Nach dem Mord an fünf Polizisten in Dallas durch einen Heckenschützen sprechen die US-Medien von einem »War on Cops« und machen die »Black Lives Matter«-Bewegung dafür verantwortlich. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Nach dem Attentat von Dallas versuchen die US-Behörden systematisch den Rassismus in den eigenen Reihen herunterzuspielen. Ihre Antwort auf die »Black Lives Matter«-Bewegung: Sie drehen den Spieß um – und werfen den Aktivistinnen und Aktivisten selbst Rassismus vor. So New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani. Der republikanische Politiker meinte, der Name »Schwarze Leben zählen« sei an sich schon rassistisch. Auch die meisten Medien in den USA nahmen die Morde als Vorwand, um die »Black Lives Matter«-Bewegung anzugreifen. So hätte die Bewegung angeblich selbst einen »War on Cops« oder »War on Police« ausgelöst, also einen »Krieg gegen die Polizei«.
Gibt es einen »Krieg gegen die Polizei«?
Laut Umfragen sind 65 Prozent der US-Bevölkerung überzeugt, es gebe in den USA einen »Krieg gegen die Polizei«. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: 2016 starben in den USA bislang 36 Polizisten an Schussverletzungen. Sowohl nach Erhebungen der Gedenkorganisation National Law Enforcement Officers Memorial Funds (NLEOMF) als auch des FBI war 2015 mit eines der sichersten Jahre für Polizisten in den vergangenen Jahrzehnten.
Dem NLEOMF zufolge starben 2015 insgesamt 124 Polizisten im Dienst. Zum Vergleich: Anfang der Nuller Jahre waren es fast doppelt so viele. Von einem Krieg gegen Polizisten zeugen diese Zahlen nicht. Auch das Handelsblatt schreibt: »Was ist der gefährlichste Job in den Vereinigten Staaten? Polizist, privater Wachmann, Schusswaffen-Trainer? Weit gefehlt. Die gefährlichsten Jobs der USA haben laut einer Statistik der Behörde für Arbeitsmarktdaten Holzfäller, Fischer, Piloten und Dachdecker. Polizisten sind nicht einmal unter den obersten zehn Plätzen im Ranking derer, die bei der Arbeit statistisch gesehen am wahrscheinlichsten sterben können.«
Wieviele Menschen durch die US-Polizei getötet wurden
Gleichzeitig tötete die US-Polizei dieses Jahr bereits 569 Menschen. Die Zeitung der Guardian dokumentiert jeden Toten in einer detaillierten Datenbank. Dabei werden unbewaffnete Schwarze fünfmal häufiger von der Polizei erschossen als Weiße. Die Polizisten bleiben meist straffrei.
In dem marx21 Artikel: »Nach Ferguson: Eine neue Bürgerrechtsbewegung?« schrieben wir zum Fall des 18-Jährigen Michael Brown, der am 9. August 2014 von einem Polizisten auf offener Straße mit sechs Schüssen erschossen wurde: »Schätzungen zufolge wird alle 28 Stunden eine schwarze Person von der Polizei oder einer Bürgerwehr erschossen. Selbst das FBI gibt zu, dass zwischen 2007 und 2012 etwa 500 schwarze Männer von der Polizei getötet wurden – ungefähr zwei pro Woche. Die zumeist weißen Täterinnen und Täter werden dafür jedoch so gut wie nie bestraft. Der Fall von Michael Brown ist hierfür beispielhaft: In der Amtszeit des zuständigen Staatsanwalts im Landkreis St. Louis gab es bisher mindestens zwölf Fälle, in denen Menschen durch Schüsse der Polizei ums Leben kamen. Doch in allen zwölf Fällen haben die Geschworenen sich gegen eine Anklage entschieden.« Das ist kein Einzelfall.
Rassismus hat System
Journalisten der Washington Post haben gemeinsam mit dem Kriminologen Philip M. Stinson Tausende Seiten Gerichtsakten ausgewertet, mit Dutzenden Anwälten und Verteidigern gesprochen, Polizisten befragt und Angehörige von Opfern interviewt. Das Ergebnis ihrer Recherchen fast die SZ wie folgt zusammen: »Wenn amerikanische Polizisten Menschen erschießen, müssen sie nur wenig Angst vor Strafverfolgung haben. In den vergangenen zehn Jahren haben amerikanische Polizisten während ihrer Einsätze Tausende Menschen erschossen. Recherchen der Washington Post zeigen, dass in lediglich 54 Fällen Anklage erhoben wurde, nur elf Beamte wurden verurteilt.«
Die ungeahndeten Morde der Polizei sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Schwarze werden in den USA in nahezu allen Lebensbereichen systematisch diskriminiert, ausgegrenzt und erniedrigt, ob auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche oder bei den Bildungschancen. Sie sind täglich rassistischen Demütigungen individueller und kollektiver Art ausgesetzt.
Es ist unmöglich, die Brutalität der Polizei und das Unrecht des Justizsystems von der Armut und Unterbeschäftigung innerhalb der schwarzen Gemeinschaften zu trennen. Es ist unmöglich, einen Rückgang der Polizeigewalt zu fordern, ohne die Überbelegung der Gefängnisse, den Drogenkrieg und die ökonomischen Zwänge zu thematisieren, die Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner besonders treffen. Diese Probleme werden sich angesichts der fortdauernden Zerstörung des öffentlichen Sektors, der urbanen Umstrukturierung sowie der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt noch verschärfen.
Widerstand wächst
In diesem Kontext ist das aggressive Verhalten der Polizei zu einem integralen Bestandteil des Systems geworden. Es dient dazu, die Grenzen zwischen den segregierten weißen und schwarzen Wohngegenden aufrechtzuerhalten und Jagd auf ökonomisch marginalisierte junge schwarze Männer zu machen, die in die Schattenwirtschaft gedrängt wurden. Solange die zerstörerische Sparpolitik fortgesetzt wird, ist nicht zu erwarten, dass die Konfrontationen und Provokationen der Polizei in den schwarzen Gegenden abnehmen werden. Deswegen wächst auch der Widerstand: In zahlreichen US-Städten gehen Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren.
Foto: Elvert Barnes
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Schlagwörter: Attentat, Black lives matter, BlackLivesMatter, BLM, Linke, Obama, Polizei, Polizeigewalt, Rassismus, Tote, US-Wahl, USA, Widerstand