Auch die Linke in den USA zeigt sich geschockt über den Wahlsieg von Donald Trump. Doch statt der Bevölkerung die Schuld zu geben, nimmt sie sich die Eliten vor. Megan Erickson, Katherine Hill, Matt Karp, Connor Kilpatrick und Bhaskar Sunkara analysieren die Gründe für das Desaster und ziehen Schlussfolgerungen für die Linke
Wir haben keine Illusionen über die Auswirkungen von Donald Trumps Sieg. Es ist ein Desaster. Die Aussicht auf eine vereinte rechte Regierung, geführt von einem autoritären Populisten, ist eine Katastrophe für die gesamte Arbeiterklasse. Es gibt zwei Möglichkeiten auf diese Situation zu reagieren. Die eine ist, der US-Bevölkerung die Schuld zu geben, die andere ist, die Eliten des Landes verantwortlich zu machen.
In den kommenden Tagen und Wochen werden viele »Experten« ersteres tun. Verängstigte Liberale haben bereits Erklärungen verfasst, wie man nach Kanada auswandern kann. Zwischenzeitig ist die Internetseite der kanadischen Einwanderungsbehörde aufgrund der hohen Zugriffszahlen zusammengebrochen. Diejenigen, die uns an diesen Abgrund getrieben haben, planen nun ihre Flucht.
Die Scheinheiligkeit der politischen Klasse
Die Schuld für Trumps Sieg der amerikanischen Bevölkerung in die Schuhe zu schieben, ist Ausdruck genau jener elitären Haltung, die Trumps Wählerinnen und Wähler überhaupt erst zusammengeführt hat. Ohne Frage spielten Rassismus und Sexismus eine entscheidende Rolle für Trumps Aufstieg und es ist erschreckend darüber nachzudenken, wie sein Triumph dazu beitragen wird, die grausamsten und fanatischten Kräfte der amerikanischen Gesellschaft weiter zu stärken.
Dennoch, sich lediglich über Trump zu empören, ist keine politische Antwort, sondern Ausdruck einer politischen Lähmung. Und eine Antwort auf die Scheinheiligkeit der amerikanischen politischen Klasse, die nicht über moralische Empörung und Denunziation der Wählerinnen und Wähler hinausgeht, ist überhaupt keine Politik, sondern deren Gegenteil. Es ist eine Kapitulation.
Zu glauben Trumps Anziehungskraft basiere vollständig auf ethnischem Nationalismus, bedeutet zu glauben, dass nahezu die Mehrheit der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner lediglich durch Hass und das Verlangen nach einem rassistischen Programm angetrieben wird. Das glauben wir nicht. Und auch die Fakten belegen das nicht. Die Wahl wurde von den gleichen Menschen entschieden, die 2012 noch Barack Obama wählten, wie es Nate Cohn von der New York Times formulierte. Sie können nicht alle Fanatiker sein.
Das Problem mit Clinton
Obama konnte vor vier Jahren noch 71 Prozent der Wählerinnen und Wählern mit lateinamerikanischen Wurzeln für sich gewinnen. Clinton erreichte unter ihnen nur 65 Prozent der Stimmen, obwohl sie gegen einen Kandidaten antrat, der eine Mauer entlang der südlichen US-Grenze fordert – ein Kandidat, der seine Kampagne damit begann Mexikaner als Vergewaltiger zu beschimpfen. Clinton gewann auch nur 34 Prozent der Stimmen von weißen Frauen ohne College-Abschluss und nur 54 Prozent der weiblichen Stimmen insgesamt – weniger als Obama, dem 2012 noch 55 der Wählerinnen ihre Stimme gaben. Dabei trat Clinton gegen einen Kandidaten an, der sich öffentlich damit brüstete, Frauen zu begrabschen.
Für die verlorene Wahl wird Clinton als Kandidatin verantwortlich gemacht werden, aber sie verkörpert lediglich den Konsens in der Führung der Demokratischen Partei. Unter Präsident Obama haben die Demokraten beinahe eintausend Parlamentssitze in den Bundesstaaten verloren, hinzu kommen ein Dutzend verlorene Gouverneurswahlen, 69 Sitze im Repräsentantenhaus und 13 im Senat. Die Niederlage gegen Trump kam also nicht aus dem Nichts.
Das Problem mit Clinton war nicht ihre Eigentümlichkeit, sondern ihre Gewöhnlichkeit. Es war charakteristisch für die Demokratische Partei, dass die mächtigen Akteure in Washington über ihre Nominierung entschieden – viele Monate bevor auch nur eine einzige Abstimmung abgehalten wurde. Sie trafen eine verhängnisvolle Entscheidung für uns alle, indem sie bei den Vorwahlen mit aller Kraft jene Art von Politik bekämpften, die hätte gewinnen können: Eine Politik im Interesse der Arbeiterklasse.
Das Gefühl der Entfremdung
72 Prozent der US-Bürger, die am 8. November wählen gingen, gaben an, dass sie glauben die Wirtschaft werde »im Interesse der Reichen und Mächtigen manipuliert«. 68 Prozent stimmten der Aussage zu, dass »die traditionellen Parteien und Politiker sich nicht um Menschen wie sie kümmern.« Bernie Sanders war beinahe der einzige Politiker der Demokratischen Partei, der dieses Gefühl der Entfremdung und des Zorns ansprach. Er hatte eine einfache Botschaft für die Menschen in den USA: Ihr habt mehr verdient und ihr seid im Recht, wenn ihr das auch einfordert – Gesundheitsversorgung, Hochschulbildung, einen existenzsichernden Lohn. Das ist eine Botschaft, die ihn zum mit Abstand beliebtesten Politiker des Landes machte.
Hillary Clintons offizielle Plattform näherte sich einigen von Sanders konkreten Ideen an, aber sie lehnte seine Kernbotschaft ab. Für die federführenden Verantwortlichen innerhalb der Demokratischen Partei ergab es keinen Sinn gegen Amerika zu wettern. Für sie hat Amerika nie aufgehört großartig zu sein und die Dinge könnten sich lediglich weiter verbessern. Die Parteiführer verlangten von den Wählerinnen und Wählern, dass sie ihnen die Politik überlassen. Sie glaubten, sie hätten alles unter Kontrolle. Sie lagen falsch. Jetzt haben wir mit den Konsequenzen umzugehen. Und das werden wir auch.
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Dies ist eine neue Ära, die eine neue Form von Politik erfordert – eine Politik, die die dringenden Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen anspricht, anstatt ihre Ängste. Elitärer Liberalismus ist, wie sich gezeigt hat, nicht in der Lage den Rechtspopulismus zu besiegen. Wir können nicht nach Kanada auswandern oder uns unterm Bett verstecken. Dies ist ein Moment, in dem wir demokratische Politik hochhalten müssen, anstatt sie zurückzuweisen.
Dieser Artikel ist zuerst auf englisch unter dem Titel »Politics Is the Solution« auf Jacobinmag.com erschienen. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung. Übersetzung ins Deutsche von Martin Haller.
Foto: JeepersMedia
Schlagwörter: Clinton, Obama, Populismus, Trump, US-Wahl, USA