Im November 2022 findet die UN-Klimakonferenz »COP 27« in der ägyptischen Touristenstadt Scharm el Scheich statt. Wir sprachen mit dem ägyptischen Revolutionären Sozialisten Hossam el-Hamalawy über die sich verschlechternde politische Lage in Ägypten seit dem Militärputsch 2013 und warum COP 27 skandalisiert werden muss
marx21: Hossam, Was ist COP 27 und warum findet sie in Ägypten statt?
Hossam el-Hamalawy: Es handelt sich um eine von den Vereinten Nationen geförderte Klimakonferenz (die 27. in diesem Fall), auf der Staaten und Nichtregierungsorganisationen (NGO) über Lösungen für die Klimakrise diskutieren sollen. Sie findet dieses Jahr in Ägypten statt und ist Teil der Bemühungen des dortigen Militärregimes, seine miserable Bilanz in Sachen Menschenrechte und Umweltpolitik reinzuwaschen.
Als der ägyptische Staatschef Abdel Fattah el Sisi diesen Sommer in Berlin war, traf er sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz, um über die Klimakrise zu sprechen. Welche Politik hat Sisi in Bezug auf den Klimawandel verfolgt?
Sisi hat in Kairo und in den Provinzen fleißig Bäume und riesige Grünflächen abgeholzt und darauf Asphaltstraßen und Betonbrücken gebaut. Auf dem Sinai, wo das Gipfeltreffen stattfindet, hat der Staat katastrophale Projekte durchgeführt und zum Beispiel die Umwelt in St. Catherine zerstört, wo ein von Sisi angeordnetes touristisches Bauprojekt zu Hausabrissen für die örtlichen Bewohner:innen führen wird. Betonbrücken und Straßen werden sich negativ auf das ganze Gebiet auswirken.
Aktive der Klimabewegung werfen dem ägyptischen Staat sogenanntes Greenwashing vor. Kannst du erklären, was das bedeutet und wie es sich äußert?
Greenwashing ist, wenn eine Militärdiktatur Umweltprobleme als Propagandainstrument nutzt, um ihre düstere Menschenrechtsbilanz zu verbessern. Der ägyptische Staat lässt keine Gelegenheit um Öffentlichkeitsarbeit zu instrumentalisieren aus und versucht, seinen Ruf zu verbessern, um seine Verbrechen gegen seine Bürger:innen zu vertuschen. Die Einladung ausländischer Repräsentant:innen zum Gipfeltreffen in der Touristenstadt Scharm el Scheich, egal ob das Thema Umwelt oder etwas anderes ist, ist eine konstante Politik. Und es ist entmutigend zu sehen, dass deutsche Institutionen wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung (die in dem Land gar nicht tätig sein darf) an solchen Gipfeltreffen teilnehmen und dazu beitragen, die Militärdiktatur grün zu waschen, dessen Verbrauch an fossilen Brennstoffen etwa 97 Prozent des gesamten Energieverbrauchs ausmacht.
Welchen Standpunkt haben die Gewerkschaften zum Klimawandel eingenommen?
Die unabhängigen Gewerkschaften wurden nach dem Putsch 2013 zerschlagen. Der derzeitige Gewerkschaftsverband in Ägypten wird vom Staat geführt.
Der ägyptische Staat hat erklärt, dass es auf der Konferenz Platz für die Opposition geben wird. In einer Erklärung schreibt die Egyptian Campaign for Climate and Democracy jedoch: »Keine ägyptischen Oppositionellen werden während der Konferenz in die Nähe von Scharm El-Scheich gelassen werden. Es wäre eine Schande, wenn echte globale Graswurzelbewegungen dazu verleitet werden, an einer solchen staatlich orchestrierten Scharade teilzunehmen.«
Was würdest Du den Organisationen, die zur COP 27 eingeladen wurden, empfehlen?
Sie sollten die Konferenz boykottieren und sich nicht an dieser Scharade beteiligen.
Einige mögen argumentieren, dass »wir« dann ja alle COP-Konferenzen boykottieren müssten, weil es kein Land mit einer völlig sauberen Menschenrechtsbilanz gibt. Was würdest Du darauf antworten?
Eine Militärdiktatur, die mindestens 60.000 politische Gefangene eingesperrt hält und keinerlei Raum für abweichende Meinungen zulässt, sollte nicht mit einem Land wie z.B. Finnland verglichen werden! Dieses Argument ist einfach nur opportunistisch.
In Ägypten gibt es 60.000 politische Gefangene. Warum ist der ägyptische Staat so hart gegen die Opposition vorgegangen?
Das derzeitige Regime ist aus dem Militärputsch von 2013 hervorgegangen, mit dem Ziel, die Revolution von 2011 niederzuschlagen. Konterrevolutionäre Regime greifen auf ein noch nie dagewesenes Maß an staatlicher Gewalt zurück, um jede Aussicht auf einen weiteren Aufstand zu zerstören.
Könntest Du uns etwas über die Situation einiger dieser Gefangenen sagen?
Die Situation ist gekennzeichnet von überfüllten Gefängniszellen, keine medizinische Versorgung, Folter ist systematisch, Dutzende sterben jedes Jahr in den Haftanstalten.
Du bist Mitglied der Ägyptischen Revolutionären Sozialisten, einer Organisation, die von schweren Repressionen durch den ägyptischen Staat betroffen ist. Wie ist die Situation der Oppositionsgruppen in Ägypten seit dem Militärputsch von Abdel Fattah el Sisi im Jahr 2013?
Revolutionäre Gruppen wurden von den Sicherheitsdiensten zerschlagen, entweder durch Massenverhaftungen, Beschlagnahmung von Vermögenswerten, Aufnahme der Anführer:innen und Mitglieder in sogenannten Terrorlisten und durch gezielte Untersagen von Versuchen, an Wahlen teilzunehmen oder sich auf der Straße zu organisieren.
Der sozialistische Journalist Hisham Fouad und der Anwalt für Arbeitnehmerrechte Haitham Mohamedain wurden kürzlich aus dem Gefängnis entlassen. Unter welchen Umständen waren sie im Gefängnis?
Hisham Fouad und Haitham Mohamedain wurden im Rahmen der staatlichen Bekämpfung der linken Opposition inhaftiert. Sie wurden unter erbärmlichen Bedingungen gehalten und erhielten kaum die notwendige medizinische Versorgung. Sie befinden sich derzeit in einem schlechten Gesundheitszustand und versuchen, sich zu erholen. Beide Führer der Revolutionären Sozialisten wurden nach dem Staatsstreich auch auf eine Terrorliste gesetzt, um ihre Bankkonten und ihren gesamten Besitz zu beschlagnahmen.
Die Kampagne zur Freilassung des inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Alaa Abdel Fattah hat von »No COP 27 until Alaa is free« gesprochen. Wie können Aktivist:innen in Deutschland und anderswo Solidarität zeigen und die Kampagne für die Freilassung von Alaa und anderer politischer Gefangener in Ägypten im Hinblick auf die COP 27 befördern?
Sie sollten die Gelegenheit nutzen, Ägypten ins Rampenlicht zu rücken, und Druck auf die deutsche Regierung ausüben, damit sie die Waffenverkäufe und die Sicherheitszusammenarbeit mit dem ägyptischen Militärregime einstellt.
Danke für das Interview, Hossam.
Dieses Interview erschien zurerst bei marx21.de auf Englisch.
Foto: Alisdare Hickson
Schlagwörter: Ägypten, Klima, Militärdiktatur