Das Bündnis #unteilbar hat letztes Jahr in Berlin Hunderttausende für eine solidarische Gesellschaft auf die Straße gebracht. Nun planen die Aktivistinnen und Aktivisten, den Landtagswahlkampf in Sachsen zu einem Sommer der Solidarität zu machen. Wir sprachen mit Nam Duy Nguyen und Jary Koch darüber, wie sie das anstellen wollen
Nam Duy Nguyen und Jary Koch sind aktiv bei Die LINKE.SDS in Leipzig sowie im Bündnis #unteilbar in Sachsen.
marx21.de: Letzten Herbst sind unter dem Motto #unteilbar in Berlin eine Viertelmillion Menschen auf die Straße gegangen. Nach einer starken Auftaktdemo in Leipzig ruft ihr nun bundesweit am 24. August nach Dresden auf. Warum der Fokus auf Sachsen?
Nam: Bei der vergangenen Europawahl wurde die AfD mit 25 Prozent stärkste Kraft in Sachsen, was schon länger abzusehen war. Wenn die Ergebnisse der Landtagswahl ähnlich ausfallen, wird eine schwarz-blaue Koalition zur realen Gefahr und könnte damit ein bundesweites Erdbeben auslösen. Deshalb geht Sachsen alle an und ist dieses Jahr von besonderer Bedeutung.
Ist es in Sachsen nicht besonders schwer, Massenproteste gegen rechts auf die Straße zu bekommen?
Nam: Auch in Sachsen gibt es einen solidarischen und widerständigen Pol, dem wir mit den geplanten #unteilbar-Protesten Ausdruck verleihen möchten. Das ist uns in Leipzig bei unserer Auftaktdemonstration vergangenen Samstag gelungen. 7500 Menschen sind auf die Straße gegangen, um ein Zeichen gegen Ausgrenzung und für eine solidarische Gesellschaft zu setzen. Für den Moment haben wir gezeigt, worin wir uns grundlegend einig sind: Solidarität ist und bleibt #unteilbar.
#unteilbar: Mehr als Antirassismus
Bislang hat #unteilbar mit der riesigen Demo im letzten Herbst in Berlin auf sich aufmerksam gemacht. Ist das Bündnis jetzt in die Provinz umgezogen?
Nam: Nein, wir haben im Frühjahr das #unteilbar-Bündnis in Sachsen gegründet, als Teil des bundesweiten Bündnisses, das in Berlin auch weiterhin besteht.
Die Demonstration in Leipzig war eine Auftaktdemonstration. Auftakt wofür?
Jary: Für einen Sommer der Solidarität! Viele von uns sind schon seit Jahren aktiv und uns ist natürlich auch bewusst, dass es noch Jahre dauern wird, bis wir die Rechten zurückgedrängt haben. Wir sagen aber: Wann, wenn nicht jetzt sollten wir unsere Bemühungen noch verstärken? Deshalb möchten wir in Sachsen während des Landtagswahlkampfs eine aktive Protestkultur etablieren – solidarische Politik von unten.
Aber ist solidarische Politik nicht viel mehr als Widerstand gegen rechts?
Jary: Ja, viel mehr! Wir wollen eine offene und solidarische Gesellschaft stärken, die Widerstand übt gegen den weit verbreiteten Rassismus, aber auch gegen den Personalmangel in Schulen und Krankenhäusern, gegen den Demokratieabbau durch das neue Polizeigesetz und vieles mehr. All das gehört zu #unteilbar.
Kampf gegen rechts in Sachsen
Die Auftaktdemo in Leipzig war sozusagen noch ein Heimspiel für die Linke. In anderen Teilen Sachsens dominiert die Rechte. Bekommt ihr bereits viel Gegenwind?
Nam: Gegenwind gibt es wohl überall, wo Menschen sich zusammentun, Druck von unten aufbauen und Widerstand gegen die herrschende Politik organisieren. In Sachsen gibt es noch einmal mehr Gegenwind als anderswo, da wir uns hier mit einer besonders rechten CDU konfrontiert sehen und wir Nazis auf den Straßen und bald wohl auch noch mehr davon im Landtag sitzen haben. Für unsere Bündnisarbeit ist dieser Umstand aber bislang kein Hindernis. Im Gegenteil: Diese Verhältnisse führen uns noch einmal mehr die Dringlichkeit von zivilgesellschaftlichem Protest vor Augen. Mit 7500 Leuten war die Demo für Leipzig ziemlich groß, eben weil die Menschen wissen, dass wir jetzt zusammenhalten müssen.
Auch in einem Bundesland, in dem verhältnismäßig wenig Muslime leben, baut die AfD vor allem über das Feindbild Islam auf
Warum ist die AfD gerade in Sachsen so stark?
Jary: Das ist eine längere Geschichte: Die CDU regiert hier seit der Wende und hat Sachsen einerseits zum Billiglohnland Nummer 1 in Deutschland gemacht und andererseits zivilgesellschaftliches Engagement immer wieder behindert. Während Nazis hier in Ruhe ihre Strukturen bis hin zu Terrornetzwerken aufbauen konnten – der NSU hielt sich lange hier auf –, wurden die Proteste von »Dresden Nazifrei«behindert und kriminalisiert.
Entscheidend ist auch die Politik der Treuhand: In den 1990er-Jahren ist hier mehr schief gelaufen, als wir uns heute vorstellen können. Die Aufarbeitung steht noch aus und nimmt im Jubiläumsjahr der friedlichen Revolution auch endlich ein bisschen Fahrt auf.
Entscheidend ist aber vor allem der Rassismus: Ohne die rassistischen Pegida-Demos der letzten Jahre wäre die AfD niemals da, wo sie heute steht. Auch in einem Bundesland, in dem verhältnismäßig wenig Muslime leben, baut die AfD vor allem über das Feindbild Islam auf.
Im #unteilbar-Bündnis sind viele große bundesweite Organisationen und Initiativen gebündelt. DGB, ver.di und IGMetall unterstützen #unteilbar mittlerweile auf Bundesebene. Wie sieht es mit der Unterstützung aus Sachsen selbst aus?
Jary: Allein die Liste der Erstunterzeichner aus Sachsen ist sehr lang und es kommen immer mehr Unterzeichnende dazu. Von der AWO über das Kulturbüro Sachsen bis zum Leipziger Zentrum für europäische und orientalische Kultur haben wir die unterschiedlichsten Organisationen, Vereine und Initiativen für die Unterstützung des Aufrufs und der Demonstrationen gewinnen können. Unsere Auftaktdemo in Leipzig startete mit einem Straßenbrunch bei einem Stadtteilzentrum. Auf unserer Abschlusskundgebung sprachen der Betriebsrat von Teigwaren Riesa und ein Kollege aus dem Siemens-Werk aus dem Leipziger Stadtteil Plagwitz über Solidarität am Arbeitsplatz, vier Frauen vom Dachverband der Migrantinnenorganisationen (DaMigra) über den Kampf gegen Rassismus, Pfarrer Andreas Dohrn über die Verantwortung der Kirchen und viele mehr.
Breit und entschlossen
Was zeichnet #unteilbar im Vergleich zu anderen Bündnissen gegen rechts aus?
Nam: #unteilbar vereint zurzeit viele derjenigen, die den Trumps, Höckes und Le Pens dieser Welt die Stirn bieten wollen. Ich habe noch nie so ein breites und doch entschlossenes Bündnis erlebt. Eine Stärke von #unteilbar ist dabei sicherlich, dass wir nicht stehen bleiben wollen beim Status quo. Wir bringen zum Ausdruck, dass wir die Antwort der Rechten auf existierende Probleme – Ausgrenzung und Rassismus – schrecklich und falsch finden und schlagen stattdessen vor, gemeinsam eine Antwort der Solidarität aufzubauen. Durch das Zusammenführen von unterschiedlichen Themenfeldern und Kämpfen werden dabei auch Räume für Debatten geöffnet.
Was meinst Du damit?
Nam: Bei #unteilbar kommen zum Beispiel antirassistische Initiativen, Gewerkschafterinnen und Fridays for Future-Gruppen zusammen und diskutieren darüber, wie ihre Kämpfe zusammenhängen – nicht nur in Bezug auf Ursachen, wie neoliberale Politik, Imperialismus und Rassismus, sondern auch auf gemeinsame Perspektiven.
#unteilbar richtet sich an alle, die bereit sind, für eine andere, eine solidarische Gesellschaft in Bewegung zu kommen, auf die Straße zu gehen und zu kämpfen
#unteilbar will ein Zeichen für eine solidarische Gesellschaft setzen. Gibt es dafür konkrete Forderungen?
Nam: Wir haben wenig konkrete Forderungen, jedoch klare politische Positionen, unter anderem die entschiedene Ansage: Flucht, Migration, Antirassismus und soziale Frage gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Und obwohl wir keinen ausformulierten Forderungskatalog haben, wird in unserem Aufruf einiges benannt, das sich ändern müsste, etwa der Mangel an Investitionen in Bildung, Pflege, ÖPNV, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, die Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl, bei gleichzeitiger Verschärfung der Sicherheitsgesetze und steuerlich begünstigter Milliardengewinne.
An wen richten sich eure Demonstrationen? Wen wollt ihr erreichen und an wen adressiert ihr euren Protest?
Jary: Zur Demonstration kamen Klimaaktivistinnen, Kulturschaffende, Feministinnen, Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sowie all jene, deren Lebensbedürfnisse und Wünsche im Gegensatz zu den Vorhaben der AfD, aber auch zur Politik der CDU stehen. #unteilbar richtet sich also an alle, die bereit sind, für eine andere, eine solidarische Gesellschaft in Bewegung zu kommen, auf die Straße zu gehen und zu kämpfen.
Mit SPD und Grünen gegen AfD?
Die Forderung nach einer solidarischen Gesellschaft klingt schön und gut. Aber wie glaubwürdig ist es, dafür Seite an Seite mit SPD und Grünen zu demonstrieren, die für Krieg, Sozialabbau und Abschottungspolitik mitverantwortlich sind? Braucht es nicht radikalere linke Antworten auf den Aufstieg der Rechten?
Jary: Der Sozialabbau der Agenda 2010 und auch die Abschottungspolitik der etablierten Parteien werden im Aufruf direkt angegriffen. Auch auf unseren Demonstrationen haben und werden SPD und Grüne harte Kritik einstecken müssen. Trotzdem wäre es falsch, die Parteien, die bei #unteilbar ja ohnehin nie in der ersten Reihe stehen, von vornherein vom Protest auszuschließen.
Und außerdem: Radikalität bemisst sich nicht nur an der Schärfe von Formulierungen, sondern unter anderem an der Anzahl der Menschen, die gemeinsam auf der Straße Druck machen für wirkliche Veränderung und dabei Solidarität und Vertrauen untereinander aufbauen.
Mit starken antirassistischen Demonstrationen im Rücken lässt sich die Diskussion im Alltag viel besser führen und vor allem gewinnen
Denkt ihr, #unteilbar kann auch Menschen erreichen, die schon mit Positionen der AfD sympathisieren und vielleicht darüber nachdenken, sie zu wählen?
Jary: Menschen vertreten oft widersprüchliche Positionen zur selben Zeit. Einige meinen, die vielen Flüchtlinge seien ein Problem, doch wenn es um einen Kollegen bei der Arbeit geht, sagen sie: »Der muss bleiben, der ist ein Guter.«
Inwieweit #unteilbar Leute, die nach rechts tendieren, zurückgewinnen kann, wird also auch davon abhängen, wie stark wir an solche widersprüchlichen Elemente anknüpfen können. Im Fokus des Bündnisses sind aber die vielen Menschen, die sich bisher nicht getraut haben, ihren Unmut über den Rechtsruck in politische Aktivität zu überführen. Wenn die alle gemeinsam aufstehen, werden auch weniger Leute die AfD wählen. Denn ob am Frühstückstisch, bei der Geburtstagsfeier oder auf der Arbeit: Mit starken antirassistischen Demonstrationen im Rücken lässt sich die Diskussion im Alltag viel besser führen und vor allem gewinnen.
Massenprotest und lokales Engagement
Großdemonstrationen können ein wichtiges Zeichen setzen, aber braucht es nicht letztlich mehr Engagement und Widerstand vor Ort, um die AfD und andere rechte Kräfte zurückzudrängen?
Jary: Große Demonstrationen sind ein zentraler Bestandteil des Kampfes gegen rechts und für unsere Bewegung für eine solidarische Gesellschaft: Während der Mobilisierungsphase und bei der Demo in Leipzig wurde spürbar, wie viele Menschen auf unserer Seite stehen. Das kann die Atmosphäre in einer Stadt verändern und progressive Kräfte in Bündnisorganisationen stärken. Zu wissen, wie viele wir sind, macht uns mutiger und stärker für die vielen anderen Ebenen, auf denen wir den Rechten die Stirn bieten: Für klare Positionierungen statt Verharmlosung der Rechten als »besorgte Bürger«, für lokale Protestaktionen und Aufklärung über die AfD, für die Diskussionen im Alltag vom Arbeitsplatz bis zum Wahlkampfstand. Aber natürlich braucht es letztlich mehr als Großdemos – viel mehr. Ich glaube das bestreitet auch niemand. Dennoch sind sie ein unerlässlicher Baustein.
Eine Woche vor der Landtagswahl ist der entscheidende Moment, um dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen Farbe bekennen
Wie kann man sich bei euch engagieren und die bundesweite #unteilbar-Demo am 24. August in Dresden unterstützen?
Nam: In Leipzig, Dresden, Chemnitz und Berlin finden zur Zeit regelmäßig Aktiventreffen statt. Dazu sind alle herzlich eingeladen, die an der Organisation der Proteste in Dresden mitwirken wollen. Außerdem freuen sich die Leute von #WannWennNichtJetzt sicher über helfende Hände bei den Stopps ihrer Konzert- und Martkplatztour durch ganz Ostdeutschland, die auch von #unteilbar unterstützt wird.
Am besten aber ist es, vor Ort eine Veranstaltung zum Thema zu organisieren, zum Beispiel zusammen mit dem lokalen Bündnis gegen rechts oder der Students for Future-Gruppe oder auch mit der LINKEN, dem SDS oder anderen linken Organisationen und Strukturen, und dann mit dem Bus oder dem Zug am 24. August nach Dresden zu kommen. Jeder und jede zählt.
Eine Woche vor der Landtagswahl ist der entscheidende Moment, um dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen Farbe bekennen: gegen AfD, Faschismus und das neoliberale »Weiter so« – für eine andere, eine solidarische Gesellschaft!
Danke euch beiden für das Gespräch.
Das Interview führte Elina Fleurs
Foto: Die LINKE.SDS Leipzig
Schlagwörter: AfD, Antirassismus, Inland, Rassismus, Sachsen, unteilbar