Hart wie Slayer, radikal wie Rage Against The Machine und erfolgreicher als Lady Gaga: System Of A Down katapultiert den Metal in neue Sphären. Mit »Boom!« veröffentlicht die Band vor 15 Jahren einen Anti-Kriegs-Song und wird damit zum Sprachrohr der weltweiten Bewegung gegen die US-Invasion im Irak. Von Yaak Pabst
Am 15. Februar 2003 demonstrieren weltweit zehn Millionen Menschen gegen den vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush geplanten Irakkrieg. In der »New York Times« heißt es nach dem Wochenende der Massendemonstrationen: »Es gibt nur noch zwei Supermächte auf der Welt: Die Vereinigten Staaten und die internationale öffentliche Meinung.« Um diese öffentliche Meinung vom Krieg zu überzeugen, lügt und täuscht die Regierung Bush, wo es nur geht: Der Irak besäße angeblich enge Verbindungen zu dem Terrornetzwerk al-Kaida, würde Atomwaffen produzieren und verfüge über einsatzfähige biologische und chemische Massenvernichtungswaffen. Vor dem UN-Sicherheitsrat präsentiert US-Außenminister Colin Powell sogar Satellitenbilder und 3D-Computergrafiken von Lkw, die als mobile Fabriken für chemische Waffen im Irak dienen sollen (Lese hier einen Artikel zum Thema: »Irak: Brennendes Babylon«).
Obwohl damals schon ernst zu nehmende Zweifel an den vorgelegten »Beweisen« geäußert werden, tanzen die Medien in den USA nach der Pfeife der Falken in der Regierung. Kein Wunder: Die 10.000 Tages- und Wochenzeitungen, die 1800 Fernsehstationen und 15.000 Radiosender sind in der Hand von fünf Großkonzernen, die enge Verbindungen zur Regierung pflegen und in deren Chefetagen mehrheitlich Befürworter des Krieges sitzen: Rupert Murdochs News Corporation, Time Warner, Disney, CBS Corp. und General Electric/NBC kontrollieren 90 Prozent des Marktes. Nur 33 Tage nach den weltweiten Massenprotesten können diese Medien verkünden, wofür sie sich so lange eingesetzt haben: »US STRIKES! Iraq war begins«.
»Boom!« ist ein radikale Anklage gegen Krieg
Die Mitglieder der Band System Of A Down (SAOD) gehören zu den ersten Künstlern, die sich in den USA öffentlich gegen die Intervention aussprechen. Ihr Song »Boom!« ist ein radikale Anklage gegen Imperialismus und Krieg. Der Song startet düster. Nur Schlagzeug und Bass sind zu hören. Der Schlagzeuger stampft stumpf vier Viertel in die Bassdrum. Pause. Dann setzt Frontmann Serj Tankian mit flüsterndem Sprechgesang ein. Eine chorale Stimme im Hintergrund sorgt für bedrohliche Stimmung. Die Band wird von Takt zu Takt lauter und nach 40 Sekunden schmeißen System Of A Down zum ersten Mal die Bombe – sie schreien: »Boom! Boom! Boom! Boom!« Der Refrain geht weiter: »Jedes Mal, wenn du die Bombe abfeuerst, tötest du den Gott, der dein Kind geboren hat«. In der zweiten Strophe agitiert der Sänger, als wäre er auf einer Kundgebung vor dem Weißen Haus:
»Die moderne Globalisierung ist verbunden mit Enteignung und unnötigem Tod / Konzerne kontrollieren deine Frustrationen mit einer Flagge, die blind macht / Herstellung von Zustimmung heißt das Spiel (»Manufacturing Consent« ist ein Buchtitel von Noam Chomsky, Anm. d. Red.) / Im Endeffekt geht es um Geld / Doch niemanden kümmert es, wenn 4000 hungrige Kinder pro Stunde verhungern / Während gleichzeitig Milliarden für Bomben ausgegeben werden, die den Tod bringen«.
Mehr als nur ein Plädoyer für Frieden
In dem Song verwenden System Of A Down außerdem ein Thema von »Mars, the Bringer of War« (Mars, der Kriegsbringer) aus der Orchestersuite »Die Planeten« von Gustav Holst. Holst komponierte das Stück während des Ersten Weltkrieges in den Jahren 1914 bis 1916. Der Song »Boom!« ist jedoch mehr als nur ein Plädoyer für Frieden. Denn gleichzeitig versucht die Band, im Liedtext darauf hinzuweisen, warum es im Kapitalismus immer wieder zu Kriegen kommt und wie Regierungen Kriegspropaganda organisieren. Jedoch komponieren SOAD nicht nur gegen den Krieg, sondern sie wollen auch zu politischer Aktivität ermuntern. Als am 15. Februar Millionen gegen den Krieg demonstrieren, sind auch alle Mitglieder der Band auf der Straße. Gemeinsam mit dem Filmemacher Michael Moore drehen sie während der Proteste das Video zum Song »Boom!«.
Das Video: System Of A Down
System Of A Down wurde im Jahr 1995 von Serj Tankian (Gesang, Keyboards), Daron Malakian (Gitarre) und Shavo Odadjian (Bass) in Los Angeles gegründet. Später stieß der Schlagzeuger John Dolmayan dazu. Drei von ihnen haben armenische Vorfahren oder sind im Libanon oder in Armenien geboren. Die musikalische Kultur des Nahen Ostens findet sich in den Songs der Band wieder. Charakteristisch für System Of A Down sind die plötzlichen Übergänge von aggressiven, schnellen und lauten zu entspannten, langsamen und ruhigen Passagen. Besonders auffällig ist der Gesang: Wie bei den Instrumenten finden sich überraschende Wechsel in der Tonhöhe, der Lautstärke und des Ausdrucks. Wie ein Schauspieler im Theater spricht Serj Tankian die einzelnen Wörter so deutlich aus, dass die Bildung jedes einzelnen Buchstabens verständlich wird – manchmal rollt er das »R« wie der Sänger Anthony Kiedis von den Red Hot Chili Peppers oder Till Lindemann von Rammstein.
System Of A Down und Rick Rubin
Zu Beginn spielte die Band nur in kleineren Clubs in Los Angeles. Doch Berichte über ihre spektakulären Auftritte verbreiteten sich bald wie ein Lauffeuer. Das dritte Demotape der Band wurde sogar von mehreren Metal-Fanzines in Europa rezensiert. Im Jahr 1997 vermittelte ihnen Produzenten-Legende Rick Rubin (Beastie Boys, Public Enemy, Slayer, Red Hot Chili Peppers) einen Vertrag bei einem Majorlabel. Viele Fans befürchteten schon ihren »Ausverkauf«, doch mit Rubin fand die Band einen Produzenten, der ihre künstlerische Freiheit nicht einschränkte, sondern beflügelte. In einem Interview erklärte er: »Wenn etwas revolutionär ist, ist es beim ersten Hören sehr schwer zu akzeptieren. Es hat immer etwas schockierendes, etwas bei dem du nicht genau weißt… Manchmal ist es jedoch genau dieses Zeug, bei dem man eine Weile braucht, bis der Kopf sich daran gewöhnt hat, bevor man versteht, wie gut die Musik wirklich ist«.
Der Erfolg von System Of A Down
System Of A Down produzierten mit Rick Rubin innerhalb von sieben Jahren fünf Studioalben und starteten damit eine unglaubliche Erfolgsstory: In den USA erreichte jedes der seit 1998 veröffentlichten Alben Platinstatus und in Deutschland bekommen drei der fünf Alben Gold. Mit »Toxicity«, »Mezmerize« und »Hypnotize« landeten System Of A Down in den USA sogar mit drei Alben auf dem ersten Platz in den Billboard 200 und zählten zu den fünf Künstlern, die überhaupt jemals zwei Nummer-Eins-Alben im gleichen Jahr in den Charts hatten. Weltweit verkauften sie bis heute 25 Millionen Tonträger.
System Of A Down bleibt sich treu
Doch trotz des Erfolges bleibt die Band ihren Wurzeln treu. Sie attackieren das »System« in ihren Songs, wo es nur geht: Ob es nun um die gescheiterte Drogenpolitik und überfüllte Gefängnisse, die Waffengesetze, Umweltverschmutzung, den Konsumterror oder eben um Krieg geht. Seit dem Jahr 2006 befindet sich System Of A Down offiziell in einer Ruhepause. Trotzdem geht die Band auch immer wieder auf Tour, zuletzt war sie 2017 beim Festival Rock am Ring sogar Headliner. Vielleicht heißt es ja auch 2018 wieder: Boom!
Foto: z_aurelie
Schlagwörter: George W. Bush, Imperialismus, Irak, Krieg, Kultur, Musik