Magazin: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft Nr. 155, Themenheft: »Sozialismus«, Juni 2009
Von Michael Ferschke
Sozialismus ist die Alternative zum Kapitalismus. Das ist keine Verkündung und keine Offenbarung. Die Vorstellung, mit dem Fall der Mauer sei das Projekt des Sozialismus zu Ende, ist kurzsichtig und unhistorisch«, schreiben die Herausgeber im Editorial der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift Prokla. Diese widmet sich der Frage, wie eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus aussehen könnte.
Um einer Antwort näher zu kommen, setzen sich gleich mehrere Aufsätze mit den gescheiterten Modellen des »real existierenden Sozialismus« der ehemaligen Ostblockstaaten auseinander. Renate Hürtgen legt in einem spannenden Beitrag dar, wie die Arbeiter in den DDR-Betrieben der Linie der regierenden Partei unterworfen wurden. Am Beispiel des »Volkseigenen Betriebs« (VEB) macht sie deutlich, dass die Verstaatlichung der Wirtschaft keineswegs gleichzusetzen ist mit einer »Vergesellschaftung«, sprich Demokratisierung, der Produktion. Der Historiker Marcel van der Linden stellt marxistische Kritiker der Sowjetgesellschaft vor. Er teilt zwar nicht die Bezeichnung »Staatskapitalismus«, folgt aber ansonsten der Argumentation Tony Cliffs, dass die Rüstungs- und Weltmarktkonkurrenz mit den kapitalistischen Staaten wesentlich den Charakter der Sowjetunion als »Quasi-Klassengesellschaft« prägten.
Raul Zelik vertritt in seinem Beitrag die These, dass die Planwirtschaft der ehemaligen Ostblockstaaten weniger effektiv war als der Markt. Ein zukunftsfähiger Sozialismus bräuchte demnach weniger zentrale Planung und die Ergänzung einiger Marktelemente. Dem widerspricht Katharina Götsch, die sich kritisch mit Konzeptionen des »Marktsozialismus« auseinandersetzt. Diese wurden theoretisch von vielen westlichen Linken nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vertreten und praktisch bereits zuvor zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien erprobt. Götsch legt dar, warum Markt und Sozialismus im Kern unvereinbar sind.
Ein weiterer Beitrag zeigt auf, wie wenig der Sozialismusbegriff von Karl Marx selbst mit Staatsfixierung, Bevormundung der Arbeiterklasse oder »Gleichmacherei« gemeinsam hat. Der Historiker Ralf Hoffrogge illustriert anhand der deutschen Arbeiterbewegung von 1848 bis 1920, inwiefern die Marxschen Vorstellungen dort praktisch zum Tragen kamen. Spannend wird es, wenn Hoffrogge beschreibt, wie der Reformismus der SPD zur Unterstützung des Ersten Weltkrieges führte und sich mit der revolutionären Bewegung von Arbeiter- und Soldatenräten zur Beendigung des Krieges eine neue Strömung Bahn brach.
Alex Demirovic greift die Erfahrungen der Rätebewegung auf und untersucht, inwiefern deren Modelle anderen Demokratiekonzeptionen überlegen sind. Die historischen Rätemodelle seien oft zentriert auf die betrieblichen, bzw. Produktionsebenen. Daneben müssten auch direkt-demokratische Entscheidungsformen für die kommunale oder regionale Ebene geschaffen werden, um eine umfassende kollektive Selbstverwaltung herzustellen.
Zusammenfassend ist diese Ausgabe der Prokla sehr zu empfehlen. Zwar verortet sich das Journal nicht in den strategischen Debatten der LINKEN, aber es bietet diesmal eine wahre Fundgrube an grundsätzlichen theoretischen Argumenten für einen kämpferisch-emanzipatorischen Sozialismus von unten.
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