Der Straßenbau in Deutschland ist das Ergebnis fossiler Planwirtschaft und hat wachsende Verkehrsströme zu Folge. Ohne Rebellion werden die Weichen nicht umgestellt. Von Sabine Leidig
Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) ist ein Rahmenprogramm über 15 Jahre der Bundesregierung für den Ausbau von Bundesfernstraßen (Bundesstraßen und Autobahnen), Schienenwegen des Bundes sowie Bundeswasserstraßen. Der laufende BVWP 2030 umfasst 1360 Straßenprojekte, 110 Schienenprojekte und 35 Wasserstraßenprojekte. Diese Planwirtschaft ist auf weiteres Wachstum von Verkehr ausgerichtet. Der Ausbau der Infrastruktur wird hauptsächlich mit Prognosen begründet, die von einem immer weiteren Wachstum der Verkehrsflut ausgehen, weil die Rahmenbedingungen als unverändert angenommen werden: 13 Prozent mehr Pkw- und 38 Prozent mehr Lkw-Verkehr! Man baut den Blechschlangen hinterher und fördert gleichzeitig neue. Der Fachbegriff dafür lautet »induzierte Verkehre«. Das Autobahnnetz in Deutschland ist eines der dichtesten Europas und wächst unaufhörlich. Aber den Strategen im Bundesverkehrsministerium ist das alles nicht genug (Lies hier den marx21-Artikel: »Ausstieg aus dem Autowahn«).
Die Autobahn GmbH
2017 wollte der Bund die alleinige Zuständigkeit für Fernstraßen, um alles zu beschleunigen. Teile der Union wollten vor allem mehr privates Kapital in Autobahnen lenken. Nach viel öffentlichem Druck und monatelangem Ringen führte der Kompromiss zur Autobahn GmbH. Drei Jahre später wird skandalisiert, dass diese neue Mammut-Behörde des Bundes nicht planmäßig auf die Beine gestellt wurde und die versprochene Effizienzsteigerung nicht in Sicht ist. In der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses spuckte der zuständige Staatssekretär allerdings große Töne: »Sie [die Autobahn GmbH] wird so erfolgreich sein, dass sie noch schneller bauen kann. Das ist ja auch der Sinn. Nicht einsparen. Ich gehe davon aus, dass wir denen noch mehr Geld geben müssen, weil die so gut sind und schneller bauen können.«
Autobahnbau ohne Ende?
Tatsächlich hat die GroKo-Mehrheit den Haushaltsetat für Neu- und Ausbau von Autobahnen, der 2020 schon bei der Rekordsumme von 1747 Millionen Euro lag, noch um weitere 383 Millionen Euro aufgestockt. Und das ist der eigentliche Skandal! Das gigantische Straßenbauprogramm mit »Rekordinvestitionen«, für das sich der Bundesverkehrsminister feiert, kommt einer Bankrotterklärung vor Klimaschutz und Nachhaltigkeitszielen gleich.
Mehr Straßen als hier gibt es nur in Japan
Bis 2030 sind insgesamt rund 133 Milliarden Euro für Bundesfernstraßen vorgesehen. Mit jährlich rund 10 Milliarden ist der BVWP-Etat einer der größten Investitionsposten im Bundeshaushalt. Noch immer liegt der Schwerpunkt auf der Straße: Über 880 Kilometer neue Autobahnen, rund 1700 Kilometer Autobahnausbau und rund 3500 Kilometer neue Bundesstraßen sollen bis 2030 entstehen.
Autobahnbau für Amazon
Darunter sind solche Dinosaurierprojekte wie die über 100 Kilometer lange Küstenautobahn A20 in Niedersachsen, die A39 von Wolfsburg nach Lüneburg, die A14 von Magdeburg nach Schwerin, die A94 in Bayern. In Hessen geht es nicht nur um den umkämpften Bauabschnitt der A49, sondern um den hochproblematischen Weiterbau der A44 und den acht- oder zehnstreifigen Ausbau von mehreren Autobahnen im Rhein-Main-Gebiet. Fast jedes Straßenbauprojekt wird mit örtlichen Verkehrsprobleme begründet. Im Kern aber geht es – wie bei allen neuen Autobahnen – gar nicht um die Unterstützung einer Region, sondern vor allem um den transeuropäischen Transportverkehr der »Exportnation» in wachsenden Lastwagenkolonnen; um Ausweichrouten für die »rollenden Lagerhallen« und für die fortgesetzte »Amazonisierung« der Warenwelt. Beim »Lückenschlussder« A49 sollen mehr als 1,4 Milliarden Euro in ein ÖPP-Projekt gepumpt werden. Die »Öffentlich-Private-Partnerschaft« verspricht dem Kapitalinvestor Gewinne – zulasten der Allgemeinheit. Auch an diesem Autobahnabschnitt sind weitere Flächenversiegelung für den »Logistikstandort« vorgesehen.
Alternativen zum Autobahnbau
Dabei liegen gute Alternativkonzepte vor. Damit könnten die Verkehrsprobleme schneller gelöst, hunderte Millionen Euro gespart und die Umwelt geschützt werden. Verbände und Bürgerinitiativen machen sich für drei Bahnprojekte stark, die regionale Verbindungen schaffen, Gütertransporte auf der Schiene erleichtern, vielen Pendlerinnen und Pendler Staustrecken ersparen und eine Alternative zur Autofahrerei bieten können – dabei müsste relativ wenig neu gebaut werden, weil stillgelegte Gleise reaktiviert werden können.
Wir brauchen einen Bruch mit der neoliberalen Verkehrspolitik
Doch der Bau neuer Autobahnen stellt das Rückgrat der kapitalkonformen »Schneller-schwerer-weiter-Ideologie« dar. Gegen solche Straßenbau-Borniertheit helfen die besten Argumente und alternativen Konzepte wenig. Widerstand ist angesagt. Denn längst ist klar, dass eine solche Bundesverkehrswegeplanung nicht für eine klimagerechte Zukunft taugt (Lies hier den marx21-Artikel: »Verkehrswende: Autostadt adé!?«)
Waldbesetzung gegen Autobahnbau
Die Waldbesetzung gegen den Bau der A49 hat die gesellschaftliche Auseinandersetzung um den Autobahnbau sehr belebt. Bürgerinitiativen, die schon lange gegen zerstörerische Straßenpläne kämpfen, schöpfen frischen Mut, neue Initiativen und Bündnisse werden gebildet. In wenigen Monaten wurde aus dem Kampf um den »Danni« von der lokalen Protestaktion ein bundesweiter Bezugspunkt der Klimagerechtigkeitsbewegung. Es entsteht eine bundesweite Vernetzung und vielleicht eine Bewegung, die den BVWP grundsätzlich in Frage stellt. In Großbritannien geschah ähnliches in den 90er Jahren: mit Waldbesetzungen und anderen Formen des zivilen Ungehorsams wuchs eine starke Bewegung, die öffentliche Meinung kippte und 1995 wurde das große Straßenbauprogramm der Thatcher-Regierung mit über 300 Projekten zu Fall gebracht.
»Autobahnbaustop« hat im Bundestagswahljahr 2021 das Potenzial zum »Mietendeckel der Mobilität« zu werden. Das Umsteuern öffentlicher Investitionen zur Stärkung von Bahn, Öffis, Fuß und Fahrradmobilität ist naheliegend. Die Unterstützung regionaler (Land-)wirtschaften und Transparenz über die Frage, was eigentlich warum transportiert wird und wer darüber entscheidet, kommen auf die Tagesordnung. Wir sollten Städte und Gemeinden für soziales Leben umgestalten, statt den Durchgangsverkehr zu verwalten.
Gemeinsam für sozial und ökologisch gerechte Verkehrskonzepte
Solche Themen gehen kommunal-, landes- und bundespolitisch Hand in Hand, bieten Chancen für kleinere und größere Aktionen und viel Raum für Bündnisarbeit – auch in die Betriebe hinein, zu Gewerkschaften und Betriebsräten. Die neue Allianz der Gewerkschaften Ver.di und EVG mit Fridays for Future, BUND, BUND-Jugend, Attac, VCD, Changing Cities, Naturfreunde und Campact veröffentlichte im September 2020 ein gemeinsames Forderungspapier. Ein wesentlicher Punkt darin: «dass die autozentrierte Verkehrsplanung der letzten Jahrzehnte beendet und die Mittel aus dem Fernstraßenneubau zu Gunsten des Umweltverbundes umgewidmet werden». Es geht um zig Milliarden Euro, die längst für sozial und ökologisch gerechte Verkehrskonzepte gebraucht werden.
Eine neue Allianz
Die Gewerkschaften Ver.di und EVG, Fridays for Future, BUND, Attac, VCD, Changing Cities, Naturfreunde und Campact veröffentlichte im September 2020 ein gemeinsames Forderungspapier zur Verkehrswende. Hier Auszüge: »Der ÖPNV wird täglich von 24 Millionen Menschen genutzt und ist ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge. Busse und Bahnen bietendie Chance, die seit 1990 nicht gesunkenen CO2-Emissionen im Verkehr deutlich zu verringernund damit die Erreichung der Klimaziele im Verkehr zu unterstützen. Die Zahl der Nutzer*innen muss dafür bis 2030 verdoppelt werden, bei gleichzeitiger Reduzierung der Autonutzer*innen. Dafür sollte auch das Angeboti n diesem Zeitraum verdoppelt werden, wobei der Schwerpunkt auf kurzen Wartezeiten, zeitnahen und verlässlichen Anschlüssen sowie der Abstimmung des regionalen und kommunalen ÖPNVsauf den nun geplanten Deutschlandtakt im Zugfernverkehr liegen muss. (…) Eine Verdopplung des Angebotes schafftin den Verkehrsunternehmen selbst auch knapp 70.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Hinzu kommen umfangreiche Beschäftigungseffekte in den verbundenen Branchen wie der Bauwirtschaft, Fahrzeug-und Maschinenbau, Zulieferer oder Sicherheit.«
»Wir treten ein für eine konsequente Verkehrswende, mit der wir Klimaschutz und saubere Luft, weniger Lärm, weniger Staus, mehr Sicherheit im Straßenverkehr und Lebensqualität erreichen. Menschen sollen nachhaltig, bezahlbar, schnell und komfortabel mobil sein können, sei es in der Stadt oder auf dem Land, sei es mit Bus und Bahn, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Wir fordern ein langfristiges Konjunktur-und Investitionspaket, das die Bedürfnisse der Menschen und nicht den Autoverkehr zum Mittelpunkt macht.«
Zur Autorin: Sabine Leidig ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN. Im Oekom-Verlag ist ihr Buch »LINKSVERKHER – Projekte und Geschichten, Beton und Bewegung« Anfang Mai 2021 erschienen.
Zum Text: Dieser Beitrag erschien zuerst bei »SoZ – Sozialistische Zeitung«. Die Redaktion dankt für die Abdruckgenehmigung.
Bild: Markus Spiske / Unsplash
Schlagwörter: Inland, Verkehr, Verkehrswende