Der Journalist Thomas Wagner hat mit »Die Angstmacher« einen unterhaltsam zu lesenden Aufschlag über die neue Rechte vorgelegt. Von Paul Grasse
»Das Anti-68 ist da«, zitiert Thomas Wagner einen Artikel über die »konservative Revolte«, die wir aktuell erleben. Heutzutage sei nonkonform, wer sich rechts verorte, so der Autor des Buchs »Die Angstmacher«. Er sieht in dem rebellischen Habitus, den sich viele neue Rechte geben, einen Bezug zu 68. Seine Bewertung, dass sich die 68er über die Jahrzehnte hinweg politisch und kulturell etabliert hätten und mehr oder weniger hegemonial geworden seien, was die rechte Bewegung als Rebellion gegen das System erscheinen lasse, muss man nicht zu hundert Prozent teilen. Die neue Rechte konnte dieses Bild aber sehr erfolgreich in der breiten Öffentlichkeit etablieren.
1968 von rechts?
Das Aufbegehren 1968 gegen die Verkrustung einer Gesellschaft, die nach wie vor braun bis ins Mark war, brach Strukturen auf, die in den Adenauer-Jahren auch die extreme Rechte an ihrer Weiterentwicklung gehindert hätten, meint Wagner. Der positive Bezug auf die rebellischen Jahre, der sich im Gehabe eines Höcke mit Deutschland-Wimpel, aber auch in den Aktionen der so genannten Identitären Bewegung wiederfindet, ist jedoch kein inhaltlicher. Wagners Idee ist, dass das Aufbrechen der Kruste der Rechten zwar neuen Schwung verliehen habe, die Rechte aber als eine Gegenbewegung zu Internationalismus, Aufklärung und Emanzipation zu verstehen sei. Klar ist, dass wir es nicht mit einem einfachen Nazi-Wiedergängertum zu tun haben. Die Stärke des Buchs »Die Angstmacher« liegt genau darin, dass die Vielfalt der Wurzeln von AfD, Pegida, »Junge Freiheit« und des Antaios-Verlags zum Vorschein kommt. Erschreckend ist, wie »normal« mittlerweile viele der rechten Argumentations- und Verhaltensmuster geworden sind.
Einblicke in Ideengeschichte …
Während Wagner versucht, die Stränge der neuen Rechten zu entwirren, geht ihm leider das Thema »Die Angstmacher« ein wenig verloren. Vielleicht auch, weil er in Interviews rechten Protagonisten wie Götz Kubitschek und Ellen Kositza viel Raum bietet, ihre Ideen darzustellen, kommt die zusammenfassende Analyse der Rechten ein wenig zu kurz. Erst in der zweiten Hälfte des Buchs beginnt er, die »Angstmacherei« zu analysieren, die neben dem Versagen der großen Parteien in der sozialen Frage eine weitere Komponente des aktuellen Erfolgs der neuen Rechten ist. Hierzu gehört Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab«. In Deutschland stellte es zwar eine Art Initialzündung dar – seine Kernaussage war aber keineswegs neu. Die Vorstellung von der Bedrohung durch muslimische Menschen, durch arme Migranten, durch einen »großen Austausch« oder eine »Umvolkung« tauchte bereits 1973 in dem utopischen Hetzroman »Das Heerlager der Heiligen« des französischen Autors Jean Raspail auf. Die Invasion einer Million Menschen in Frankreich ist eine rassistische Horrorvision – für viele Rechte aber prophetisch.
… und Strategien der neuen Rechten
Wagner gelingt es, den tonangebenden Antihumanismus der neuen Rechten überzeugend darzustellen. Sein Buch liefert einen Überblick über den aktuellen rassistischen Diskurs und sensibilisiert für Vokabeln und Ideen, die sogar Teile der Linken erreicht haben. Dass Wagner keine überzeugende Gegenstrategie anbietet, sei hier nur angemerkt. Wichtig ist, dass er da, wo die neuen Rechten nur allzu gern zu Vollidioten erklärt werden, korrigiert. Nicht nur haben wir es mit einer neuen rechten intellektuellen Elite zu tun, sondern diese Elite denkt auch strategisch und hat leider auch viel von revolutionären Linken gelernt – nur nicht deren Ideen von Gerechtigkeit.
Buch:
Thomas Wagner
Die Angstmacher
Aufbau Verlag
Berlin 2017
352 Seiten
18,95 Euro
Schlagwörter: 1968, AfD, Bücher, Höcke, Identitäre Bewegung, Kubitschek, Kultur, Neue Rechte