Eine große Flächentarifrunde parallel zur heißen Phase des Bundestagswahlkampfs ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Dabei geht es in der TVöD-Runde 2025 um weit mehr als einen Kampf um mehr Lohn
Die TVöD-Runde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen ist in vollem Gange. Etwa 2,3 Millionen Beschäftigte fordern eine Lohnerhöhung von 8 Prozent sowie höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten. Außerdem wird versucht, beim Thema Arbeitszeit Verbesserungen zu erzielen: Die Kolleg:innen fordern drei zusätzliche freie Tage, um die immer weiter steigende Arbeitsverdichtung etwas auszugleichen. Neu ist die Forderung nach einem »Meine-Zeit-Konto«, mit dem es mehr Kontrolle über die eigene geleistete Arbeitszeit geben soll. Die Forderungen sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern das Ergebnis einer breiten Befragung unter den Kolleg:innen.
Seit Jahren fehlt den Kommunen das Geld, um ausreichend zu investieren. Aktuell sind es etwa 186 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Die Folgen sind bereits seit langem sichtbar: Bröckelnde Infrastruktur und dringender Verbesserungsbedarf im Nahverkehr, immer weiter wachsender Sanierungsbedarf von öffentlichen Gebäuden wie Schulen und Sporthallen – mindestens 166 Milliarden Euro – und eine harte Sparpolitik in der Bildung. An weitere Investitionen wie in Klimaschutz und Städteanpassungen ist dabei gar nicht zu denken. Diese Belastung ist unter den Kolleg:innen deutlich spürbar: Überstunden können oft nicht abgebaut werden und die Einarbeitung neuer Kolleg:innen muss zusätzlich zum normalen Arbeitspensum stattfinden.
Immer wieder wird von »Sparzwang« geredet, doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Es ist eine bewusste politische Entscheidung, dass für die Rettung von Konzernen und militärische Aufrüstung Milliarden zur Verfügung stehen, während für die Pflegekraft, die Lehrerin oder den Busfahrer angeblich kein Geld da ist. Die Arbeitgeberseite spielt hier ein perfides Spiel, indem sie mit Verweis auf klamme Kassen versucht, die berechtigten Forderungen der Kolleg:innen als »unverantwortlich« oder »nicht finanzierbar« abzutun.
TVöD 2025: eine besondere Tarifrunde
In der letzten TVöD-Runde im Jahr 2023 beteiligten sich so viele Kolleg:innen wie noch nie. Grund dafür waren die zuvor gestiegenen Lebenshaltungskosten, aufgrund von Rekordinflation und Ukrainekrieg. Die Auseinandersetzung war die Chance, den massiven Reallohnverlust zumindest teilweise auszugleichen.
An der Lage hat sich seitdem nicht viel geändert. Weiterhin dominieren wirtschaftliche Krisen, geopolitische Spannungen und massive soziale Unsicherheit unseren Alltag. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung findet also wieder inmitten politisch brisanter Zeiten statt.
Der Bruch der Ampelkoalition verschärft die Lage weiter. Bislang hatten sich die DGB-Gewerkschaften bemüht, große Tarifkonflikte nicht parallel zu bundesweiten Wahlen stattfinden zu lassen. Doch in diesem Jahr ließ sich durch das Ampel-Aus das Vorgehen nicht aufrechterhalten. Die große TVöD-Runde öffnet damit neue (Debatten-)Räume, die das Potenzial haben, das Wahlgeschehen zu beeinflussen. Doch auch die politische Unsicherheit nach dem Bruch der Ampelkoalition beeinflusst die Dynamik der Tarifrunde. Es stellte sich also die Frage: Kann der Wahlkampf als Bühne der Auseinandersetzung genutzt werden oder droht diese in der allgemeinen politischen Unruhe unterzugehen?
Seit dem 24. Januar, mit Beginn der ersten Verhandlungsrunde, scheint es, als hätte sich der Wind gedreht: Es wird ernst. Die Arbeitgeberseite hat nicht nur kein Angebot vorgelegt, sondern eine Kampfansage ausgesprochen. Sie haben einen gewerkschaftsfeindlichen »neutralen« Schlichter ins Rennen geschickt, was zeigt, dass sie keine gütliche Einigung wollen. Die Warnstreiks machen deutlich, was die Beschäftigten von dem bisherigen »Nicht-Angebot« der Arbeitgeberseite halten. Zusätzlich hat der tragische Anschlag in München ungewollt Aufmerksamkeit auf die TVöD-Runde gezogen und noch einmal verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung nicht vom politischen Klima in Deutschland zu trennen ist.
Es zeigt sich immer wieder, dass die Streikposten kein konfliktfreier Ort sind, besonders dann, wenn über das Auftreten und die Rolle der AfD diskutiert wird. Auch bei den Kundgebungen ist es wieder Thema, welche Bühne man der AfD gibt. Die aktuelle Antwort: Keine! An dem Unvereinbarkeitsbeschluss halten die Gewerkschaften und die große Mehrheit der Kolleg:innen weiter fest.
Neben dem Wahlkampf versucht die gewerkschaftspolitische Begleitkampagne die zentralen Fragen der Umverteilung wieder in den Mittelpunkt zu rücken: Wer besitzt das Geld, wer entscheidet darüber und wie kann es gerechter verteilt werden? Das Geld ist da, es ist nur ungleich verteilt, lautet die zentrale Antwort.
Doch trotz der offenkundigen sozialen Schieflage gibt es in den Gewerkschaften kaum Pläne zur Umverteilung. Lediglich Die Linke bietet in ihrem Wahlprogramm eine klare Antwort: Das System aus Schuldenverzicht und Verzicht auf Steuererhöhungen für Reiche hat zu öffentlicher Armut und einer Verwahrlosung der sozialen Infrastruktur geführt. Deswegen fordert sie die Abschaffung der Schuldenbremse und weniger Ausgaben für Militär und Rüstung. Stattdessen braucht es Investitionen in die soziale und öffentliche Infrastruktur – in Gesundheit, Bildung, Brücken, erneuerbare Energien, ÖPNV. Es braucht einen Umbau der Wirtschaft, der Arbeitsplätze schützt und nicht Profite. Auch wenn bereits Diskussionen angestoßen wurden, bleibt es eine zentrale Herausforderung der Gewerkschaften, diese breite gesellschaftliche Debatte über Vermögensabgaben und Steuerpolitik zu führen.
Demokratisierung von Flächentarifkämpfen
Einen zentralen Unterschied zu den letzten Auseinandersetzungen um große Flächentarife stellen die Versuche der Demokratisierung dar. In früheren TVöD-Runden war die Rolle der Tarifbotschafter:innen zumeist vor allem die Informationsweitergabe. Das ändert sich zunehmend.
Passend zum Bundestagswahlkampf fordern die Kolleg:innen jetzt nicht nur ihr Wahlrecht ein, sondern auch ihr Mitspracherecht in den Verhandlungen. Immer mehr Kolleg:innen ist klar: Die Tarifverhandlungen in Potsdam dürfen nicht über die Köpfe der Kolleg:innen hinweg geführt werden. Jede:r hat das Recht zu erfahren, was dort entschieden wird – und vor allem das Recht, sich aktiv einzumischen. Während den meisten Kolleg:innen täglich die demokratische Teilhabe am Arbeitsplatz verwehrt bleibt, versucht die Rückkopplung zwischen Basis und Verhandlungsführung das zu ändern. Es geht darum, alle – egal ob schon Gewerkschaftsmitglied oder nicht – aktiv in den Prozess einzubeziehen. Egal ob gewerkschaftlich organisiert, neu, jung oder alt: Alle Kolleg:innen geht es an, was in den nächsten Verhandlungen über ihre Entlohnung und Arbeitsbedingungen verhandelt wird.
Diese Rückkopplung ermöglicht es, die Meinung und Stimmung der Kolleg:innen in den Betrieben zu erfassen. Wichtige Informationen müssen an die Kolleg:innen weitergegeben werden. Es geht dabei nicht nur um Zahlen, sondern um die Frage: Lassen wir uns überrollen oder kämpfen wir gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen?
Daraus ergibt sich ein weiteres zentrales Handlungsfeld der Kolleg:innen. Das Durchsetzungsvermögen für ihre Forderungen, ist nicht von der eigenen Stärke zu trennen. Jedes Rückkopplungsgespräch muss also mit einem weiteren Machtaufbau und der dafür notwendigen Organisierung der Kolleg:innen verknüpft werden. Bisher sind wenige daran gewöhnt, ihr eigenes Umfeld gewerkschaftlich zu organisieren. Kann es also gelingen, die Rückkopplung mit einem Stärkeaufbau zu verbinden?
Klar ist mittlerweile: Die Rückkopplung ist aus der Tarifauseinenadersetzung nicht mehr wegzudenken. Die nächsten TVöD-Runden können weiter darauf aufbauen und die Kolleg:innen im Kampf um einen neuen Tarifvertrag der Länder können ab Herbst an die Erfahrungen der Kolleg:innen im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen anknüpfen.
Streikrecht verteidigen!
Die Arbeit im öffentlichen Dienst muss endlich die Anerkennung erhalten, die sie verdient – nicht durch leere Worte, sondern durch echte Verbesserungen. Die aktuellen Proteste sind daher mehr als ein Kampf um mehr Lohn. Sie sind ein Kampf für eine solidarische und gerechte Gesellschaft. Wer die Streiks im öffentlichen Dienst angreift, greift uns alle an!
Diese TVöD-Runde ist ein historischer Moment. Die Arbeitgeberseite wird keinen Cent freiwillig hergeben. Die einzige Sprache, die sie versteht, ist Druck – und genau diesen gilt es jetzt gemeinsam aufzubauen.
Schlagwörter: Gewerkschaften, Öffentlicher Dienst, Streik