Der »Krieg gegen den Terror« ist verheerend. Sechs Thesen darüber, warum er zwar den imperialistischen Mächten nützt, aber keinen Frieden bringt. Von Jules El-Khatib und Daniel Kerekes
1. Der »Krieg gegen den Terror« ist selbst nichts anderes als Terror. Er hat eine Eskalationspirale in Gang gesetzt und die Leiden der Bevölkerung im Nahen Osten weiter verschärft.
Die Bilanz des »Kriegs gegen den Terror«, den US-Präsident George W. Bush in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 begann, ist verheerend. Die USA und ihre Verbündeten haben seitdem zwei mehrheitlich von Muslimen bewohnte Länder (Afghanistan und Irak) militärisch besetzt. Darüber hinaus haben sie Spezialeinheiten in zahlreiche muslimische Länder geschickt, einen verdeckten Drohnenkrieg gegen die Bevölkerungen Pakistans, Jemens, Somalias und des Sudans geführt, dessen Opferzahlen der Geheimhaltung unterliegen, und Hunderte von Muslimen und Muslimas ohne gerichtliche Verurteilung inhaftiert und gefoltert.
Die Kriegsführung des Westens bedeutet Terror für die Bevölkerung der betroffenen Länder. Im Jahre 2001 einigten sich die EU-Justizminister auf eine gemeinsame Definition von Terrorismus. Demnach liegen terroristische Straftaten dann vor, »wenn sie mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören«.
Nach dieser Definition ist der »Krieg gegen den Terror« selbst Terror. Laut einer Untersuchung der Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) belaufen sich die Opferzahlen von 2001 bis 2014 im Irak, Afghanistan und Pakistan, bei konservativer Auslegung der Quellenlage, auf eine Million Tote und nochmal soviele Verletzte. Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Infrastruktur wurden zerstört. Millionen von Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren und wurden zur Flucht getrieben. Zurecht sagte der britische Schauspieler Peter Ustinov im Jahr 2002: »Terrorismus ist der Krieg der Armen und Krieg ist der Terrorismus der Reichen.«
2. Der weltweite Anstieg des »Terrorismus« geschieht nicht trotz des »Krieges gegen den Terror«, sondern ist seine direkte Folge.
Der »Krieg gegen den Terror« produziert mehr Terrorismus, anstatt ihn einzudämmen. Bereits die Gründung von Al-Kaida war die Folge westlicher und russischer Einmischung in Afghanistan und der Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien im Zuge des Golfkrieges. In Afghanistan sind die Taliban heute stärker denn je seit ihrem Sturz 2001. Zudem konnte Al-Kaida in vielen weiteren Ländern Fuß fassen. Der sogenannte »Islamische Staat« ist überhaupt erst infolge der US-Invasion im Irak 2003 entstanden, nachdem die Besatzer dort ein religiös-ethnisch ausgerichtetes politisches System etablierten, in dem der sunnitische Bevölkerungsteil ausgegrenzt und unterdrückt wird.
Seit 2001 hat es mehr Selbstmordattentate gegen westliche Einrichtungen in Afghanistan, Irak und anderen muslimischen Ländern gegeben als in all den Jahren davor. Auch die der US-Regierung nahestehende Zeitschrift »Foreign Policy« hat erkannt: »Mehr als 95 Prozent aller Selbstmordattentate sind eine Reaktion auf fremde Besatzung.« Seit Beginn des »Kriegs gegen den Terror«, sind die Selbstmordanschläge weltweit dramatisch gestiegen – von etwa 300 in den Jahren 1980 bis 2003 auf 1800 von 2004 bis 2009. Die große Mehrheit der Selbstmordattentäter stammt aus Regionen, die durch ausländische Truppen bedroht sind.
3. Der »Krieg gegen den Terror« dient dem Westen als Vorwand, um seine geopolitischen Interessen in strategisch wichtigen Regionen durchzusetzen.
Im »Krieg gegen den Terror« ging es nie um Terrorismus oder Menschenrechte, sondern um geostrategische Interessen. Die Anschläge vom 2001 gaben der Bush-Administration den Vorwand etwas zu tun, was die neokonservativen Vordenker Bushs bereits vor seiner Wahl empfohlen hatten: in der Konkurrenz mit dem neuen Gegenspieler China die Energieressourcen des Nahen Ostens unter direkte eigene Kontrolle zu bringen. Dazu empfahl ein Strategiepapier von 1999 die »Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens«, das sogenannte »Projekt für ein neues Amerikanisches Jahrhundert«, geschrieben, unter anderem von Bushs späteren Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dem späteren Vizepräsident Dick Cheney.
Aber die USA sind nicht der einzige »Spieler« auf diesem »großen Schachbrett«. Auch Frankreich versuchte in den vergangenen Jahren seinen Einfluss in Afrika zurückzugewinnen – im Wettstreit mit China und den USA. Hier liegen die Quellen für die NATO-Interventionen in Libyen und Mali.
Auch Russland nutzt den »Krieg gegen den Terror« als Argument im Feldzug in Tschetschenien. Tatsächlich geht es darum, den Einflussbereich des Kremels gegen den Westen zu erhalten.
»Krieg gegen den Terror« ist zum Passepartout für jede militärische Intervention unserer Zeit geworden. Auch die chinesische Regierung gibt vor einen »Krieg gegen den Terror« zu führen, wenn sie militärisch gegen Uiguren oder Tibeter vorgeht – genauso die indische Regierung in Kashmir oder die philippinische auf der Insel Mindanao. Aber die Maßstäbe hat der Westen gesetzt, der seinen Anspruch verteidigt, überall auf der Welt mit Waffengewalt seine Interessen durchzusetzen.
Auch Deutschland will hier nicht abseits stehen. Wie es im Weißbuch der Bundeswehr steht, geht es ihm dabei um den »Freien Zugang zu Märkten und Rohstoffen«. Aktuell befinden sich 3000 deutsche Soldaten in sechzehn vom Bundestag mandatierten Einsätzen außerhalb des NATO-Bündnisgebietes. Deutschland ist heute ein ernstzunehmender militärischer Akteur, der direkt oder indirekt, durch Waffenhandel, am Tod von Unschuldigen beteiligt ist. Durch diese Taten rückt die Bundesrepublik auch stärker in den Fokus von internationalen terroristischen Gruppen, die ihre Terrorakte mit den Angriffen auf ihre Heimatländer begründen.
4. Um die aggressive Außenpolitik der westlichen Regierungen im Nahen und Mittleren Osten zu rechtfertigen, wird der »Islam« zum neuen Feindbild aufgebaut.
In wenigen Punkten waren sich die imperialistischen Staaten in den letzten Jahren so einig, wie im neuen Feindbild des Islam. Dieses wird nicht nur bei innenpolitischen Auseinandersetzung aufgebauscht und als Spaltungsmechanismus verwendet, auch in außenpolitischen Positionierungen muss es immer wieder herhalten. Der Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan wurde von den westlichen Staaten nicht mit dem Interesse an afghanischen Ressourcen begründet, sondern mit dem Kampf für Demokratie und Frauenrechte, die angeblich durch den Islam bedroht würden.
Das Feindbild Islam wird von sozialdemokratischen bis rechten Parteien instrumentalisiert, um von den wahren Ursachen für Kriege abzulenken, nämlich der Ausdehnung des eigenen Einflussbereichs. Es verwundert nicht, dass Bertelsmann in einer Studie zu erschreckenden Ergebnissen kommt: 57 Prozent der nicht-islamischen Befragten halten den Islam für »sehr bedrohlich« oder »bedrohlich«. Auf die Frage, ob der Islam in die westliche Welt passe, antworten 61 Prozent mit »eher nicht« oder »gar nicht«.
Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus ist daher nicht nur ein Mittel um die Unterdrückung der größten religiösen Minderheit zu beenden, sondern auch ein wichtiger Schritt um Kriegspropaganda zu entlarven. Diesen Kampf sollten wir gemeinsam mit den Betroffenen führen und so eine Bewegung schaffen, die sich gegen Rassismus und Krieg stellt.
5. Den »Krieg gegen den Terror« nutzen Regierungen als Begründung, um Bürgerrechte einzuschränken. Doch die Einschränkung der Freiheitsrechte schützt nicht vor Terrorismus.
Seit Beginn des »Krieges gegen den Terror« verschärfen weltweit Regierungen die Antiterrorgesetze und schränken die Freiheitsrechte ein. Schon nach dem 11. September 2001 nutzte der damalige sozialdemokratische Innenminister Otto Schily die Gunst der Stunde und peitschte zwei »Sicherheitspakete« durchs Parlament. Seitdem haben die Behörden ein riesiges Arsenal an Möglichkeiten: Vom großen Lauschangriff bis zur Rasterfahndung. Besonders betroffen sind Menschen ohne deutschen Pass. Der Terrorismusverdacht kann für eine Ausweisung ausreichen. Eine rechtliche Überprüfung muss nicht abgewartet werden. Das heißt: Die Unschuldsvermutung gilt für Zugewanderte nicht.
Nach den Anschlägen von Paris haben sich nun in Deutschland fast alle Politikerinnen und Politiker für den weiteren Ausbau von Polizei und Geheimdiensten ausgesprochen. Dabei gehören die Sicherheitsgesetze in Deutschland ohnehin bereits zu den schärfsten in der EU.
Die Internationale Juristenkommission untersuchte in einer dreijährigen Studie in vierzig Ländern den Effekt von Antiterrormaßnahmen. Ihre Bilanz: Es sei zu Folter, willkürlichen Inhaftierungen, unfairen Prozessen, langer Haft ohne Prozess, zu einer Militarisierung der Justiz und zu Straffreiheit für schwere Menschenrechtsverletzungen in vielen Teilen der Welt gekommen. Das beunruhigende Fazit des Berichts lautet: »Außerordentliche Maßnahmen, die gegen den Terrorismus gerichtet sind, sickern bereits in den Normalbetrieb des Staats und das alltägliche Justizsystem ein. Mit langfristigen Konsequenzen für den Rechtsstaat und die Achtung von Menschenrechten.«
6. Im Krieg gegen Terror sollten sich Linke weder auf die Seite der USA und der EU noch auf der Russlands positionieren. Eine Wiederbelebung der demokratischen Massenbewegungen im Nahen und Mittleren Osten kann eine Perspektive für Frieden und soziale Gerechtigkeit bieten.
Die deutsche Linke hat die amerikanischen und französischen Angriffe auf Syrien klar verurteilt, weniger deutlich war dagegen die Distanzierung von russischen Angriffen. Russlands Militär ist ebenso wenig vergleichbar mit dem der USA, wie die globale Rolle des russischen Kapitals mit dem amerikanischen. Dennoch muss man sich auch gegen die russische Aggression stellen. Die deutsche, wie auch die globale Linke, hat die Aufgabe gegen jede Form von Imperialismus und Krieg zu kämpfen. Im syrischen Stellvertreterkrieg geht es keinem der beteiligten Staaten um das Wohl der Menschen. Alle Bomben treffen Zivilisten und dienen somit leider auch der Propaganda des IS. Als Sozialisten ist es nicht unsere Aufgabe einen Teil dieser Bomben zu verharmlosen, sondern die Kräfte zu stärken, die sich gegen Krieg und Militarismus stellen. Der IS kann nicht von außen gestoppt werden.
Wer den IS besiegen will, muss sich für den Aufbau einer Massenbewegung gegen Diktatur, Krieg und Unterdrückung einsetzen. Die Streiks im Irak waren ein Zeichen für eine Überwindung der religiösen Spaltung. Die Bewegungen in der arabischen Welt haben gezeigt, dass sie die Verhältnisse durchbrechen und demokratische Gesellschaften etablieren können. Nur ein neuer arabischer Frühling, der für soziale und demokratische Ziele kämpft, bietet den Ausweg aus der momentan aussichtslos erscheinenden Situation im Nahen Osten.
Die Aufgabe der Linken im Westen wäre es eine solche Bewegung zu stärken und gleichzeitig gegen die hier geplante Kriege zu kämpfen und dem immer stärker werden antimuslimischen Rassismus entschieden entgegenzutreten.
Zur Person:
Jules El-Khatib ist Mitglied im Landesvorstand der LINKEN in NRW und Autor der Freiheitsliebe
Daniel Kerekes ist Mitglied im Kreisvorstand der LINKEN in Essen und Autor der Freiheitsliebe
Foto: The U.S. Army
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