zu keinem Zeitpunkt auf Syrizas Programm. Ihre Position war, sie würde sich im Zuge von Verhandlungen einen Teilschuldenschnitt ausbedingen können. Aber sogar diese Forderung wurde unter dem Druck fallengelassen. Das heißt, dass am Ende der vier Monate, über die sich diese Vereinbarung erstreckt, wir noch mehr von der gleichen Medizin verabreicht bekommen werden. Die griechischen Schulden sind unter keinen Umständen bedienbar. Auch wenn die Rückzahlungsbedingungen gelindert werden sollten, wird die Regierung gezwungen sein, für einen Haushaltsüberschuss zu sorgen, um die Tilgungsraten leisten zu können, und das bedeutet ganz klar weitere Kürzungen und Privatisierungen.
Das alles ging unglaublich schnell, es war eine abrupte Kehrwende. Die Folgen spüren wir erst nach und nach. Was auf dem Spiel steht, ist, ob die Opposition gegen diesen Deal weiter nach links gehen wird, oder ob die Menschen beginnen werden, sich enttäuscht zurückzuziehen. Zur Zeit ist die Aussicht auf Gegenwehr eine offene Frage. Das ist die herrschende Stimmung. Es stellt sich die Frage, wer das Rennen gewinnen wird. Bisher hat sich die Linke zu Wort gemeldet. Die Rechte ist dermaßen geschwächt, dass sie sich vorerst auf den Standpunkt zurückzieht: »Na, das haben wir Euch die ganze Zeit gesagt, Syriza beugt sich der Realität. Das ist eine willkommene Wendung. Lasst uns den Druck noch weiter erhöhen, und sie wird noch mehr einknicken.«
Das ist aber zur Zeit nicht die herrschende Stimmung. Die Linke ist im Aufwind. Als der Held des antifaschistischen Widerstands Manolis Glezos meinte, man könne den Deal nicht beschönigen, das wäre, wie wenn man Fleisch für Fisch verkaufen wollte (eine griechische Redewendung), traf er den Nerv aller. »Das ist ein Kompromiss, ein Schritt zurück, es macht keinen Sinn, das zu vertuschen,« sagte er. Panayotis Kalfayianis, der Anführer von POSPERT, der Gewerkschaft der ERT-Angestellten, fasste die vorherrschende Stimmung trefflich in den Worten zusammen: »Die Linke regiert nicht, sie wird regiert.«
Nochmals zurück zur Debatte über den Deal. Es ist davon die Rede, dass es sich zwar um einen Kompromiss handelt, damit wäre aber Zeit gewonnen. Das bedeute keineswegs einen Verzicht auf das Reformprogramm. Diese Sichtweise wird vor allem außerhalb Griechenlands stark vertreten, beispielsweise von Étienne Balibar.4 Ist das nicht ein glaubwürdiges Argument?
Nein. Aus zwei Gründen nicht. Erstens sind die Zugeständnisse im Austausch für Zeitgewinn riesig – der Verzicht auf die Forderung nach auch nur einem Teilschuldenschnitt und das Beharren auf die Suche nach einer Lösung innerhalb des Rahmens der Eurozone. Das sind enorme Hemmschuhe. Sie werden nicht nach vier oder sechs Monaten verschwinden. Aber es gibt noch einen zweiten Grund. Der allgemeine Rahmen wird nicht besser. Die Regierung vertritt die Meinung, dass ganz Europa sich von der Austerität verabschieden wird, weil die EZB doch ein Programm der quantitativen Geldlockerung betreibt. Dem Argument fehlt allerdings jegliche reale Grundlage. Es zeichnet sich auf dem Horizont keine Wendung hin zu einer starken wirtschaftlichen Erholung, die Syriza mehr Spielraum einräumen könnte.
Wer kauft sich denn Zeit? Syriza ist es nicht. Die deutsche Regierung kauft sich Zeit. Sie blickt einem Wahljahr entgegen – in Spanien, Irland und anderswo – und sieht sich mit der Perspektive einer europaweiten linken Revolte gegen Austerität konfrontiert. Syriza einen erniedrigenden Kompromiss aufzuzwingen, verschafft Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble Luft, um eine solche Entwicklung abzuwenden. So sollten wir die Sachlage deuten. Es ist keinesfalls Syriza, die sich Zeit gekauft hat, sondern die deutsche Regierung.
Nun, wir haben jetzt einen Überblick gewonnen über die zentralen Widersprüche in Syrizas Programm, nämlich den Versuch, einen Bruch mit der Austerität auf der Basis von Verhandlungen innerhalb des von der EU und der Eurozone gesteckten Rahmens zu erzielen. Eine solche Perspektive stieß aber von Anfang an auf Widerspruch von Linken. Am klarsten und systematischsten wurde diese Kritik von der Front der Antikapitalistischen Linken, Antarsya, formuliert, die einen Bruch mit der Euro, die Verstaatlichung der Banken und ein radikales Reformprogramm in offener Konfrontation mit den Kernzentren des europäischen Kapitalismus vertritt. Es gibt jedoch auch innerhalb Syrizas die Linke Plattform mit ähnlichen Vorstellungen. Wir haben sogar nicht wenige Stimmen aus dem Zentralkomitee und aus den Reihen der Abgeordneten vernommen, sie sich gegen den Deal von Brüssels ausgesprochen haben. Wir würden gern mehr über die Reaktionen auf diesen Deal auf den verschiedenen Ebenen erfahren – in der Linken ganz allgemein, in Syriza, Antarsya und so weiter – aber darüber hinaus in der Arbeiterbewegung überhaupt. In wie fern nimmt die Opposition gegen den Deal die Gestalt einer linken Alternative zur Politik von Tsipras und seinem Finanzminister Varoufakis an?
Das ist eine Möglichkeit. Innerhalb Syrizas gab es sehr viele Stimmen gegen den Deal. Die Parlamentsfraktion traf zusammen, um sich Tsipras’ Präsentation der Verhandlungsergebnisse anzuhören, und am Ende der Versammlung bat Tsipras die Abgeordneten, per Handzeichen ihre Bereitschaft zu signalisieren, ob sie im Parlament für den Deal stimmen würden oder nicht. Das Ergebnis war für Tsipras alles andere als ermutigend. Syriza zählt insgesamt 149 Abgeordnete, von denen 38 nicht anwesend waren. 70 der Anwesenden stimmten für Tsipras, und zwischen 30 und 40 der Anwesenden stimmten entweder gegen ihn oder enthielten sich der Stimme. Somit hatte er auf dieser Sitzung die Unterstützung nicht einmal der Hälfte der Abgeordneten. Das zeigt, wie breit die Opposition gegen den Deal ist.
Nach dieser enttäuschenden Debatte innerhalb der Fraktion beschloss die Regierung, auf eine Ratifizierung des Abkommens im Parlament zu verzichten. Unter Hinzuziehung formaler Regelungen stellte sie fest, dass die Abstimmung im Parlament gar nicht erforderlich sei. Aber politisch gesehen bedeutet das das Eingeständnis, dass bei einer Abstimmung einige Syriza-Abgeordnete gemeinsam mit jenen der Kommunistischen Partei dagegen votieren würden. Die Gefahr, dass die Vorlage im Parlament keine Mehrheit finden könnte, war sowieso gebannt, weil sicher war, dass die übrigen (rechten) Parteien dafür stimmen würden. Es wäre dennoch eine erniedrigende Erfahrung geworden, mit einer offenen Rebellion in den eigenen Reihen konfrontiert zu werden. Der gleiche Trend zeigte sich im Zentralkomitee. Bei der Diskussion um die Vorlage brachte die Linke Plattform einen Änderungsantrag ein, der allerdings nicht angenommen wurde. Dennoch erhielt sie dieses Mal mehr stimmen als sonst üblich im Zentralkomitee. Das zeigt, dass Leute, die sich zuvor in Tsipras’ Lager befanden, ihre Missbilligung des Deals zum Ausdruck brachten.
Das ist natürlich keine Einbahnstraße. Es gibt Anstrengungen, die Rebellion zu beschwichtigen, indem beispielsweise die vermeintlichen Vorzüge des Deals stets beschworen werden. Das zieht aber nicht, weil die Interpretation des Deals, die die Behörden der Eurogruppe liefern, wesentlich strenger ausfällt, als ursprünglich dargestellt. Da ist kein Raum für »kreative Ambiguität«, wie es Veroufakis mal ausdrückte – alle Zweideutigkeiten werden im Sinne einer schärferen Auslegung der Bedingungen ausgelegt.
Ein anderer Weg, um der Rebellion innerhalb der Regierung Herr zu werden, besteht im antideutschen Diskurs. Die Unabhängigen Griechen (ANEL), eine Abspaltung der Konservativen, ist an der Regierung beteiligt. Deren Führer, Panos Kammenos, zum Verteidigungsminister ernannt, drohte erst kürzlich mit Gegenmaßnahmen, sollte die deutsche Regierung ihre Haltung nicht mäßigen: Wir könnten beispielsweise damit anfangen, die Grenzbestimmungen zu missachten und Migranten und Flüchtlingen den Weg nach Berlin öffnen. Der Außenminister Nikos Kotzias griff den Vorschlag auf mit der Bemerkung: Wenn Ihr den Druck auf Griechenland aufrecht erhaltet und es zu einem Zusammenbruch kommt, wird das der dschihadistischen Bedrohung das Tor zu Zentraleuropa aufstoßen.
Diese Sorte politischer Manöver dient dazu, von der Agenda abzulenken. Es ist ein gefährliches Spiel und bringt eine Reihe Probleme mit sich. Syriza vertrat eine antirassistische Agenda, in der die Schließung der Konzentrationslager für illegale Flüchtlinge in Aussicht gestellt wurde. Nun wird diese Agenda vor dem Hintergrund dieses nationalistischen Aktionismus nach hinten verschoben. Darauf muss die Linke mit einer klaren Positionierung nicht nur gegen Austerität antworten, sie darf den Deal nicht nur wegen der vereinbarten Kürzungsmaßnahmen ablehnen, sie muss zugleich das Banner des Antirassismus hochhalten. Die Mobilisierung für den antirassistischen Aktionstag am 21. März ist ein wichtiger Schritt in dieser Richtung.
Es beginnt eine Debatte auf der Linken über die Frage, warum Syriza sich so verhält. Sie begann schon anlässlich der Regierungsbildung und der Offerte an die Unabhängigen Griechen, sich an der Regierung zu beteiligen. Anfänglich hieß es, Tsipras fehle zwei Abgeordnete zur Bildung einer Mehrheitsregierung, daher musste er sich wohl oder übel auf die Suche nach einem Verbündeten machen, und nur die Unabhängigen Griechen boten sich an. Nach und nach verschwand dieses Argument in der Versenkung, nachdem immer klarer wurde, dass es gar nicht um die Suche nach ein paar Abgeordneten zur Herstellung einer parlamentarischen Mehrheit ging, sondern dass es sich um eine strategische Entscheidung handelte. Alexis Tsipras ging es darum, ein Signal zu setzen, wessen Unterstützung genau er bevorzugte.
An dieser Stelle muss ich etwas ins Detail gehen. Tsipras beschränkte sich nicht darauf, Kammenos in die Regierung aufzunehmen, er lud auch Yiannis Panousis als Polizeiminister ein. Nun, Panousis stellt keinen Beitrag zur Bildung einer Parlamentsmehrheit dar, denn er ist gar kein Abgeordneter. Politisch befindet er sich irgendwo zwischen der Demokratischen Linken (einer rechten Abspaltung von Syriza) und Pasok. Es handelte in Wirklichkeit um eine Ernennung im gleichen Geist wie die Ernennung von Kammenos als Verteidigungsminister: Stellt die Generäle ruhig, sie haben doch Männer ihres Vertrauens als verantwortliche Minister für die Armee, als Verantwortliche für die Polizei. Gleiches gilt für die Vergabe des Außenministeriums an Nikos Kotzias. Er ist kein Linker. Er steht Kammenos und den Unabhängigen Griechen näher. Wir haben es daher mit einer Regierung zu tun, in der drei zentrale Ministerien – jene, die mit dem »tiefen Staat«, wenn wir diesen Ausdruck verwenden dürfen, zusammenhängen – sich in Händen von Leuten befinden, die die Botschaft aussenden: Die Syriza-Regierung wird diese Bereiche nicht antasten, da könntet ihr ganz beruhigt sein.
Das weist auf den Kampf hin, der die Linke erwartet – zunächst innerhalb Syrizas. Die Ablehnung des Deals muss allgemeiner formuliert werden. Die Linke in Syriza steht vor einer Auseinandersetzung. Die Führung von Syriza befindet sich fest in der Hand Tsipras, und der Kompromiss ist kein bloß vorübergehender. Seine strategische Orientierung ist der Kompromiss mit dem Kapital. Das eröffnet das Feld für eine ganze Palette von Auseinandersetzungen innerhalb Syrizas.
Erlaube mir bitte eine Frage zu den von Syriza unabhängigen linken Kräften. Es gibt natürlich die Kommunistische Partei, deren Stimmenanteil bei den letzten Wahlen gewachsen ist. Was uns aber näher interessiert, ist Antarsya, und innerhalb von Antarsya die SEK. Anlässlich der Wahlen im Jahr 2012 wurden Antarsya und SEK oftmals angefeindet, weil sie getrennt von Syriza kandidierten. Kann man jetzt behaupten, dass diese Haltung sich im Nachhinein rechtfertigt?
Das ist der Ausgangspunkt. Die Debatte, welche Art von Partei Syriza eigentlich ist, gibt es schon lange, sowohl in Griechenland als auch außerhalb. Die warnenden Stimmen, es handele sich um eine linksreformistische Partei, gerieten in die Schusslinie – wie du selber allzu gut weißt. Es stellt sich nun heraus, dass es enorm wichtig ist, eine richtige Einschätzung von Syrizas Weg zu haben. Und die jüngsten Handlungen Alexis Tsipras bestätigen das Bild.
Das ist natürlich nicht das Ende der Geschichte. Es gibt dir zwar eine strategische Orientierung, löst aber nicht das Problem des Aufbaus einer unabhängigen linken Opposition. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Die Kommunistische Partei beispielsweise stellt sich als linke Opposition dar, verbringt aber die meiste Zeit damit, Syriza bloßzustellen. In ihrem Sektierertum geht sie so weit, alle auf der Linken zu denunzieren. Antarsya wirft sie regelmäßig vor, Syriza nachzutraben – ganz im Gegensatz zum gängigen Eindruck von Antarsya als linke Opposition zu Syriza. Das schafft Probleme. Man kann nicht die Basis von Syriza, die Arbeiter und Arbeiterinnen, in ihrem Kampf gegen den Kompromiss mit der Eurogruppe dadurch unterstützen, dass man Syriza tagein tagaus an den Pranger stellt. Daher stellt die Kommunistische Partei, trotz ihrer beachtlichen Größe, keine effektive Kraft für den Aufbau einer linken Opposition dar mit dem Potenzial, die Syriza-Regierung zu einer Preisgabe ihrer Kompromisse und zur Einhaltung ihrer Wahlversprechen zu bewegen.
Das ist es aber eben, was Antarsya zu erreichen versucht. Trotz ihrer geringen Kräfte ist sie gut platziert, um das zu leisten – vor allem, weil sie sich nicht sektiererisch gebärt. Wir haben uns immer wieder, bei unzähligen Anlässen, mit der Basis von Syriza zusammengeschlossen – in Streiks, während der Besetzung des Syntagma-Platzes, bei antifaschistischen Demonstrationen. Durch diese enge Zusammenarbeit konnte Antarsya viele Brücken zur Basis von Syriza schlagen. Das kam sogar in den Wahlergebnissen zum Ausdruck: mindestens 100.000 Menschen entschieden sich aus taktischen Gründen für die Stimmabgabe zugunsten der einen oder der anderen Partei, mal für Syriza, mal für Antarsya. Wenn man über die Wahlen hinausschaut, ist diese Zahl noch beträchtlich höher.
Wenn also Antarsya die Politik der Einheitsfront mit der Basis von Syriza, die sich schwer tut, den Deal zu schlucken, fortsetzt, besteht die Aussicht auf Gegenwehr. Es gibt die Perspektive des Widerstands, nicht nur gegen die Entwicklungen der kommenden vier Monate, sondern was uns danach erwartet. Es ist derzeit von einem dritten Hilfspaket und einem neuen Memorandum die Rede. Das heißt konkret weitere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Syriza-Regierung, nicht nur für vier Monate, sondern weit darüber hinaus. Diese Projekt abzuwenden ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.
Antarsya bereitet sich darauf vor. Diese Orientierung ist mit Hindernissen verbunden. Ich will die Schwierigkeiten keinesfalls kleinreden. Die Arbeit in einer Einheitsfront ist keine einfache Sache. Die Tradition der griechischen Linken ist die der Volksfront im Gegensatz zur Einheitsfront. Daher gibt es viele Strömungen, die beide miteinander verwechseln. Hinzu kommt die damit verwandte Vorstellung eines »national-populären« Bündnisses gegen die externen Kräfte, die Griechenland dominieren – eine Vorstellung, die weit über die Reihen von Syriza, bis in von ihr links stehende Kräfte Anklang findet. Das sind Schwächen, die wir überwinden müssen. Daher ist die SEK wichtig als selbständiger Teil von Antarsya. Wir vertreten die klassische marxistische Tradition, die standfeste revolutionäre Prinzipien und Organisation mit taktischer Flexibilität und der Verpflichtung zur Einheitsfrontpolitik verbindet. Diese Herangehensweise ist entscheidend, um die gegenwärtigen Herausforderungen zu konfrontieren. Das ist es, was wir versuchen zu erreichen.5
Wir sind an vielerlei Stellen in gemeinsame Aktivitäten verwickelt. Der 21. März – der Kampf für die Abschaffung der Konzentrationslager, für die Legalisierung der Migranten und für die Durchführung des Gerichtsverfahrens gegen die Goldene Morgenröte – ist ein wichtiges Beispiel. Das findet nicht die Zustimmung aller Teile von Syriza. Ihr Parlamentssprecher, Zoi Konstantinopoulou, beispielsweise hat sich in Bezug auf die Goldene Morgenröte ganz falsch positioniert, als er die Gerichte dafür schalt, dass sie den im Gefängnis sitzenden Abgeordneten der Goldenen Morgenröte eine Beteiligung an Parlamentssitzungen verwehrten. Damit stieß er das Tor zur extremen Rechten sperrangelweit auf. Der Einsatz gegen solche Handlungen ist Teil der Herausforderung, vor der wir im Aufbau einer linken Alternative heute stehen. Aber ich denke, wir werden da vorankommen.
Das griechische Beispiel ist schon jetzt eine Inspiration für Menschen in ganz Europa, die die Austerität bekämpfen wollen. Darin steckt eine enorme Dynamik. Sie am Leben zu erhalten, ist die wichtigste Aufgabe für Revolutionäre in der momentanen Situation. Es beinhaltet, Solidarität für Arbeiter zu organisieren, die für die Realisierung ihrer unmittelbaren Forderungen trotz der verhängten Restriktionen des Eurogruppendeals kämpfen. Es beinhaltet auch, das Banner des antikapitalistischen Übergangsprogramms aufzurichten, mit den Forderungen nach Schuldenstreichung, Bruch mit dem Euro, Bankenverstaatlichung und ersten Schritte hin zur Arbeiterkontrolle.
Was wir im Zuge der Fortschritte der radikalen Linken in verschiedenen Teilen Europas, vor allem in Griechenland aber auch im spanischen Staat, im Endeffekt erleben, ist das Wiederaufleben strategischer Debatten, bei denen es in den 1970er Jahren hoch herging, die aber seitdem etwas in der Tiefkühltruhe lagern. So hat Stahis Kouvelakis, einer der führenden Persönlichkeiten des linken Flügels in Syriza, die Bedeutung von Antonio Gramsci und Nikos Poulantzas für ein Verständnis der strategischen Ausrichtung von Syriza herbeizitiert.6 Die Führer von Podemos stehen ihrerseits offenbar sehr unter dem Einfluss von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Das Interesse für theoretische Bezugspunkte bei der Formulierung von linken Strategien scheint wieder aufgeweckt. Was meinst du sollte die Haltung von revolutionären Marxisten in diesen Debatten sein?
Nun, das ist in der Tat eine bedeutende Entwicklung. Wie du sagst, diese Debatten gerieten lange Zeit fast in Vergessenheit. Nun treten sie wieder hervor, und das ist eine willkommene Erneuerung. Wenn es uns nicht gelingt, eine richtige strategische Antwort auf diese Debatten zu entwickeln, werden wir – egal wie viele taktische Erfolge wir zwischenzeitlich erzielen mögen – letztlich auf der Stelle treten. Der inhaltliche Kern dieser Debatten dreht sich um den Staat. Die Erfahrung der ersten Regierungswochen wirft diese Frage auf.
Die Vorstellung, man könne sich dem Staat mit einer Strategie partieller Reformen bei gleichzeitiger Unterstützung durch populäre Bewegungen außerhalb des Staats nähern, was im Grunde nichts anderes ist als eine Strategie der schrittweisen Reformierung des Staats von innen, ist der Grundfehler bei Syrizas Herangehensweise. Das ist für die große Mehrheit ein Schlag ins Gesicht. Ich habe bereits auf Tsipras’ Besetzung wichtiger Ministerien mit Rechten hingewiesen. Das ist aber nichts Neues. Das war die Politik Allendes in Chile. Er hatte einen Deal abgeschlossen, in dem er die Linke dazu verpflichtete, die Finger von der Presse, von der Armee und so weiter zu lassen. Das hat nichts gebracht. In Griechenland laufen wir Gefahr, die gleichen Fehler zu wiederholen, wenn wir diesen Kurs fortsetzen.
Die Frage nach einer Alternative, die Frage des Aufbaus einer Bewegung, die den Staat, einschließlich seines harten Kerns, konfrontieren kann, steht wieder auf der Tagesordnung. Sie ist besonders dringlich, vor allem, wenn das griechische Beispiel als Blaupause für Entwicklungen in Spanien und anderswo dienen soll. Es ist durchaus denkbar, dass sich diese Frage in den kommenden Monaten ganz konkret stellen wird. Die Debatte wird daher an Dringlichkeit gewinnen, wenn es zu einer europaweiten Rebellion gegen Austerität und einem Linksruck kommt. Die Frage, ob diese Bewegung auf eine Strategie von Reformen des Staats verpflichtet werden soll, oder nicht vielmehr ihre Horizonte erweitern und den revolutionären Sturz des Staats ins Auge fassen soll, ist etwas, was wir wieder und wieder werden debattieren müssen.
Die Debatte hat schon begonnen. Wir werden weitere Episoden in den kommenden Monaten erleben. In Griechenland selbst wird die strategische Debatte von der Zusammensetzung von Syriza geprägt. Parteimitglieder merken auf einmal, dass sie nicht alle gleich sind, dass die Hervorhebung der friedlichen Koexistenz verschiedener Strömungen – reformistischer, revolutionärer und bewegungsorientierter – als eine positive Errungenschaft sehr irreführend ist. Jetzt merken sie, dass die Führung unter Tsipras eine rechtsreformistische Führung ist, und das wirft die Frage nach einer Umorientierung weg von dieser Strategie der Verwischung grundlegender Differenzen. Das ist der Nachteil der Poulantzas-Strategie – sie verwischt nicht nur den Unterschied zwischen Revolution und Reform, sondern auch zwischen Linksreformismus und Rechtsreformismus. Diese Differenzen treten jetzt mit Nachdruck in den Vordergrund, daher müssen wir dringend eine Antwort auf sie finden.
Quellen:
Balibar, Étienne, und Sandro Mezzadra, 2015, »Syriza Wins Space and Time«, (23. Februar), www.versobooks.com/blogs/1885-syriza-wins-time-and-space-by-etienne-balibar-and-sandro-mezzadra.
Barker, Collin, 1979, »A ›New‹ Reformism? A Critique of the Political Theory of Nicos Poulantzas«, International Socialism 4, www. marxists.org/history/etol/writers/barker-c/1979/xx/poulantzas.htm; auf deutsch erhältlich in: »Wieviel Demokratie verträgt der Kapitalismus?«, Frankfurt am Main 2010.
Budgen, Sebastian, und Stathis Kouvelakis, 2015, »Greece: Phase One«, Jacobin (22. Januar), www.jacobinmag.com/2015/01/phase-one/
Callinicos, Alex, 2015, »Syriza and Socialist Strategy – part two«, Socialist Worker, (21. März), http://socialistworker.co.uk/art/40129/Syriza+and+socialist+strategy%E2%80%94part+two
Garganas, Panos, 2014, »Moderate, Radical or Anticapitalist Proposal from the Left?«, Socialism from Below (13. November), http://socialismfrombelow.gr/article.php?id=518 (auf Griechisch)
Kouvelakis, Stathis, 2014, »Syriza and Socialist Strategy – part one«, Socialist Worker (14. März), http://socialistworker.co.uk/art/40099/Syriza+and+socialist+-+part+one
Poulantzas, Nicos, 1978, State, Power, Socialism, auf Deutsch: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus, Hamburg 1978, (Neuauflage 2002)
Foto: quapan
Übersetzung aus dem Englischen von David Paenson
Schlagwörter: EU, Euro, Eurokrise, Finanzkrise, Griechenland, Krise, Linke, Syriza, Widerstand